Bischof Mixa und die Flugzeuge...

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Raphael

Beitrag von Raphael »

Hallo Josephus,
josephus hat geschrieben:
Robert Ketelhohn hat geschrieben:
Was die Sache betrifft, sind oben eigentlich alle wesentlichen Argumente bereits dargestellt. Den einen zentralen Punkt aber, das kardinale Mißverständnis der Abschußbefürworter, will ich doch noch ein weiteres Mal herausstellen und verdeutlichen.

Dies Mißverständnis liegt in der Vorstellung, die Frage, ob eine Tötungshandlung direkt oder indirekt sei, hänge auch davon ab, ob sie als Hauptzweck oder als „Nebenwirkung“ einer Handlung (im Sinnes des „Doppelwirkungs“-Prinzips) gedacht sei.

Das ist falsch. Hier werden zwei Kategorien vermengt, die in Wahrheit in keiner Kausalverbindung miteinander stehen. Tatsächlich sind solche „Nebenwirkungen“ auch direkte Handlungsfolgen. Direkte Handlungsfolge ist diejenige, die der Täter als vorhersehbar eintretenden Erfolg seiner Handlung kennt oder verpflichtet ist zu kennen.

Es kommt nicht darauf an, ob der Täter diesen Erfolg beabsichtigt oder nur in Kauf nimmt. Käme es darauf an, müßten wir in alle Fällen, in welchen die Tötung nicht der alleinige Zweck ist – und das ist sie, außer bei Mord aus Rache, fast nie –, immer jenes „Doppelwirkungs“-Prinzip anwenden und folglich eine Güterabwägung treffen.
Lieber Robert,
wir stolpern hier offenbar über das genauere Verständnis von "direkt" und "indirekt". Dieses ist tatsächlich nicht immer konsistent. Ich verwende den Begriff "direkt" im Sinn von "Evangelium vitae", wo es in Nr. 57 heißt, "daß die direkte, d.h. vorsätzliche Tötung jedes unschuldigen Menschenlebens, besonders in seinem Anfangs- und Endstadium, ein absolutes und schweres sittliches Vergehen darstellt". Somit liegt dann aber eine "indirekte" Tötung außerhalb des gezielten Vorsatzes, woraus sich sehr wohl dann auch der Bezug zum Prinzip der Doppelwirkung einer Handlung ableiten läßt! - Mit der Frage der Vorhersehbarkeit oder der Sicherheit des Eintretens einer Handlungsfolge hat die Unterscheidung "direkt - indirekt" also nicht unmittelbar zu tun. Es geht um die Frage: Wird diese Handlung der Absicht nach angezielt, d.h. bejaht (und damit in ihrer inneren Schlechtigkeit auch zu eigen gemacht), oder aber handelt es sich um eine zwar voraussehbare, aber dennoch nicht gewollte Nebenwirkung einer Handlung, die als solche auf etwas anderes abzielt?

Einen Freibrief für Tötungen jedweder Art sehe ich in meiner Argumentation, in der ich mich bemühe, die Lehre der Kirche zu verdeutlichen und konkret anzuwenden, keineswegs! Eine recht verstandene Anwendung des Prinzips der Doppelwirkung einer Handlung darf und wird auch nicht Leben gegen Leben gewichten, wohl aber darf eine Abwägung gewisser Chancen der Lebensrettung erfolgen, soweit jedenfalls die direkte Tötung Unschuldiger ausgeschlossen bleibt und auch deren indirekte Tötung möglichst vermieden, gleichsam nur als "ultima ratio" (als letzter Ausweg im Sinn einer nicht gewollten Nebenwirkung einer an sich guten Handlung) zugelassen wird.
was Du hier schilderst, wird in der Jurisprudenz unter dem Begriff Nothilfe subsumiert. Die Nothilfe rechtfertigt eine auf der Tatbestandsebene objektiv falsche Tat; sie rechtfertigt jedoch nur auf der subjektiven Tatbestandsebene.

Nothilfe rechtfertigt jedoch eine objektiv falsche Tat nur dann, wenn es
1. tatsächlich keine anderen Mittel gibt und
2. wenn das eingesetzte Mittel in einem angemessenen Verhältnis zum beabsichtigten "Erfolg" steht.
Der beabsichtigte Erfolg ist hier der Schutz derjenigen, welche nach dem Willen der Terroristen durch den Absturz des entführten Flugzeuges zusätzlich getötet werden sollen.

Es kann aber kein angemessenes Mittel geben, daß jemanden berechtigt, unschuldiges Leben (und darum handelt es sich bei den Insassen des entführten Flugzeugs) zu opfern. Ein Meßgröße für dieses unschuldige Leben gibt es AFAIK im christlichen Verständnis nicht!

Ich bin daher dezidiert der Ansicht, daß Robert in seiner Argumentation zuzustimmen ist, weil Dein Begriffspaar "direkte/indirekte Tötung" zwischen der objektiven und subjektiven Tatbestandsebene eine unzulässige Vermischung herstellt.
Die Insassen im Flugzeug werden notgedrungenerweise direkt getötet und dies ist immer und in allen Fällen verwerflich. Eine indirekte Tötung würde ich so verstehen, daß beim Absturz/Abschuß des Flugzeugs weitere Menschen am Erdboden zu Tode kommen. Die Militärs benutzen hier gerne den euphemisierenden Begriff "Kollateralschaden" ..............

Allons
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Beitrag von Allons »

Raphael hat geschrieben:was Du hier schilderst, wird in der Jurisprudenz unter dem Begriff Nothilfe subsumiert. Die Nothilfe rechtfertigt eine auf der Tatbestandsebene objektiv falsche Tat; sie rechtfertigt jedoch nur auf der subjektiven Tatbestandsebene.
Hi Raphael

Jetzt wirds schwierig. Ich mache es kurz:

* Nothilfe ist Notwehr auf einen Angriff, der einem Dritten gilt.

* Eine objektiv falsche Tat gips i.d.S. nicht, Nothilfe rechtfertigt zunächst objektiv (keine Rechtswidrigkeit), wenn mit Nothelferwillen durchgeführt auch subjektiv, ohne Nothelferwillen kann man mindestens zur Versuchsstrafbarkeit kommen (Vorsatz plus unmittelbares Ansetzen)

* Was Du meinst ist vermutlich der Notstand, § 34
StGB hat geschrieben:
§ 34 Rechtfertigender Notstand

Wer in einer gegenwärtigen, nicht anders abwendbaren Gefahr für Leben, Leib, Freiheit, Ehre, Eigentum oder ein anderes Rechtsgut eine Tat begeht, um die Gefahr von sich oder einem anderen abzuwenden, handelt nicht rechtswidrig, wenn bei Abwägung der widerstreitenden Interessen, namentlich der betroffenen Rechtsgüter und des Grades der ihnen drohenden Gefahren, das geschützte Interesse das beeinträchtigte wesentlich überwiegt. Dies gilt jedoch nur, soweit die Tat ein angemessenes Mittel ist, die Gefahr abzuwenden.
Soll heißen, wenn mir eine leere Bierflasche von Tisch rollt darf ich die Katze meiner Kinder mit dem Fuß sanft Richtung vermutete Aufschlagstelle schieben. :mrgreen:

Da aus hinreichend bekanntem Grichtsurteil bla bla Güterabwägung Leben vs. Leben bla bla verboten usw. muß der alleroberste Bundesluftschützer nämlich den übergesetzlichen Notstand vom Blauen herabziehen.

