Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen? Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen? So sang einst König David, hörtest du ihn? So schrie einst König David, halfest du ihm? Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?
Gott, mein Gott, warum gibst du keine Antwort? Gott, mein Gott, warum gibst du keine Antwort? So sang einst König David, so klage auch ich, ein Schatten und kein Mensch mehr; ferne bist du. Gott, mein Gott, warum gibst du keine Antwort?
Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen? Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen? So schrie der Welten Christus, blutend am Kreuz, ein Spott den Leuten allen, hörtest du ihn? Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?
Gott, mein Gott, warum gibst du keine Antwort? Gott, mein Gott, warum gibst du keine Antwort? So rufe ich mit David, höre auf uns! Du hörtest doch auf Christus, schreiend am Kreuz? Gott, mein Gott, stärke meinen armen Glauben.
(Evangelisches Gesangbuch Nr. 381)
Die Frage „Wie kann Gott das Leid der Welt zulassen?“ ist eine spekulative Frage, und genauso spekulativ sind die Antworten, die versucht werden. Die einen behaupten kurzschlüssig, also könne es einen Gott der Liebe, einen Gott allmächtiger Liebe bzw. Gott überhaupt nicht geben. Die „Frommen“ versuchen sich in vorschnell-spekulativen Antworten. Beide Seiten begehen einen entscheidenden Fehler: Sie „vermenschlichen“ Gott, sie machen Gott zum Spiegel ihrer eigenen Begrifflichkeiten und Vorstellungen. Die einen stellen sich unter Gottes „Liebe“ eine „gesteigerte“ menschliche Liebe vor – also kann Gott das Leid nicht zulassen, weil es mit ihren eigenen Vorstellungen von menschlicher Liebe unvereinbar wäre. Die Frommen wiederum versuchen, ihre eigenen (teils äußerst spitzfindigen) Vorstellungen davon, warum das Leid trotzdem da ist, auf Gott zu übertragen. Gott wird zum Zerrbild. „Du sollst dir von Gott kein Bildnis machen!“ – das gilt auch hier! Kapiert doch: Gott ist Gott und kein Mensch, Gott ist der völlig Andere, seine Gedanken sind absolut keine Menschen-Gedanken – Fragen nach dem Warum von Gottes Wollen und Handeln sind deshalb rein spekulativ. Gott fällt nicht unter unsere Begrifflichkeiten. Wer sich trotzdem auf diese „menschliche Schiene“ im Blick auf Gott begibt, handelt unangemessen, hochmütig, maßt sich an, sagen zu können, wer Gott ist und warum Gott etwas macht oder nicht. Und zudem sind die vorschnellen Antworten der Frommen in vielen Situationen beleidigend und zynisch gegenüber denen, die am Boden liegen.
Klar, es gibt Ansätze zu Antworten auf die Frage nach dem „Warum“ des Leides – etwa: Jesus (Gott und Mensch) heilt Kranke, leidet und stirbt selbst (für uns); von daher lässt sich schließen, dass Gott zum einen kein weltabgewandter, kaltblütiger Herrscher ist, zum anderen gegen das Leid sich einsetzt. Aber das alles sind nur AHNUNGEN, in welcher Richtung Antworten liegen könnten, mehr nicht.
Für mich geht es darum, die letztlich offene Frage nach dem Warum des Leids auszuhalten, mit ihr zu leben, um Antworten zu ringen, trotz allem bei Gott zu bleiben, das Leid anderer wenn möglich zu lindern und für mein persönliches Leid zu fragen, wie ich es lindern, wie ich darin bestehen und reifen kann; im unabänderlichen Leid nicht zu verzweifeln – und auch den eigenen Kummer wie meinen Schmerz über das Elend anderer Gott sozusagen ins „Gesicht“ zu schreien, mir Luft zu machen. Im Vertrauen darauf, dass Gott einmal alle Tränen abwischen wird. Allerdings: Letzteres darf auf keinen Fall weder für mich persönlich noch in meinen Reaktionen fremdem Leid gegenüber zum vorschnellen, billigen Trost werden!
In der Hinsicht ist mir der Hiob im Alten Testament sehr lieb, der mitten in seinen Leiden mit Gott im Clinch liegt, nach Antworten sucht, sie aber nur ansatzweise findet – und dennoch letztlich an Gott festhält und darauf vertraut: „Ich weiß, dass mein Erlöser lebt – und ist mein Leib jetzt auch noch so zerschlagen, ich werde ihn schauen, ganz vertraut – danach sehne ich mich. Auf dieser todgeweihten Erde spricht er das letzte Wort!“
Uli
www.textdienst.de/woran_christen_glauben.htm