Nachdem mein Beispiel von dem Beichtpriester hier ausführlich diskutiert wird, möchte ich es noch näher beschreiben. Soweit ich mich erinnern kann (es ist ja schon 28 Jahre her) hat er gar nicht gesagt "ist nicht so schlimm", sondern er war schlicht nicht beeindruckt von dem, was ich als ungeheure Sünden empfand. Dies ist auch meine Erfahrung als Beichtvater: Ich habe so viel gehört, mich kann nicht mehr so leicht etwas beeindrucken.
Vielleicht können folgende Gedanken weiterhelfen:
Wenn wir versuchen, von Gott zu sprechen, dann stoßen unsere sprachlichen Möglichkeiten bald an ihre Grenzen. Wie es das IV. Laterankonzil formuliert hat:
DH 806 hat geschrieben:Denn zwischen dem Schöpfer und dem Geschöpf kann man keine so große Ähnlichkeit feststellen, dass zwischen ihnen keine noch größere Unähnlichkeit festzustellen wäre.
Das heißt: Wenn wir etwa von Gott sagen, er sei gütig, so nehmen wir etwas, das wir etwa aus der Beziehung von Eltern zu ihren Kindern kennen und übertragen es auf die Beziehung Gottes zu uns - müssen uns aber dabei bewusst bleiben, dass Gott noch ganz anders ist, als wir es aussagen können.
Eine gute Möglichkeit dazu kann sein, Gegensatzpaare (etwa "Güte" und "Gerechtigkeit") unaufgelöst nebeneinander stehen zu lassen, also weder zu sagen "Gott ist gütig, also ist alles nicht so schlimm, was du tust" noch "Gott ist gerecht, also darfst du seiner Güte nicht zu sehr trauen."
In unserem Fall haben wir es einerseits mit der Vergebung Gottes und andererseits mit der Schwere der Schuld zu tun. Auch hier scheint es mir gut, beides nebeneinander stehen zu lassen: Wir sind "simul iustus et peccator" (zugleich Gerechte und Sünder).
Ich lese gerne in den Sprüchen der Wüstenväter (Apophtegmata Patrum), und das scheint mir ein durchgehendes Thema zu sein: Sie ziehen sich aus der Welt zurück,
um ihre Sünden zu beweinen. Wie wenn man einen Stein in einen Brunnen wirft: Zunächst ist die Wasseroberfläche wellig, dann beruhigt sie sich und mann kann auf den Grund sehen - so bewirkt die Herzensruhe, dass man auf den Grund seiner Seele sehen kann und seine Sünden erkennen kann.
Zugleich ist Gott vergebende Güte; wir dürfen ihm vorbehaltlos vertrauen.
In der konkreten Rede wird man freilich den einen oder anderen Aspekt akzentuieren. Dem Verängstigten wird man etwa sagen: "Gott kennt dich durch und durch und er hat dich so richtig gern - ob du dich nun änderst oder nicht." Dem Faulen, der seine Zeit vor dem Internet vergeudet wird man sagen: "Schwing deinen Hintern hoch! Gott ist da, er sieht dich an und er hat Größeres mit dir vor."
Das sehen wir unübertroffen an der Rede und dem Leben Jesu: Er ist ungeheuer fordernd - und er verkündet und lebt die unerhörte Vatergüte Gottes.
Wer einen Menschen verurteilt, kann irren. Wer ihm verzeiht, irrt nie. (Heinrich Waggerl)