Gruß, Allons!

josephus
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Beitrag von josephus »

Liebe Freunde,
wo es um die juristische Ebene geht, kann und will ich nicht mitreden, da ich kein Experte bin. Es geht mir um eine verantwortliche ethische Stellungnahme, welche mit den Vorgaben des kirchlichen Lehramtes und dem natürlichen Sittengesetz kompatibel ist.
Nun habe ich zuletzt begründet, wie ich das Begriffspaar "direkt" - "indirekt" verstehe, nämlich im Sinn von "Evangelium vitae". Kann mir jemand aufzeigen, warum ich in der Anwendung der kirchlichen Lehre anhand der aufgezeigten Prinzipien (Verbot der direkten Tötung Unschuldiger, Prinzip der Doppelwirkung einer Handlung, sittliches Recht auf Notwehr bzw. Verteidigung) im konkreten Fall angeblich dennoch falsch liege?

Beste Grüße und Segenswünsche
Josephus

Allons
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Beitrag von Allons »

Raphael hat geschrieben:Eine indirekte Tötung würde ich so verstehen, daß beim Absturz/Abschuß des Flugzeugs weitere Menschen am Erdboden zu Tode kommen. Die Militärs benutzen hier gerne den euphemisierenden Begriff "Kollateralschaden" ..............
Dann führt diese Diskussion doch unter folgendem Beispiel weiter:

In dem Flieger sitzen nur noch Entführer. Sie wollen ein Stadion treffen, das randvoll mit Zuschauern ist. Auf dem Weg vom Flugzeug zum Stadion ist Innenstadt, ebenfalls voller Menschen, man weiß allerdings nicht wie viele.

Preisfrage 1: Muß ein Soldat aus eigenem Antrieb die Maschine abschiessen ?
Preisfrage 2: Falls er es nicht muß, und er tuts trotzdem, ist ihm daraus ein Vorwurf zu machen ?

Dies alles, wohlverstanden, aus theol. Sicht.

Gruß Allons!

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Robert Ketelhohn
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Beitrag von Robert Ketelhohn »

Josephus hat geschrieben:Lieber Robert, wir stolpern hier offenbar über das genauere Verständnis von "direkt" und "indirekt".
Lieber Josef, das Verständnis von „direkt“ und „indirekt“ hinsichtlich der Tötung von Menschen ist hier ganz offensichtlich wirklich der Knackpunkt. Raphael hat das oben in seinem letzten Absatz noch einmal unter anderm Aspekt zu verdeutlichen versucht (den juristisch nicht ganz korrekten ersten Teil lassen wir mal außen vor). Ähnlich sehen es – so stelle ich fest, nachdem ich noch einmal quergeblickt habe – auf kath.net „Sempre crescendo“ und „Kanonist“ (wobei ich froh bin, daß deren Beiträge dort nun wohl stehen bleiben dürfen).

Raphaels Hinweis auf die Vermischung der subjektiven und objektiven Ebene drückt vielleicht noch prägnanter aus, was ich zuvor klarzumachen versucht hatte. Die Frage nach der als direkt oder indirekt anzusehenden Tötung von Menschen beantwortet sich genau nicht auf der Ebene subjektiver Absichten oder Ziele, sondern nach dem Objekt meines Willens, das heißt: der von mir willentlich gewählten Handlung.

Ich stelle zum Beleg (Autoritäten brauchen wir Katholen ja immer …) gleich noch einmal die einschlägigen Paragraphen des Katechismus ein. Dann auch gleich noch die (etwas weitschweifigeren) entsprechenden Passagen aus Veritatis splendor. Aber zunächst noch zu diesem Punkt:
Josephus hat geschrieben:Ich verwende den Begriff "direkt" im Sinn von "Evangelium vitae", wo es in Nr. 57 heißt, "daß die direkte, d.h. vorsätzliche Tötung jedes unschuldigen Menschenlebens, besonders in seinem Anfangs- und Endstadium, ein absolutes und schweres sittliches Vergehen darstellt".
Der juristische terminus des Vorsatzes umfaßt auch die billigende Inkaufnahme! Evangelium vitae bestätigt also meine vorigen Ausführungen und gibt gerade keine Handhabe, die bewußt in Kauf genommene, sicher eintretende Nebenfolge als indirekt zu qualifizieren.
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Robert Ketelhohn
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Beitrag von Robert Ketelhohn »

Der Katechismus der katholischen Kirche hat geschrieben:ARTIKEL 4
DER SITTLICHE CHARAKTER DER MENSCHLICHEN HANDLUNGEN


1749 Die Freiheit macht den Menschen zu einem sittlichen Subjekt. Wenn er bewußt handelt, ist der Mensch sozusagen der Vater seiner Handlungen. Die eigentlich menschlichen, das heißt aufgrund eines Gewissensurteils gewählten Handlungen können sittlich bewertet werden. Sie sind entweder gut oder böse.

I Die Quellen der Sittlichkeit

1750 Der sittliche Charakter der menschlichen Handlungen hängt ab:
- vom gewählten Objekt;
- vom angestrebten Ziel oder von der Absicht;
- von den Umständen der Handlung.
Das Objekt, die Absicht und die Umstände bilden die Quellen oder wesentlichen Elemente der Sittlichkeit menschlicher Handlungen.

1751 Das gewählte Objekt ist ein Gut, auf das sich der Wille bewußt richtet. Es ist der „Stoff" einer menschlichen Handlung. Das gewählte Objekt bestimmt den sittlichen Charakter des Willensaktes, je nachdem, ob es gemäß dem Urteil der Vernunft dem wahren Gut entspricht oder nicht. Die objektiven Regeln der Sittlichkeit drücken die vernunftgemäße Ordnung des Guten und des Bösen aus, die durch das Gewissen bezeugt wird.

1752 Im Unterschied zum Objekt steht die Absicht auf der Seite des handelnden Subjekts. Weil die Absicht in der Freiheit wurzelt und die Handlung auf ihr Ziel festlegt, ist sie ein Element, das den sittlichen Charakter einer Handlung wesentlich bestimmt. Das Ziel ist das, worauf sich die Absicht in erster Linie richtet. Es bezeichnet den im Handeln angestrebten Zweck. Die Absicht ist eine auf das Ziel gerichtete Willensbewegung; sie bestimmt, worauf sich das Handeln richtet. Sie richtet den Blick auf das Gut, das von der betreffenden Handlung erwartet wird. Sie beschränkt sich nicht auf die Ausrichtung einzelner Taten, sondern kann eine Vielfalt von Handlungen auf ein und dasselbe Ziel hinordnen; sie kann das ganze Leben auf das letzte Ziel ausrichten. Zum Beispiel hat ein Dienst, den man erweist, das Ziel, dem Mitmenschen zu helfen; er kann aber gleichzeitig von der Liebe zu Gott als dem letzten Ziel all unserer Handlungen beseelt sein. Ein und dieselbe Handlung kann auch von mehreren Absichten getragen sein, etwa, wenn man einen Dienst erweist, um eine Gunst zu erlangen oder um sich damit zu brüsten.

1753 Eine gute Absicht (z. B. die, dem Nächsten zu helfen) macht ein an sich falsches Verhalten (wie Lüge oder Verleumdung) nicht zu etwas Gutem oder Richtigem. Der Zweck rechtfertigt die Mittel nicht. Darum kann man etwa die Verurteilung eines Unschuldigen nicht als ein legitimes Mittel zur Rettung des Volkes rechtfertigen. Hingegen wird eine an sich gute Handlung (z. B. Almosengeben) [Vgl. Mt 6,2- 4] zu etwas Schlechtem, wenn eine schlechte Absicht (z. B. Eitelkeit) hinzukommt.

1754 Die Umstände, einschließlich der Folgen, sind zweitrangige Elemente einer sittlichen Handlung. Sie tragen dazu bei, die sittliche Güte oder Schlechtigkeit menschlicher Handlungen zu steigern oder abzuschwächen (ein solcher Umstand ist z. B. die Höhe des Betrages eines Diebstahls). Sie können auch die Verantwortung des Handelnden vermindern oder vermehren (z. B. Handeln aus Todesangst). Die Umstände können an sich die sittliche Beschaffenheit der Handlungen selbst nicht ändern; sie können eine in sich schlechte Handlung nicht zu etwas Gutem und Gerechtem machen.

