Clemens hat geschrieben:
Sola Scriptura: theologisch reflektierte evangelische Haltung versus pietistische Verengung.
Ja, zugegeben: hier hätte ich mehr differenzieren können. Wie in meiner gestrigen Kurzantwort schon skizziert sind die Zielgruppe des Büchleins allerdings die biblizistischen Evangelikalen.
Und die Grundlinie des Buches, der „rote Faden“ verläuft so und das macht hoffentlich auch die Argumentationsstruktur deutlich:
These: Kirchenspaltung ist ein Problem, mit dem man sich nicht einfach abfinden darf.
Gegenthese (evangelikaler Einwand): Aber die Katholiken haben doch lauter unbiblische und antichristliche Lehren, die man als wahrer Christ ablehnen muss.
These: Alle diese „Sonderlehren“ können akzeptiert werden, wenn wir auf das Sola Scriptura verzichten und erkennen, dass die Kirche von Anfang an viel mehr an Praxis und Lehre hatte, als in den situationsbedingten Ausschnitten aus dem kirchlichen Leben („Fotoalbum“), die die Bibel zeigt, definitiv beschrieben ist.
Zur Verdeutlichung wird das dann an den (in evangelikalen Augen!) wesentlichen Kontroversfragen durchexerziert.
Ergebnis: Alle katholischen Dogmen sind mit der Schrift vereinbar, wenn auch nicht unbedingt aus ihr ableitbar. Keine katholische „Sonderlehre“ rechtfertigt daher, dass wir uns weiterhin von der Gemeinschaft mit der Kirche fernhalten.
Daraus wird hoffentlich klar, dass es mir nicht darum ging, alle Feinheiten des Sola-Scriptura-Dogmas (doch, das gibt es – zumindest in meinem bisherigen kirchlichen Umfeld ist es sogar das wichtigste, das Schibboleth, an dem man wahre von falschen Christen unterscheidet) zu beleuchten, sondern deutlich zu machen, dass sein Ansatz selbst grundfalsch ist und von der Kirche Christi wegführt.
Danke für die Erklärung. Mit diesem Vorgehen wirst Du natürlich niemanden überzeugen, der sich ein wenig tiefergehender mit evangelischer Theologie befaßt hat. Ich halte es im Grundsatz für unklug, eine pietistisch-evangelikale Zerrform des 'sola scriptura' mit dem reformatorischen Schriftprinzip zu vermischen, um es dann zu 'widerlegen'. Dabei entsteht unweigerlich der Eindruck, dass Du die evangelische Seite falsch darstellst, um sie dann leichter zu demontieren.
Viel sinnvoller und theologisch fruchtbarer wäre hier m. E. ein anderes Vorgehen gewesen. Du hättest in einem ersten Schritt erklären können, dass der enge pietistisch-evangelikale Biblizismus nicht dem Schriftprinzip entspricht, das die Reformatoren unter dem Begriff 'sola scriptura' entwickelt haben. Damit hättest Du die Perspektive der evangelischen Leser zunächst einmal geöffnet.
Mit diesem Verständnis des Schriftprinzips (keine Lehre gegen die Schrift, aber schriftkonforme Lehren sind durchaus denkbar, auch wenn sie explizit nicht in der Schrift erwähnt werden) hättest Du dann in einem zweiten Schritt Punkt für Punkt katholische Sonderlehren erklären können und jeweils eine Lesart anbieten können, wie diese im Einklang mit der Schrift gelesen werden können.
Damit wäre ein Weg eröffnet worden, auf dem auch evangelische Christen, die das evangelische Schriftprinzip bejahen, die Legitimität katholischer Lehren hätten erkennen können.
Indem Du aber den Strohmann 'Sola-Scriptura-Dogma' aufbaust und dann bekämpfst, vergraulst Du theologisch gebildtete Leser und schaffst zugleich eine Entweder-Oder-Situation, die sicher mehr Leser abschreckt als überzeugt.
Ganz wichtig: die Lehre von Eucharistie und apostolischem Amt wird in der Bibel nicht ausgeführt, sondern als bekannt vorausgesetzt. Nähme man das Gegenteil an, wäre die logische Folgerung, die apostolischen Väter der 2.Generation hätten diese Lehren neu erfunden. Darauf gibt es aber keinen Hinweis (ich weiß, argumenta e silentio gefallen nicht jedem – in diesem Fall finde ich es geradezu schlagend).
Non sequitur.
Was zur Eucharistie in der Schrift fehlen soll, ist mir nicht ersichtlich. Wir haben die Einsetzungsberichte aus den Evangelien, wir haben Paulus in Kor und wir haben Joh 6. Darauf kann eine gesunde Eucharistielehre aufgebaut werden.
