Daraus:
(Hervorhebung von mir.)Die These von der Außerkraftsetzung und Aufkündigung des Alten Bundes wurde bis in progressive Theologien der 1980-er Jahre hinein vertreten. Wer zum Beispiel die damals erschienenen Grundlagenwerke der Theologie der Befreiung von Gustavo Gutierrez, Leonardo Boff, Clodovis Boff oder Jon Sobrino durchmustert, findet nicht nur Belege für eine Israel-Vergessenheit, sondern auch Äußerungen antijüdischer Polemik, die zum Gegenstand einer zum Teil bitteren und schmerzlichen Kontroverse mit jüdischen Autoren wurden. Die strittigen Äußerungen in Werken der Theologie der Befreiung kamen aus einer unkritisch übernommenen europäischen Tradition, derzufolge der von Gott mit Israel geschlossene Alte Bund abgelöst und erledigt sei. Die systematische Theologie der 1990-er Jahre bekräftigte diese Tradition nicht mehr.
Als Gründe werden u. a. Spannungen zwischen den beiden Bundesverständnissen im Römerbrief einerseits und Herbräerbrief andererseits angeführt:
Der innerneutestamentliche Pluralismus ist eben nicht zu leugnen. Ja, es gibt selbst innerhalb der paulinischen Schriften und auch innerhalb des Römerbriefes eine Vielstimmigkeit, die nicht auf einen einfachen Nenner zu bringen ist.
Denn wie ich bereits weiter oben ausführte, lassen sich Alter und Neuer Bund nicht ausschließlich linear verstehen.Für Knut Backhaus lautet jedoch der Gegenbegriff zum Neuen Bund „nicht ‚alter Bund’..., sondern ‚irdischer Opferkult’. Wie von selbst löse sich „das vieldiskutierte Problem von Kontinuität und Diskontinuität der Heilsgeschichte in Hebr: Diskontinuität auf der Ebene der unsteten, wandelbaren, kontingenten Welt; Kontinuität in der unwandelbaren Wirklichkeit Gottes, der sich und seiner Verheißung treu bleibt.“ Der Hebräerbrief bliebe „im ganzen doch... dem alttestamentlich-frühjüdischen Gottesbild verpflichtet“. „Nicht um polemische Desavouierung des Jüdischen geht es dem Verfasser, sondern um ontologische Desavouierung des Irdischen. Nicht Kirche und Synagoge vergleicht Hebr, sondern Himmel und Erde. Und dies mit solcher Strenge, dass kein Raum bleibt für irdische Grabenkämpfe.“
Schließlich wird eine Art „Gonsen-Kōan“ formuliert:
Am Ende des Aufsatzes überwiegen jedoch die Argumente für einen nie gekündigten Alten Bund.Es konstruiert der Hebräerbrief nicht einen strikten Gegensatz zu Paulus. Die Beziehung zwischen den beiden Bünden umspielt er mit dem platonisch erscheinenden Gegenüber von Abbild bzw. Schatten und der Sache selbst. Und das enthält auch ein Element der Entsprechung zwischen dem ersten und zweiten Bund, wenn auch die Spannung zwischen beiden Bundesverständnissen von der neutestamentlichen Ursprungssituation her nicht zu verkennen ist.
Genausogut gibt es aber auch die Argumente für einen gekündigten Alten Bund.