II Gute und schlechte Handlungen

1755 Die sittlich gute Handlung setzt voraus, daß sowohl das Objekt als auch die Absicht und die Umstände gut sind. Eine schlechte Absicht macht die Handlung zu etwas Schlechtem, selbst wenn ihr Gegenstand an sich gut ist (etwa beten und fasten, „um von den Menschen gesehen zu werden"). Das gewählte Objekt kann allein schon ein Handeln als Ganzes zu etwas Schlechtem machen. Es gibt konkrete Verhaltensweisen wie etwa die Unzucht, für die sich zu entscheiden stets falsch ist, weil in der Entscheidung für sie ein Fehlgriff des Willens liegt, das heißt etwas sittlich Schlechtes.

1756 Somit ist es falsch, bei der Beurteilung des sittlichen Charakters der menschlichen Handlungen einzig die ihr zugrunde liegende Absicht oder die sie begleitenden Umstände (wie Milieu, gesellschaftlicher Druck, Zwang oder Notwendigkeit zu handeln) zu beachten. Es gibt Handlungen, die wegen ihres Objekts in schwerwiegender Weise, unabhängig von den Umständen und den Absichten, aus sich und in sich schlecht sind, z. B. Gotteslästerung und Meineid, Mord und Ehebruch. Es ist nicht erlaubt, etwas Schlechtes zu tun, damit etwas Gutes daraus entsteht.

KURZTEXTE

1757 Das Objekt die Absicht und die Umstände bilden die drei Quellen der Sittlichkeit menschlicher Handlungen.

1758 Das gewählte Objekt bestimmt die Sittlichkeit des Willensaktes je nachdem die Vernunft es als gut oder schlecht erkennt und beurteilt.

1759 Keine in guter Absicht vollzogene schlechte Tat wird entschuldigt" (Thomas v. A., dec. præc. 1) Der Zweck rechtfertigt die Mittel nicht.

1760 Damit eine Handlung sittlich gut ist müssen zugleich das Objekt das Ziel und die Umstände gut sein.

1761 Es gibt konkrete Verhaltensweisen, die zu wählen immer falsch ist. Denn ein solcher Entschluß bedingt schon eine Ungeordnetheit des Willens das heißt etwas sittlich Schlechtes. Es ist nicht erlaubt etwas Schlechtes zu tun damit dabei etwas Gutes entsteht.
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Robert Ketelhohn
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Beitrag von Robert Ketelhohn »

Papst Johannes Paul II. (Enz. »Veritatis splendor«) hat geschrieben:Das »in sich Schlechte«: Man darf nicht Böses tun, damit Gutes entsteht (vgl. Röm 3, 8).

79. Zurückgewiesen werden muß daher die für teleologische und proportionalistische Theorien typische Ansicht, es sei unmöglich, die bewußte Wahl einiger Verhaltensweisen bzw. konkreter Handlungen nach ihrer Spezies - ihrem »Objekt« - als sittlich schlecht zu bewerten, ohne die Absicht, mit der diese Wahl vollzogen wurde, oder ohne die Gesamtheit der vorhersehbaren Folgen jener Handlungen für alle betroffenen Personen zu berücksichtigen.

Das vorrangige und entscheidende Element für das moralische Urteil ist das Objekt der menschlichen Handlung, das darüber entscheidet, ob sie auf das Gute und auf das letzte Ziel, das Gott ist, hingeordnet werden kann. Ob dies so ist, erkennt die Vernunft im Sein des Menschen selbst, verstanden in seiner vollumfänglichen Wahrheit, und damit unter Berücksichtigung seiner natürlichen Neigungen, seiner Triebkräfte und seiner Zweckbestimmtheiten, die immer auch eine geistige Dimension besitzen: Genau das sind die Inhalte des Naturgesetzes und damit die geordnete Gesamtheit der »Güter für die menschliche Person«, die sich in den Dienst des »Gutes der Person« stellen, des Gutes, das sie selbst und ihre Vollendung ist. Das sind die von den Geboten (des Dekalogs) geschützten Güter, der nach dem hl. Thomas das ganze Naturgesetz enthält.(130)

80. Nun bezeugt die Vernunft, daß es Objekte menschlicher Handlungen gibt, die sich »nicht auf Gott hinordnen« lassen, weil sie in radikalem Widerspruch zum Gut der nach seinem Bild geschaffenen Person stehen. Es sind dies die Handlungen, die in der moralischen Überlieferung der Kirche »in sich schlecht« (intrinsece malum), genannt wurden: Sie sind immer und an und für sich schon schlecht, d.h. allein schon aufgrund ihres Objektes, unabhängig von den weiteren Absichten des Handelnden und den Umständen. Darum lehrt die Kirche - ohne im geringsten den Einfluß zu leugnen, den die Umstände und vor allem die Absichten auf die Sittlichkeit haben -, daß »es Handlungen gibt, die durch sich selbst und in sich, unabhängig von den Umständen, wegen ihres Objekts immer schwerwiegend unerlaubt sind«.(131) Das Zweite Vatikanische Konzil bietet im Zusammenhang mit der Achtung, die der menschlichen Person gebührt, eine ausführliche Erläuterung solcher Handlungsweisen anhand von Beispielen: »Was zum Leben selbst in Gegensatz steht, wie jede Art von Mord, Völkermord, Abtreibung, Euthanasie und auch der freiwillige Selbstmord; was immer die Unantastbarkeit der menschlichen Person verletzt, wie Verstümmelung, körperliche oder seelische Folter und der Versuch, psychischen Zwang auszuüben; was immer die menschliche Würde angreift, wie unmenschliche Lebensbedingungen, willkürliche Verhaftung, Verschleppung, Sklaverei, Prostitution, Mädchenhandel und Handel mit Jugendlichen, sodann auch unwürdige Arbeitsbedingungen, bei denen der Arbeiter als bloßes Erwerbsmittel und nicht als freie und verantwortliche Person behandelt wird: all diese und andere ähnliche Taten sind an sich schon eine Schande; sie sind eine Zersetzung der menschlichen Kultur, entwürdigen weit mehr jene, die das Unrecht tun, als jene, die es erleiden. Zugleich sind sie in höchstem Maße ein Widerspruch gegen die Ehre des Schöpfers«.(132)

Über die in sich sittlich schlechten Handlungen und im Blick auf kontrazeptive Praktiken, mittels derer vorsätzlich unfruchtbar gemacht wird, lehrt Papst Paul VI.: »Wenn es auch in der Tat zuweilen erlaubt ist, ein sittliches Übel hinzunehmen, in der Absicht, damit ein größeres Übel zu verhindern oder ein höheres sittliches Gut zu fördern, ist es doch nicht erlaubt, nicht einmal aus sehr schwerwiegenden Gründen, das sittlich Schlechte zu tun, damit daraus das Gute hervorgehe (vgl. Röm 3, 8), d.h. etwas zum Gegenstand eines positiven Willensaktes zu machen, was an sich Unordnung besagt und daher der menschlichen Person unwürdig ist, auch wenn es in der Absicht geschieht, Güter der Person, der Familie oder der Gesellschaft zu schützen oder zu fördern«.(133)

81. Wenn die Kirche das Bestehen »in sich schlechter« Handlungen lehrt, greift sie die Lehre der Heiligen Schrift auf. Der Apostel stellt kategorisch fest: »Täuscht euch nicht! Weder Unzüchtige noch Götzendiener, weder Ehebrecher noch Lustknaben, noch Knabenschänder, noch Diebe, noch Habgierige, keine Trinker, keine Lästerer, keine Räuber werden das Reich Gottes erben« (1 Kor 6, 9-10).