Die Frage des apostolischen Amtes ist schwieriger. Zunächst ist es das Amt der Apostel, dazu gibt es genug im NT. In den Gemeinden der frühen Kirche gibt es zahlreicher Ämter, wir finden davon eine ganze Menge Spuren in der Schrift. Klar ist, dass es eine einheitliche Amtsstruktur im Sinne des späteren dreistufigen Amtes mit monarchischem Bischofsamt zu biblisch-apostolischer Zeit noch nicht gegeben hat. Auch klar ist, dass die Ämterstruktur nicht in allen Gemeinden gleich war. Alles andere wäre eine Behauptung gegen jegliche seriöse wissenschaftliche Evidenz (ganz unabhängig vom konfessionellen Standpunkt). Das genannte dreistufige Amt in einer geordneten Form ist eine nachapostolische, spätere Entwicklung.
Das festzustellen heißt wiederum nicht, dass das spätere dreistufige Amt eine 'Erfindung' des 2. Jahrhunderts war. (Ich muß mich hier auch über den etwas unreflektierten Begriff 'Erfindung' wundern, Du benutzt ihn häufiger...) Das dreistufige Amt der geordneten Apostelnachfolge ist eine Entwicklung des 2. Jahrhunderts.
Außerdem:
die Heiligen- und Marienverehrung. Sie ist – wesentlich bedingt durch die zeitliche Nähe zu den Aposteln – in der Bibel nicht explizit feststellbar, gehört aber zur Lehre und Praxis der Alten Kirche definitiv dazu.
Auch dies ist eine historisch spätere Entwicklung, sie läßt sich recht gut nachvollziehen und belegen. Besonders für die Marienverehrung gibt es eine recht gute Basis in der Schrift, aber nachweisbar ist der Kultus (Feste, Gedenktage, liturgische Texte, Kirchenpatrozinien) trotzdem erst deutlich später. Auch hier ist es völlig unnötig anzunehmen, der Kultus der Heiligen und der Gottesmutter gehöre quasi zu einem Bündel von 'Geheimwissen', das der Herr den Aposteln anvertraut habe, das aber nicht zum Bestand des NT gehöre.
Drittens:
Der Primat des Papstes (nicht unbedingt im mittelalterlichen Sinn!) ist schon für das 2. Jhdt. in der Praxis fassbar (Clemens, Irenäus).
Der Sache nach: ja! Grob verkürzt dargestellt (ausführlicher wurde die Frage hier im KG ja schon mehrmals besprochen): Mt.16,18 belegt den Primat der nachfolger Petri über den Rest der Kirche. Die Unfehlbarkeit folgt daraus ("Roma locuta, causa finita") - nicht gleich per definitionem, aber als Reflex der altkirchlichen Praxis.
Mt 16,18 ist ein klassisches Beispiel. Die katholische Kirche liest hier etwas in den Text hinein, das nie dort stand. Es ist eine Projektion einer späteren Wirklichkeit in die Worte des NT. Das läßt sich auch nicht mit außerbiblischem Wissen erklären, das den Aposteln mündlich anvertraut worden wäre. Ein Fakt ist, dass das altkirchliche Verständis von Mt. 16,18 eine Interpretation dieser Stelle im Hinblick auf die Sonderstellung eines einzelnen Petrusnachfolgers nicht kannte. Die altkirchliche Exegese sieht im 'Felsen', auf den der Herr seine Kirche bauen wolle, vor allem den Glauben des Petrus. Als Nachfolger des Petrus wurden weiter alle Bischöfe verstanden, nicht aber der Bischof von Rom. Eine Ausdeutung von Mt 16,18 auf den römischen Bischof (als Petrusnachfolger) findet sich erst Jahrhunderte später erstmals.
Wäre der Gedanke eines Papstamtes Teil der apostolischen Urtradition gewesen, wäre es also offenbar über Jahrhunderte hinweg vergessen worden, um dann wieder aufzutauchen, als die (kirchen)politischen Verhältnisse passten. Zudem hätten alle Kirchen des Ostens, die ja wohl kaum als weniger 'apostolisch' anzusehen sind als die römisch-katholische Kirche, diesen entscheidenen Punkt aus ihrer apostolischen Überlieferung getilgt.
Der Hinweis auf Irenäus und Clemens trägt hier leider gar nicht, da deren Vorstellung eines römischen Primats (einer Ehrenstellung des römischen Bischofs) nun gar nichts mit dem zu tun hat, was das Papstamt sich später anmaßte. Zu diesem Themenkomplex ist wirklich sehr hilfreich das umfangreiche Buch des katholischen Theologen Wolfgang Klausnitzer, Der Primat des Bischofs von Rom (Herder Verlag).
Es könnte freilich durchaus theologische und praktische Gründe für ein 'Petrusamt' in der Kirche geben. Die wären zu nennen. Man sollte allerdings nicht versuchen, dies mit Mt. 16,18 zu begründen, denn dafür gibt es exegetisch leider überhaupt keine Basis.