Soll die Rechtschreibreform zurückgenommen werden?

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Stefan

Soll die Rechtschreibreform zurückgenommen werden?

Beitrag von Stefan »

RP-Online hat geschrieben: ...
Im März hatte die Kultusministerkonferenz (KMK) die Rechtschreibkommission beauftragt, sich mit der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung, die einen Rückbau der Reform fordert, zu treffen. Im Juni will die KMK dann über die Neuregelung der deutschen Rechtschreibung beschließen. ... Die Vorsitzende des Bundestagsausschusses für Bildung, Ulrike Flach (FDP), fordert in der neuesten Ausgabe der DEUTSCHEN SPRACHWELT sogar die Auflösung der Rechtschreibkommission.

"Wenn große Zeitungen wie "Süddeutsche" oder "Welt" wieder auf die klassische Rechtschreibung umstellen würden, wäre die unselige Rechtschreibreform ohnehin bald vom Tisch", meint der Schriftleiter der DEUTSCHEN SPRACHWELT, Thomas Paulwitz. "Wichtig ist vor allen Dingen, daß Einheitlichkeit und Verläßlichkeit in der Rechtschreibung wiederhergestellt werden!"

Gebt ihr der neuen Rechtschreibung noch eine Chance?

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Robert Ketelhohn
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Beitrag von Robert Ketelhohn »

Es geht primär darum festzustellen, wie weit die Menschen sich verblöden lassen. Wie leicht sie manipuliert werden können. Darum wird man das nach meiner Einschätzung weiter durchziehen.
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Juergen
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Re: Soll die Rechtschreibreform zurückgenommen werden?

Beitrag von Juergen »

Stefan hat geschrieben:
RP-Online hat geschrieben: "Wenn große Zeitungen wie "Süddeutsche" oder "Welt" wieder auf die klassische Rechtschreibung umstellen würden, ...
Hat das die FAZ nicht schon gemacht?
Gruß Jürgen

Dieser Beitrag kann unter Umständen Spuren von Satire, Ironie und ähnlich schwer Verdaulichem enthalten. Er ist nicht für jedermann geeignet, insbesondere nicht für Humorallergiker. Das Lesen erfolgt auf eigene Gefahr.
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Stefan

Beitrag von Stefan »

Ja, aber als einzige Tageszeitung. Wenn noch welche dazukämen...

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Robert Ketelhohn
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Beitrag von Robert Ketelhohn »

Die »Frankfurter Allgemeine« genügt wohl als Ventil für den Unmut einiger Konservativer. So finden auch sie ihre Bestätigung und Befriedigung und verlassen nicht den staatsbürgerlichen Konsens.

Gehört alles zum Projekt »Großer Bruder«.
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Stefan

Beitrag von Stefan »

Ich lese dennoch immer wieder mal - neuerdings - daß zunehmend Bewegung in die Sache kommt; angefangen von einer zusätzlichen Wiederzulassung der alten Schreibe bis zu einer Aufhebung der Reform sowie einer Auflösung der Kommission etc.

Bin ja mal gespannt.

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Niels
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Beitrag von Niels »

Die FAZ vom 27.Juli 2000 hat geschrieben:Die F.A.Z. kehrt zur alten Rechtschreibung zurück
FRANKFURT, 26. Juli. Die "Frankfurter Allgemeine Zeitung" wird vom 1. August an zur alten Rechtschreibung zurückkehren. Sie hatte vor einem Jahr die von den Kultusministern beschlossene Neuregelung übernommen, weil sie die Einheitlichkeit der deutschen Schriftsprache nicht gefährden wollte. Nach einem Jahr Erfahrung zeichnet sich ab, dass diese Hoffnung trügt: Die neue Rechtschreibung rettet die Einheitlichkeit nicht, vielmehr zerstört sie sie. Sogar einige Kultusminister sehen das inzwischen ein. Immer mehr (im doppelten Sinn) Betroffene klagen, die Änderungen seien nicht nur unsinnig - "überflüssig wie ein Kropf", hatte der damalige Bundespräsident Herzog gesagt -, sondern auch widersinnig, sinnentstellend. Daher muss die Neuregelung zurückgenommen werden. Diese Zeitung geht damit voran. Bei der Umstellung werden in den ersten Tagen Unregelmäßigkeiten unvermeidlich sein.