Wenn die Akte in sich schlecht sind, können eine gute Absicht oder besondere Umstände ihre Schlechtigkeit zwar abschwächen, aber nicht aufheben: Sie sind »irreparabel« schlechte Handlungen, die an und für sich und in sich nicht auf Gott und auf das Gut der menschlichen Person hinzuordnen sind: »Wer würde es im Hinblick auf die Handlungen, die durch sich selbst Sünden sind (cum iam opera ipsa peccata sunt) - schreibt der hl. Augustinus -, wie Diebstahl, Unzucht, Gotteslästerung, zu behaupten wagen, sie wären, wenn sie aus guten Motiven (causis bonis) vollbracht würden, nicht mehr Sünden oder, eine noch absurdere Schlußfolgerung, sie wären gerechtfertigte Sünden?«.(134)

Darum können die Umstände oder die Absichten niemals einen bereits in sich durch sein Objekt sittenlosen Akt in einen »subjektiv« sittlichen oder als Wahl vertretbaren Akt verwandeln.

82. Im übrigen ist die Absicht dann gut, wenn sie auf das wahre Gut der Person im Blick auf ihr letztes Ziel gerichtet ist. Die Handlungen aber, die sich aufgrund ihres Objektes nicht auf Gott »hinordnen« lassen und »der menschlichen Person unwürdig« sind, stehen diesem Gut immer und in jedem Fall entgegen. In diesem Sinne bedeutet die Beachtung der Normen, die solche Handlungen verbieten und semper et pro semper, das heißt ausnahmslos, verpflichten, nicht nur keine Beschränkung für die gute Absicht, sondern sie ist geradezu der fundamentale Ausdruck guter Absicht.

Die Lehre vom Objekt als Quelle der Sittlichkeit ist authentische Ausdrucksform der biblischen Moral des Bundes und der Gebote, der Liebe und der Tugenden. Die sittliche Qualität menschlichen Handelns hängt von dieser Treue zu den Geboten ab, die Ausdruck von Gehorsam und Liebe ist. Und deshalb - wir wiederholen es noch einmal - muß die Meinung als irrig zurückgewiesen werden, es sei unmöglich, die bewußte Wahl einiger Verhaltensweisen bzw. konkreter Handlungen ihrer Spezies nach als sittlich schlecht zu bewerten, ohne die Absicht, aufgrund welcher diese Wahl vollzogen wurde, oder ohne die Gesamtheit der vorhersehbaren Folgen jener Handlung für alle betroffenen Personen zu berücksichtigen. Ohne diese Vernunftbestimmtheit der sittlichen Qualität menschlichen Handelns wäre es unmöglich, eine »objektive sittliche Ordnung«(135) anzunehmen und irgendeine von inhaltlichen Gesichtspunkten bestimmte Norm festzulegen, die ausnahmslos verpflichtet; und das zum Schaden der Brüderlichkeit unter den Menschen und der Wahrheit über das Gute und ebenso zum Nachteil der kirchlichen Gemeinschaft.
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Robert Ketelhohn
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Beitrag von Robert Ketelhohn »

Johannes Paulus pp. II (litt. enc. «Veritatis splendor») hat geschrieben:“Malum intrinsecum”: non est faciendum malum ut veniat bonum (Cfr. Rom. 3, 8).

79. Respuenda est igitur thesis doctrinarum teleologicarum et proportionalistarum, quae tenet moraliter malam appellari non posse secundum suam speciem – id est “obiectum” suum – deliberatam quarundam rationum agendi vel definitorum actuum delectionem, si separetur ab intentione, qua patrata fuerit, aut ab universitate illius actus consectariorum, quae erga omnes, quorum interest, praevideri possunt.

Primarium essentialeque elementum ad iudicium morale est actus humani obiectum, quod iudicat de eius compositione ad bonum adque ultimum finem, qui Deus est. Eiusmodi compositio intellectu animadvertitur in ipso hominis genere, in integra eius veritate inspecto, in naturalibus igitur eius propensionibus, in eius dynamismis atque propositis, quibus semper inest spiritalis mensura: haec proprie sunt quae lege naturali continentur, idcirco ordinata universitas “bonorum pro persona” quae “bono personae” inserviunt, bono quod ipsa est eiusque perfectio. Haec sunt bona, quibus praesidio sunt leges divinae, quae totam legem naturalem continent (Cfr. S. THOMAE Summa Theologiae, I-II, q. 100, a. 1).

80. Atqui ratio testatur actus humani dari obiecta, quae apparent “non ordinabilia” ad Deum, quia omnino dissident a bono personae ad Ipsius imaginem creatae. Hi sunt actus, qui a morali Ecclesiae traditione “intrinsece malum” vocati sunt: tales semper per se, id est sunt ob ipsum eorum obiectum, nulla agentis eiusque aliorum adiunctorum ratione habita. Quare Ecclesia, momentum rerum adiunctorum et in primis intentionum proprium in moralem minime negans, docet esse “actus, qui per se ipsos et in se ipsis, extra adiuncta, propter obiectum suum semper sunt graviter illiciti” (IOANNIS PAULI PP. II Reconciliatio et paenitentia, 17; cfr. PAULI VI Allocutio ad Sodales Congregationis Sanctissimi Redemptoris, die 22 sept. 1967: Insegnamenti di Paolo VI, V, (1967) 442 ss.: «Absit ut Christifideles in diversam opinionem inducantur, quasi ex Concilii magisterio nonnulla hodie liceant, quae antea Ecclesiae intrinsece mala declaravit. Quis non videt exinde pravum relativismum morale oriri, ac plane totum doctrinae Ecclesiae patrimonium in discrimen adduci?»). Concilium Vaticanum II, in contextu de obsequio quod humanae debetur personae, amplum talium actuum exemplum exhibet: “Quaecumque insuper ipsi vitae adversantur, ut cuiusvis generis homicidia, genocidia, abortus, euthanasia et ipsum voluntarium homicidium; quaecumque humanae personae integritatem violant, ut mutilationes, tormenta corpori mentive inflicta, conatus ipsos animos coërcendi; quaecumque humanam dignitatem offendunt, ut infrahumanae vivendi condiciones, arbitrariae carcerationes, deportationes, servitus, prostitutio, mercatus mulierum et iuvenum; condiciones quoque laboris ignominiosae, quibus operarii ut mera quaestus instrumenta, non ut liberae et responsales personae tractantur: haec omnia et alia huiusmodi probra quidem sunt, ac dum civilizationem humanam inficiunt, magis eos inquinant qui se gerunt, quam eos qui iniuriam patiuntur et Creatoris honori maxime contradicunt” (Gaudium et Spes, 27).

De actibus intrinsece malis, deque iis quae pertinent ad medicamenta quae conceptionem impediunt quorum vi coniugalis actus infecundus voluntarie redditur, Paulus PP. VI haec docet: “Verum enimvero, si malum morale tolerare, quod minus grave sit, interdum licet, ut aliquod maius vitetur malum vel aliquod praestantius bonum promoveatur, numquam tamen licet, ne ob gravissimas quidem causas, facere mala ut eveniant bona (Cfr. Rom. 3, 8): videlicet in id voluntatem conferre, quod ex propria natura moralem ordinem transgrediatur, atque idcirco homine indignum sit iudicandum, quamvis eo consilio fiat, ut singulorum hominum, domesticorum convictuum, aut humanae societatis bona defendantur vel provehantur” (PAULI VI Humanae Vitae, 14).

81. Ecclesia, cum nos docet actus nonnullos esse “intrinsece malos”, Sacrae Scripturae doctrinam sequitur. Apostolus Paulus omni asseveratione affirmat: “Nolite errare: neque fornicarii neque idolis servientes neque adulteri neque molles neque masculorum concubitores neque fures neque avari, non ebriosi, non maledici, non rapaces Regnum Dei possidebunt” (1 Cor. 6, 9-10).

Si actus intrinsece mali sunt, fieri potest ut recta intentio vel peculiaria rerum adiuncta malitiam quidem minuant, delere tamen nequeunt: ii “irreparabiliter” mali actus sunt, atque per se ipsos et in se ipsis ordinari nequeunt ad Deum neque ad bonum personae: “Cum iam opera ipsa peccata sunt – scribit sanctus Augustinus – sicut furta, stupra, blasphemiae, vel cetera talia, quis est qui dicat causis bonis esse facienda, ut vel peccata non sint, vel, quod est absurdius, iusta peccata sint?” (S. AUGUSTINI Contra Mendacium, VII, 18: PL 40, 528; cfr. S. THOMAE Quaestiones quodlibetales, IX, q. 7, a. 2; Catechismus Catholicae Ecclesiae, nn. 1753-1755).

Propterea, rerum adiuncta vel intentiones, numquam actum ob obiectum suum intrinsece pravum convertere poterunt in actum “subiective” probum, vel qui defendi possit velut delectio.

82. Ceterum bona est intentio, cum ad verum personae bonum tendit, respectu finis eius ultimi. Actus vero, quorum obiectum ad Deum “ordinari non potest” atque est “persona humana indignum”, eiusmodi bono semper utcumque adversantur. Ad hanc rationem observantia normarum, quae eiusmodi actus prohibent atque semper et pro semper vim cogendi habent, seu sine ulla exceptione, non modo rectam intentionem non minuit, sed omnino fundamentalem eius constituit significationem.

Doctrina obiecti, quatenus moralitatis fons, exhibet authenticam patefactionem moralis biblicae Foederis et mandatorum, caritatis ceterarumque virtutum. Moralis proprietas humanitus agendi pendet ex hac fidelitate erga mandata, oboedientiae et amoris signo. Hac de causa – iterum dicimus – ut erronea respuenda est opinio, quae tenet deliberatam quarundam agendi rationum vel actuum definitorum delectionem non posse iudicari moraliter malam ex genere suo, nulla ratione habita voluntatis, qua delectio patrata sit, aut neglecta consectariorum universi tate erga omnes quorum interest, quae pertinere ad illum actum praevideri possunt. Sine hac rationali determinatione moralitatis humanitus agendi, “ordo moralis obiectivus” affirmari non posset (Dignitatis Humanae, 7) neque quaelibet proponi norma finita in semet ipsa vi cogendi praedita sine ulla exceptione; et id damno humanae frater nitatis et veritatis de bono, ipsiusque communionis ecclesialis.
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Beitrag von Robert Ketelhohn »

Eine Handlung, die objektiv darauf ausgerichtet ist,
unschuldige Menschen zu töten, »läßt« sich nun ein-
mal – um Papst Johannes Paul zu zitieren – »nicht
auf Gott hinordnen« («ad Deum ordinari non potest»,
Veritatis splendor 82). Sie bleibt ein actus intrinsecus¹
malus
.


¹ Mit der Form intrinsecus gebe ich mich als Nicht-Moraltheologe zu erkennen.
Das im Fach gebräuchliche intrinsece ist einfach zu unlateinisch. Intrinsecus ist
nämlich schon Adverb. Der Katechismus verwendet es fälschlich als Adjektiv.
So viel Eitelkeit muß sein. ;D
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Raphael

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josephus hat geschrieben:.......... Prinzipien (Verbot der direkten Tötung Unschuldiger, Prinzip der Doppelwirkung einer Handlung, sittliches Recht auf Notwehr bzw. Verteidigung) im ..........
Bei den drei genannten Prinzipien besteht aus meiner Sicht in dem konkreten Fall Einigkeit bezüglich des ersten und des letzten Prinzips.

Bei dem zweiten Prinzip scheiden sich die Geister zwischen den Gesinnungsethikern einerseits und den Verantwortungsethikern andererseits.
Die Gesinnungsethiker sind nicht gewillt, die Tötung Unschuldiger in Kauf zunehmen, um das Töten Unschuldiger zu verhindern.
Die Verantwortungsethiker halten auch die Tötung Unschuldiger für geboten, wenn dadurch eine größere Anzahl Unschuldiger gerettet werden kann.

Aus der Abwägung, die die Verantwortungsethiker vornehmen, geht schon die Problematik hervor: Von ihnen wird eine Anzahl Leben gegen eine andere Anzahl Leben abgewogen (gewichtet). Diese Entscheidung kann IMHO nur falsch sein, weil es eine Wahl zwischen Pest und Cholera ist.
Die Begründung dafür, warum es sich um eine Wahl zwischen Pest und Cholera handelt, liegt in der schon geschilderten Unmeßbarkeit oder Unwägbarkeit des menschlichen Lebens.

Sittlich besser steht der da, der sich in der Situation einer Entscheidung enthält!


Ein theologischer Hintergrund für diese Einschätzung ist IMHO in dem negativen Vorbild des Kaiphas zu sehen, der die Ansicht äußert: Ihr bedenkt nicht, dass es besser für euch ist, wenn ein einziger Mensch für das Volk stirbt, als wenn das ganze Volk zugrunde geht. (Johannes 11, 50)

Auf unseren Fall angewendet heißt das: Weder darf ein Mensch für ein ganzes Volk sterben, noch ein Gruppe Menschen für eine andere Gruppe Menschen. Ihr Schicksal ist in Gottes Händen besser aufgehoben als am Raketenabschußknopf des Kampfjets ..........

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Robert Ketelhohn
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Beitrag von Robert Ketelhohn »

Allons hat geschrieben:Dann führt diese Diskussion doch unter folgendem Beispiel weiter:

In dem Flieger sitzen nur noch Entführer. Sie wollen ein Stadion treffen, das randvoll mit Zuschauern ist. Auf dem Weg vom Flugzeug zum Stadion ist Innenstadt, ebenfalls voller Menschen, man weiß allerdings nicht wie viele.

Preisfrage 1: Muß ein Soldat aus eigenem Antrieb die Maschine abschießen ?
Preisfrage 2: Falls er es nicht muß, und er tut’s trotzdem, ist ihm daraus ein Vorwurf zu machen ?

Dies alles, wohlverstanden, aus theol. Sicht.
Das Beispiel ist nun endlich eins, wo eine Abwägung erforderlich, aber auch sehr schwierig ist. Die Tötung Unschuldiger, sofern sie hier erfolgte (was nicht sicher ist) wäre tatsächlich nur eine indirekte. Direkt würden nur die Angreifer getötet.

Deine Fragen sind dennoch leicht zu beantworten:
ad 1. Nein, er muß keinesfalls. Das Risiko, viele unschuldige Menschen zu töten, ist sehr groß.
ad 2. Nein, sofern er eventuell getötete Unschuldige nicht treffen wollte, sondern nach Kräften unschuldige Opfer zu vermeiden sucht.

Ich ergänze noch Preisfrage 3 & 4:
3. Falls ihm der Abschuß befohlen wird, darf er den Befehl verweigern?
4. Wie würdest du handeln?

Meine Antworten:
ad 3.Ja, wenn ihm das Risiko der Tötung Unschuldiger zu hoch erscheint.
ad 4.Nach obiger Schilderung erschiene mir das Risiko zu hoch, Unschuldige zu töten, und ich würde als Pilot (nicht vorhandene Kampfpilotenfähigkeiten vorausgesetzt) das Passagierflugzeug durch entsprechende Manöver abzudrängen versuchen. Dasselbe würde ich als kommandierender Offizier befehlen. In beiden Fällen setzte ich mich notfalls über anderslautende Befehle höherer Stellen hinweg.
Propter Sion non tacebo, | ſed ruinas Romę flebo, | quouſque juſtitia
rurſus nobis oriatur | et ut lampas accendatur | juſtus in eccleſia.