"Ich hoffe, Sie können wieder sehen, wenn wir uns wiedersehen", sagte ein Redakteur dieser Zeitung dem bayerischen Kultusminister Zehetmair, als die Kultusministerkonferenz sich 1995 anschickte, die so genannte Rechtschreibreform zu sanktionieren. Aber Zehetmair stellte sich blind und setzte im Verein mit seinen Kollegen in der Kultusministerkonferenz ein Regelwerk durch, das Unterscheidungsschreibungen wie "wieder sehen" (im direkten Sinn, Ton auf dem zweiten Wort) und "wiedersehen" (im indirekten Sinn von "wiederbegegnen", Ton auf dem ersten Wortteil) abschafft. Erst als die Neuregelung unwiderruflich "fest zu stehen" schien, gingen dem CSU-Politiker, der als Sprecher der von der Union regierten Länder in der Kultusministerkonferenz erheblichen Einfluss besitzt, unversehens die Augen auf. Mit dem rechten zwinkerte er seinem Kritiker "nicht viel sagend", aber "vielsagend" zu, die Kultusminister hätten Fehler gemacht. Wie wahr!

Eine verbindliche Regelung der deutschen Rechtschreibung gibt es erst seit knapp hundert Jahren. Seither war das Regelwerk in Teilen immer komplizierter, manchmal sogar unverständlich geworden. Radikale Reformer verlangten daher eine Vereinfachung, die vor allem auf die Kleinschreibung von Substantiven hinausgelaufen wäre und Schreibanfängern helfen sollte. Schon die Wiesbadener Empfehlungen von 1958 setzten sich für die - irreführend als "gemäßigt" bezeichnete - Kleinschreibung und eine Liberalisierung der Zeichensetzung ein. Solche Vorschläge scheiterten in der Regel am Protest zumal von Schriftstellern, Lehrern, Professoren und Journalisten, also am Widerstand von Fachleuten, die auf Verständlichkeit, Eindeutigkeit und Differenzierungsfähigkeit der Schriftsprache Wert legen.

Beifall erhielten die Kultusminister der deutschen Bundesländer erst 1994 und 1995, als sie versprachen, die geplante Vereinfachung des Regelwerks werde nicht zur Simplifizierung führen; die Reform solle vor allem Ungereimtheiten und Widersprüche beseitigen: Es sei nicht einzusehen, dass man "Auto fahren" auseinander und "radfahren" zusammenschreiben müsse. Und warum solle das "B" bei "mit Bezug auf" groß-, bei "in bezug auf" aber kleingeschrieben werden? Mit solchen Argumenten überzeugte die Kultusministerkonferenz 1995 auch die Ministerpräsidenten der deutschen Länder. Die Regierungschefs stellten ihrem Beschluss allerdings zwei Bedingungen voran: Sie erwarteten, erstens, "von der Neuregelung der deutschen Rechtschreibung eine Erleichterung des Schreibens und Erlernens des richtigen Schreibens. Vereinfachungen des Regelwerks sollen sicherstellen, dass die Sicherheit der Sprachbeherrschung in Schule und Alltag gesteigert wird." Das Gegenteil ist eingetreten: Verunsicherung. Schüler machen mehr Fehler, von Sprachbeherrschung gar nicht zu reden.

Zweitens mahnten die Ministerpräsidenten Ende Oktober 1995, "dass es vor einer Neuregelung der deutschen Rechtschreibung einer umfassenden Beteiligung der Öffentlichkeit bedarf, um die Akzeptanz der Änderungen sicherzustellen". Aber zu einer fairen Diskussion ist es nicht gekommen. Von Akzeptanz kann nach einem Jahr Erfahrung noch weniger die Rede sein als vor der Neuregelung. Neunzig Prozent der Bevölkerung wenden in ihrem privaten Schriftverkehr die alten Regeln an. Breite Kritik setzte allerdings erst ein, als Schriftsteller auf der Buchmesse Anfang Oktober 1996 eine scharfe Erklärung gegen die geplante Reform unterschrieben hatten. Die Kultusminister erwiderten, die Schriftsteller seien zu spät aufgewacht; die Diskussion sei bereits abgeschlossen. Außerdem beziehe sich die Reform nur auf die Schulen; jedermann außerhalb der Schulen, zumal jeder Schriftsteller, könne auch fernerhin so schreiben, wie er wolle. Schriftsteller und Journalisten antworteten den Ministern, mit Kritik hätten sie auf die geplanten Neuerungen erst reagieren können, nachdem die vollständige Wörterliste veröffentlicht worden sei und höchst unterschiedliche Neufassungen von Wörterbüchern einen Vergleich erlaubt hätten. Erst daraus habe sich das volle Ausmaß der Neuregelung ergeben; nur die vollständige Liste enthalte auch allen Unsinn, während die vorher bekannte Auswahlliste nur plausible Beispiele enthalten habe. Es sei die Frage, ob die Expertenkommission nicht nur Schriftsteller und Journalisten, sondern auch die Kultusminister hinters Licht geführt habe. Aber die Minister machten sich "mitschuldig" (zusammengeschrieben), wenn sie den Eindruck erweckten, jeder könne schreiben, wie er wolle. Mit solcher Rabulistik gefährde man die Einheitlichkeit der Schriftsprache.