Allons
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Beitrag von Allons »

Robert Ketelhohn hat geschrieben:Das Beispiel ist nun endlich eins, wo eine Abwägung erforderlich, aber auch sehr schwierig ist. Die Tötung Unschuldiger, sofern sie hier erfolgte (was nicht sicher ist) wäre tatsächlich nur eine indirekte. Direkt würden nur die Angreifer getötet.

Deine Fragen sind dennoch leicht zu beantworten:
ad 1. Nein, er muß keinesfalls. Das Risiko, viele unschuldige Menschen zu töten, ist sehr groß.
ad 2. Nein, sofern er eventuell getötete Unschuldige nicht treffen wollte, sondern nach Kräften unschuldige Opfer zu vermeiden sucht.

Ich ergänze noch Preisfrage 3 & 4:
3. Falls ihm der Abschuß befohlen wird, darf er den Befehl verweigern?
4. Wie würdest du handeln?

Meine Antworten:
ad 3.Ja, wenn ihm das Risiko der Tötung Unschuldiger zu hoch erscheint.
ad 4.Nach obiger Schilderung erschiene mir das Risiko zu hoch, Unschuldige zu töten, und ich würde als Pilot (nicht vorhandene Kampfpilotenfähigkeiten vorausgesetzt) das Passagierflugzeug durch entsprechende Manöver abzudrängen versuchen. Dasselbe würde ich als kommandierender Offizier befehlen. In beiden Fällen setzte ich mich notfalls über anderslautende Befehle höherer Stellen hinweg.
OK, sehr schön,

ad 3: Wir wollten theologisch bleiben. Die Frage der Befehlsverweigerung und die Stellung der RKK dazu kenne ich nicht. De jure: Er muß (Völlig anders im anderen Fall: Er darf nicht)

ad 4: Die Terroristen abzuschiessen wäre in jedem Fall legitim, solange der Angriff gegenwärtig ist. Bleiben die Unbeteiligten: Sichere Opfer im Stadion gegen unsichere Opfer auf den Strassen: Abschuß.

Abdrängen macht nämlich nur Sinn, wenn die Terroristen eine Kollision scheuen. Und das ist unwahrscheinlich. Denn die machen dieselbe Abwägung, nur anders herum. Absturz ist second best.

Wenn Ihr Pilot beim Abdrängen draufgeht haben Sie die "österreichische Lösung": Flugzeug kaputt, Pilot tot, Stadion brennt.

Besten Gruß, Allons!

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Beitrag von Allons »

Raphael hat geschrieben:Ihr Schicksal ist in Gottes Händen besser aufgehoben als am Raketenabschußknopf des Kampfjets ..........
Wobei sich aus dem Zweiten das Erste ergeben könnte. Sorry wegen der Berichtigungen vorhin.

Gruß, Allons!

Raphael

Beitrag von Raphael »

Allons hat geschrieben:
Raphael hat geschrieben:Ihr Schicksal ist in Gottes Händen besser aufgehoben als am Raketenabschußknopf des Kampfjets ..........
Wobei sich aus dem Zweiten das Erste ergeben könnte. Sorry wegen der Berichtigungen vorhin.

Gruß, Allons!
Wo Du Recht hast, hast Du recht! ;)

Nichtsdestoweniger können sich Nothilfemaßnahmen aus einem Notstand ergeben. 8)


Einer der Unterschiede zwischen der Jurisprudenz und der Moraltheologie ist offenbar, daß die Jurisprudenz keine objektiv falsche Handlungen kennt, da sie immanentistisch verhaftet ist. Sie ist gleichsam in den Monismus eingebettet.

Die Moraltheologie kann da anders argumentieren, da sie einen Bezug zum Absoluten kennt, aus dem heraus sich bestimmte Handlungen a priori verbieten.

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ar26
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Beitrag von ar26 »

Raphael hat geschrieben:Einer der Unterschiede zwischen der Jurisprudenz und der Moraltheologie ist offenbar, daß die Jurisprudenz keine objektiv falsche Handlungen kennt, da sie immanentistisch verhaftet ist. Sie ist gleichsam in den Monismus eingebettet.
Das ist Unsinn. Das dt. Strafrecht unterscheidet zwischen der objektiv rechtswidrigen und der subjektiv vorwerfbaren Tat.
Der Deliktsaufbau ist dreistufig. Neben dem einschlägigen Tatbestand wird die objektive Rechtswidrigkeit geprüft (hier kommen Rechtfertigungsgründe wie Notwehr, Nothilfe, rechtfertigender Notstand etc.) in Betracht. Auf der dritten Stufe, der sogenannten Schuldebene wird die subjektive Vorwerfbarkeit geprüft (hier kommen Entschuldigungsgründe wie entschuldigender Notstand, Störung der Geistestätigkeit etc.) in Betracht.

Raphael

Beitrag von Raphael »

ar26 hat geschrieben:
Raphael hat geschrieben:Einer der Unterschiede zwischen der Jurisprudenz und der Moraltheologie ist offenbar, daß die Jurisprudenz keine objektiv falsche Handlungen kennt, da sie immanentistisch verhaftet ist. Sie ist gleichsam in den Monismus eingebettet.
Das ist Unsinn. Das dt. Strafrecht unterscheidet zwischen der objektiv rechtswidrigen und der subjektiv vorwerfbaren Tat.
Der Deliktsaufbau ist dreistufig. Neben dem einschlägigen Tatbestand wird die objektive Rechtswidrigkeit geprüft (hier kommen Rechtfertigungsgründe wie Notwehr, Nothilfe, rechtfertigender Notstand etc.) in Betracht. Auf der dritten Stufe, der sogenannten Schuldebene wird die subjektive Vorwerfbarkeit geprüft (hier kommen Entschuldigungsgründe wie entschuldigender Notstand, Störung der Geistestätigkeit etc.) in Betracht.
Schade, da hast Du mich wohl falsch verstanden!
Ich sprach von einer objektiv falschen Handlung nicht von einer objektiv rechtswidrigen Handlung.
Objektiv rechtswidrig kann eine Handlung nur sein, wenn zuvor positives Recht gesetzt worden ist.
Objektiv falsch kann eine Handlung auch dann sein, wenn dieses positive Recht fehlt, eine naturrechtliche Vorgabe jedoch vorhanden ist.
Ich hoffe, der Unterschied ist damit deutlicher geworden.

Die Prüfung des einschlägigen Tatbestandes ist AFAIK im deutschen Strafrecht sozusagen wertungsfrei. Es wird nur geprüft, ob die Handlungen bestimmte Kriterien erfüllt oder eben nicht.

Eine juristische Wertung erfolgt dann erst auf der Ebene der kodifizierten Rechtswidrigkeit (objektiv) bzw. auf der Ebene der Schuld (subjektiv).

Allons
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Beitrag von Allons »

Raphael hat geschrieben:Einer der Unterschiede zwischen der Jurisprudenz und der Moraltheologie ist offenbar, daß die Jurisprudenz keine objektiv falsche Handlungen kennt, da sie immanentistisch verhaftet ist. Sie ist gleichsam in den Monismus eingebettet.
Der wichtigste Unterschied zwischen Jurisprudenz und der Moraltheologie ist zunächst, dass gesetztes Recht den verbindlichen ethischen Minimalkonsens zwischen Bürgern darstellt. Es kann von da her auch gar nicht deckungsgleich sein.

Ob die Jurisprudenz immanetisch verhaftet ist kann ich nicht beurteilen, zumal ich das Wort nicht verstehe 8) "Verhaftet" bzw. "eingebettet" verstehe ich ;)

Rein objektive Deliktegibt es tatsächlich nicht, zumindest nicht ohne subjektive Tatbestandsmerkmale. Handlungen interessieren uns nur soweit, als sie in unser Raster passen.

Das Strafrecht unterscheidet zwischen Handlungs- bzw. Erfolgsunrecht und dem Gesinnungsunrecht. Letzteres ist rein subjektiv (intrinsisch), der Rest rein objektiv (durch Dritte Beobachter erfaßbar) definiert. Alle Delikte im Strafrecht haben in ihrem Tatbestand mindestens ein objektives Merkmal, zusätzlich Vorsatz bzw. Fahrlässigkeit als subjektive Tatbestandsmerkmale.

Wenn Rechtfertigungsgründe eingreifen muß ebenfalls eine objektive Rechtfertigungslage einem subjektiven "Rechtfertigungswillen" entsprechen. Problematisch und auch innerhalb der Rechtswissenschaft umstritten sind natürlich die Fälle, in denen das nicht der Fall ist weil der Täter sich entweder über Vorliegen oder Nichtvorliegen der Rechtfertigungslage irrt oder andere Motive verfolgt.

Aber ich tappe im dunklen off-topic herum, näheres gerne per PM.

Gruß, Allons!

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ar26
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Beitrag von ar26 »

Raphael hat geschrieben: Schade, da hast Du mich wohl falsch verstanden!
Ich sprach von einer objektiv falschen Handlung nicht von einer objektiv rechtswidrigen Handlung.
Objektiv rechtswidrig kann eine Handlung nur sein, wenn zuvor positives Recht gesetzt worden ist.
Objektiv falsch kann eine Handlung auch dann sein, wenn dieses positive Recht fehlt, eine naturrechtliche Vorgabe jedoch vorhanden ist.
Ich hoffe, der Unterschied ist damit deutlicher geworden.
Ja, da scheine ich Dich falsch verstanden zu haben. Ich sehe, daß du sehr wohl zwischen Rechtswidrigkeit und Schuld trennst, auch bei der Beschreibung des Tatbestandes stimme ich Dir zu.

Ich habe allerdings die Termini "objektiv falsch" und "objektiv rechtswidrig" immer synonym gesetzt, was wohl darin begründet liegt, daß positives Recht, wie etwa das StGB sich aus meiner Sicht nur in formaler Hinsicht vom Naturrecht (besser: überpositives Recht) unterscheidet. Ich billige als Anti-Rechtspositivist dem positiven Recht keinen eigenen materiellen Gehalt zu, sondern sehe es als überpositives Recht, daß durch den lediglich formalen Akt der Gesetzgebung sozial verbindlich geworden ist.

josephus
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Beitrag von josephus »

Hier ein kath.net-Kommentar von P. Engelbert Recktenwald zu diesem Thema, der meiner Auffassung nach richtig liegt:
http://kath.net/detail.php?id=18277

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ar26
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Beitrag von ar26 »

Danke für den Link, Hw. Dr. Spindelböck. Ich glaube nunmehr, daß das Problem der Diskussion hier an zwei Punkten "hängt" und versuche dies mal im folgenden zu skizzieren.

1. vorsätzliche Handlung
Aus meiner Sicht bestimmt sich der Vorsatz einer Handlung nicht nur nach dem Wollen, sondern auch nach dem Wissen. Ich handle mMn also nicht nur dann vorsätzlich, wenn ich den Erfolg einer bestimmten Handlung herbeiwünsche, sondern auch dann, wenn ich mit Sicherheit weiß, daß dieser Erfolg eintritt, selbst wenn ich diesen Erfolg nicht wünsche oder ihn gar regelrecht ablehne. Im Strafrecht nennen wir das dolus directus II. Grades.
Kernfrage ist hier: Ist eine Handlung, von der ich sicher weiß, daß sie
zum Tod eines (oder mehrerer) Unschuldiger führt, in sich schlecht auch wenn ich dieses Ergebnis nicht erreichen will? - Ja oder Nein?

2.Handlungsobjekt
Das zweite Problem ist das Handlungsobjekt. Im Beispielsfall haben wir das Flugzeug oder den unschuligen Passagier zur Auswahl. Problematisch ist hier, daß das Schicksal des Objektes Flugzeug sich direkt auf das Schicksal des "Objektes" unsch. Passagier auswirkt.
Die Frage, auf welches der beiden Objekte sich meine Handlung bezieht, kann ich auf zweierlei Art beantworten:
a) sie bezieht sich auf das Objekt, das ich auserwählt habe (das Flugzeug)
b) sie bezieht sich auf alle Objekte, die von meiner Handlung irgendwie beeinflusst werden (also auch die Passagiere).
Welche Methode zur Bestimmung des Objektes ist richtig? a oder b?


Zunächst einmal ein Dankeschön hier einmal allen Mitdiskutanden für ihre Beiträge zur Erhellung des Verständisses und der Lehre, insbesondere Hw. Dr. Spindelböck und Robert Ketelhohn.


Weiters interessiere ich mich gerade für das Problem der Beendigung einer Eileiterschwangerschaft und deren moraltheolog. Probleme. Leider hab ich kein deutschsprachiges Dokument hinsichtlich des Problems gefunden. Allerdings diesen englischen Link: http://www.ewtn.com/library/PROLIFE/INDIRECT.TXT
Wenn jemand weitere glaubenstreue Quellen zum Problem kennt, her damit.

Mir dünkt, daß die skizzierten Probleme hier vergleichbar sind, zumal Eileiterschwangerschaften im Gegensatz zum Abschuss eines Zivilflugzeuges tatsächlich vorkommen und gar nicht mal so selten. Die Relevanz für kath. Eheleute oder kath. Krankenhäuser ist wohl selbsterklärend.

josephus
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Beitrag von josephus »

Lieber ar26,

ich würde folgendermaßen antworten:
1. Die Handlung ist in sich nicht schlecht, wenn ich sie direkt anziele, nicht aber insofern sie eine zwar vorhergesehene, aber nicht beabsichtigte Nebenwirkung einer anderen Handlung ist. Ob sie konkret verantwortbar ist, ist dennoch zu klären (anhand der sittlichen Prinzipien und konkreten Umstände), wie dies ja auch P. Recktenwald gezeigt hat.
2. Das Handlungsobjekt ist tatsächlich nur die Abwehr des zur Waffe umfunktionierten Flugzeugs; wenn es kein Passagierflugzeug wäre, sondern eine Frachtmaschine, die von einem Terroristen gekapert würde, ließe sich dies noch klarer herausstellen.

Zur Eileiterschwangerschaft kann ich auf das kirchliche Dokument "Leben in Fülle" verweisen, bei dem ich mitgearbeitet habe!

Gegenüber Roberts umfangreichen Belegen kirchlicher Stellen zur Moraltheologie lege ich Wert darauf, dass ich diese alle kenne und inhaltlich bejahe, ja gerade auf derem Hintergrund auch meine Auffassung in der konkreten Frage entwickelt habe ;)

Vielleicht auch noch eine Klarstellung: Die erste befürwortende Stellungnahme von Bischof Mixa war zwar im Ergebnis grundsätzlich richtig, jedoch in der Art seiner Argumentation "konsequentialistisch". Eben darum habe ich mich auch bemüht, die Sacher "sauber" zu lösen, ähnlich wie P. Recktenwald!

Mit herzlichen Grüßen und Segenswünschen an alle interessierten Leser
Josef Spindelböck (Josephus)

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Pelikan
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Beitrag von Pelikan »

ar26 hat geschrieben:Weiters interessiere ich mich gerade für das Problem der Beendigung einer Eileiterschwangerschaft und deren moraltheolog. Probleme. Leider hab ich kein deutschsprachiges Dokument hinsichtlich des Problems gefunden. Allerdings diesen englischen Link: http://www.ewtn.com/library/PROLIFE/INDIRECT.TXT
Wenn jemand weitere glaubenstreue Quellen zum Problem kennt, her damit.