Auf die Frage, ob ihm die Schwächen der Neuregelung "wohl bekannt" seien, antwortete der damalige niedersächsische Kultusminister Wernstedt: "wohlbekannt". Aber er hatte als Präsident der Kultusministerkonferenz Rücksicht auf seine Kollegen zu nehmen, weil die Konferenz Empfehlungen nur einstimmig aussprechen kann. Die deutschen Kultusminister blieben zunächst bei ihrem Beschluss. Sie hatten nämlich im Juli 1996 in Wien zusammen mit Repräsentanten der Länder Österreich, Schweiz, Liechtenstein und der Länder mit deutschsprachigen Minderheiten eine Absichtserklärung zur Reform der Rechtschreibung unterzeichnet. Das gemeinsame Vorgehen sichere für die Zukunft die Einheitlichkeit der deutschen Schriftsprache. Wer davon abrücke, verliere sein Gesicht. Um vollendete Tatsachen zu schaffen, führten zehn Bundesländer schon im August 1996 die Neuregelung an ihren Grundschulen ein.

Damit trat der Protest in seine zweite Phase, weil es jetzt Betroffene im juristischen Sinn gab. Aber Verwaltungs- und Oberverwaltungsgerichte trafen unterschiedliche, manchmal gegensätzliche Entscheidungen. Nicht einmal das Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom Juli 1998 zugunsten der Kultusminister schaffte Sicherheit und Frieden. Es unterstellte, dass die Änderungen minimal und daher unwesentlich seien, aber die Schreibenden halten diese Ansicht nach ihren traurigen Erfahrungen für falsch.

Indirekt gaben auch die Kultusminister Korrekturbedarf zu. Noch vor der Karlsruher Entscheidung hatten sie auf Wernstedts Bitte die Expertenkommission beauftragt, den Korrekturbedarf der Neuregelung festzustellen. Auf den Prüfstand kamen: Getrennt- und Zusammenschreibung, Groß- und Kleinschreibung, Silbentrennung, Zeichensetzung, Laut-Buchstaben-Beziehung. Die Korrekturvorschläge gingen so weit, dass die Kultusminister befürchteten, damit werde die ganze Reform kippen. Sie änderten daher überhaupt nichts. Umgekehrt argumentieren jetzt die Kritiker der Reform, man müsse zur alten Rechtschreibung zurückkehren; Halbheiten seien nicht praktikabel. Allerdings wissen beide Seiten, dass eine Sprache sich ändert, solange sie lebt - und mit ihr zum Teil auch die Rechtschreibung. Aber logisch sollten die Änderungen sein.

Inzwischen ärgern sich Journalisten, dass computergesteuerte Programme in ihre Texte Fehler einschleusen, vor denen sie die Neuerer stets gewarnt hatten. Am peinlichsten ist die Getrenntschreibung. Was wird der amtierende Bundespräsident Rau gedacht haben, nachdem er Deutschland als "gastfreies" Land gelobt hatte und am nächsten Tag lesen musste, er habe "Gast freies" Land gesagt? Nicht der Bundespräsident ist kriminell, sondern ein Teil der neuen Rechtschreibung. Wie fühlt sich ein Schüler, wenn er richtig schreibt: "Es tut mir leid" und "Hilfe ist not" und der Lehrer nach den neuen Regeln sinnwidrig korrigiert: "Es tut mir Leid" und "Hilfe ist Not"? Wie leidet ein Journalist, wenn der Computer "Tee-nager" trennt statt "Teen-ager", "Ei-nöde" statt "Ein-öde", "best-raft" statt "be-straft", "Regierung-schefs" statt "Regierungs-chefs"? Was denken Parlamentarier, wenn in der Zeitung "Heiliger Stuhl", aber "hohes Haus" steht? Sie rufen alle: "Schluss damit!", wobei es ihnen allerdings egal ist, ob Schluss hinten mit "ss" oder "ß" geschrieben wird. Wenn die Kultusminister auf ihrer Reform "sitzen bleiben", werden sie "sitzenbleiben".
Iúdica me, Deus, et discérne causam meam de gente non sancta

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cathol01
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Beitrag von cathol01 »

Die Rechtschreibreform soll nicht zurückgenommen, sondern vollendet werden. Damit meine ich: Grossschreibung abschaffen. In den meisten anderen Sprachen unserer Länder werden die Nomina auch klein geschrieben (Italienisch, Französisch, Niederländisch, ...). Irgendwann wird das sich sowieso durchsetzen. Schon heute werden auf Deutsch viele emails, SMS-Nachrichten und Chat-Gespräche konsequent in Kleinschrift geführt.
"Das Wahre ist nicht sicherer als das Wahrscheinliche."
(Diogenes Laërcius)

Stefan

Beitrag von Stefan »

cathol01 hat geschrieben:Damit meine ich: Grossschreibung abschaffen.
Warum denn die Großschreibung abschaffen? Man kann doch auch die Kleinschreibung abschaffen. :P

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