Mir dünkt, daß die skizzierten Probleme hier vergleichbar sind, zumal Eileiterschwangerschaften im Gegensatz zum Abschuss eines Zivilflugzeuges tatsächlich vorkommen und gar nicht mal so selten. Die Relevanz für kath. Eheleute oder kath. Krankenhäuser ist wohl selbsterklärend.
Ja, die Analogie ist interessant, und würde es lohnen ins Detail zu gehen. Sowohl die von dir verlinkte Stellungnahme als auch das von Josephus verlinkte Dokument heben den indirekten Zusammenhang hervor, der zwischen dem Entfernen des Eileiters und dem Ableben des in ihm befindlichen Kindes besteht. Optimal, so schreiben die Bischöfe, wäre es, das Kind zu verpflanzen. Der Gegenstand der Operation darf also nur die Entfernung des schädigenden Eileitergewebes sein; wenn das Kind stirbt, dann nur deshalb, weil uns noch nicht die Mittel zur Verfügung stehen, es unter diesen Umständen am Leben zu erhalten.

Die Übertragung dieser Gedanken auf den Fall des entführten Flugzeugs ist allerdings nicht so einfach. Ausgeschlossen ist jedenfalls der einfache Ausweg, den die Befürworter der Abschußoption hier vertreten: Daß ein rein psychischer Vorbehalt, eine Art Autosuggestion hinsichtlich der Tatabsicht, die Sündhaftigkeit der Tat vermeidet. Auf lehramtliche Entscheidungen aus den ersten Tagen der Auseinandersetzung des Heiligen Offiziums mit dem Konsequentialismus habe ich oben bereits verwiesen: Der Sklave sündigt durch das Halten der Leiter auch dann, wenn er seine Absicht rein innerlich auf ein gutes statt auf ein böses Ziel richtet (DH 2151). Es ist also nicht möglich, eine Massentötung dadurch zu rechtfertigen, daß man innerlich die Unschuldigen aus dem Willen ausklammert.

Es darf nicht nur im Denken, sondern es muß im Handeln des Kampfpiloten zum Ausdruck kommen, daß er lediglich das Flugzeug am Weiterflug hindern will, ohne die Insassen zu töten. Die allgemeine Rede vom "Abschuß" ist ja sehr unpräzise. So wie die Theologen, die über die Eileiterschwangerschaft urteilen, zurecht alle medizinischen Details betrachten und einordnen, müssen die verschiedenen Möglichkeiten und Waffen, die dem Kampfpiloten zur Verfügung stehen, dahingehend bewertet werden, welche von ihnen geeignet sind, die Bewegung des Flugzeugs zu stoppen, ohne die Insassen einer Gefahr auszusetzen, die über die Gefährdung durch ein so beschädigtes Flugzeug hinausgeht. Ausgeschlossen werden muß aber jenes extreme Mittel, von dem die Befürworter in dieser Diskussion offenbar ausgehen, nämlich Waffeneinsatz zwecks Detonation des gesamten Flugzeugs in der Luft. Dieses wählt eine unterschiedslose Massentötung von Schuldigen wie Unschuldigen als Mittel (nicht Wirkung!), ein böses Mittel, das durch innerliche Manipulation der Intention nicht geheilt werden kann.

josephus
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Beitrag von josephus »

Nein, lieber Pelikan, es geht nicht nur um eine innerliche Intention, so wichtig diese auch ist: Durch die Umfunktionierung des Flugzeugs zur Waffe durch den Terroristen hat sich die "sittliche Bedeutsamkeit" dieses Objekts Flugzeug im Wesen geändert: Es ist nun nicht mehr ein Transportmittel für Menschen oder Waren, sondern primär eine Waffe, in der "zufällig" (akzidentiell) auch (unschuldige) Menschen sitzen. Genau gegen diese Waffe richtet sich die defensive Absicht im Fall eines Abschusses; dass dabei auch Menschen getroffen werden, die "zufällig" dabei sind, ist überaus bedauerlich und schwerwiegend und macht eine Abwägung der Folgen nötig, ändert aber nichts am wesentlichen Unterschied zu einem Flugzeug, das seinen ureigenen Zweck als Transportmittel erfüllt.
Ich gebe auch noch ein anderes Beispiel: Gehen wir von einer Militärmaschine aus, die sich im Angriffsflug auf eine Stadt befindet. Darf man diese abschießen? Die Antwort auch von Robert wird ziemlich sicher "Ja" lauten, auch wenn klar ist, dass der Pilot das Leben verliert; er gilt ja hier als Angreifer, unabhängig davon, wie er selber seine "Mission" versteht. Entsprechend der Logik, die von den Gegnern des Abschusses vertreten wird, wäre dann, wenn z.B. der Pilot des Kampfflugzeugs vor seinem kriegerischen Einsatz noch einige Zivilisten an Bord nimmt, ein Abschuss nicht mehr möglich. Genau hier sieht man aber, zu welchen Widersprüchen diese eingeengte Sicht führt.
Prinzipiell, so meine ich, ist nach dem terroristischen Kapern einer zivilen Maschine kein Unterschied mehr gegeben zu einer Militärmaschine, die ein kriegerisches Ziel verfolgt. D.h. es muss erlaubt sein, sich gegen den Aggressor zu wehren, selbst dann wenn indirekt (sowohl der Sache als auch der Absicht nach) Unschuldige ihr Leben verlieren.
Ich hoffe, damit sind alle Zweifel ausgeräumt :D

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Pelikan
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Beitrag von Pelikan »

josephus hat geschrieben:Nein, lieber Pelikan, es geht nicht nur um eine innerliche Intention, so wichtig diese auch ist: Durch die Umfunktionierung des Flugzeugs zur Waffe durch den Terroristen hat sich die "sittliche Bedeutsamkeit" dieses Objekts Flugzeug im Wesen geändert: Es ist nun nicht mehr ein Transportmittel für Menschen oder Waren, sondern primär eine Waffe, in der "zufällig" (akzidentiell) auch (unschuldige) Menschen sitzen. Genau gegen diese Waffe richtet sich die defensive Absicht im Fall eines Abschusses; dass dabei auch Menschen getroffen werden, die "zufällig" dabei sind, ist überaus bedauerlich und schwerwiegend und macht eine Abwägung der Folgen nötig, ändert aber nichts am wesentlichen Unterschied zu einem Flugzeug, das seinen ureigenen Zweck als Transportmittel erfüllt.
Das halte ich für abwegig. Jeder Gegenstand läßt sich als Waffe einsetzen, ohne daß sich dadurch sein Wesen ändert. Ein Wanderstab, mit dem ich jemanden erschlage, ist nach wie vor ein Wanderstab. Was die Unschuldigen angeht, ist die bedeutsame Frage nicht, ob sie akzidentiell anwesend sind (das mögen sie sein), sondern ob ihre Tötung akzidentiell erfolgte, und das täte sie nicht.
Ich gebe auch noch ein anderes Beispiel: Gehen wir von einer Militärmaschine aus, die sich im Angriffsflug auf eine Stadt befindet. Darf man diese abschießen? Die Antwort auch von Robert wird ziemlich sicher "Ja" lauten, auch wenn klar ist, dass der Pilot das Leben verliert; er gilt ja hier als Angreifer, unabhängig davon, wie er selber seine "Mission" versteht. Entsprechend der Logik, die von den Gegnern des Abschusses vertreten wird, wäre dann, wenn z.B. der Pilot des Kampfflugzeugs vor seinem kriegerischen Einsatz noch einige Zivilisten an Bord nimmt, ein Abschuss nicht mehr möglich. Genau hier sieht man aber, zu welchen Widersprüchen diese eingeengte Sicht führt.
Ich bin ebenfalls der Meinung, daß Militärmaschinen zerstört werden dürfen. Um zu diesem Schluß zu gelangen, ist es allerdings gar nicht nötig, eine unmittelbare Bedrohung durch sie zu konstruieren, und darin liegt auch der bedeutsame Unterschied: Wenn Krieg herrscht, dürfen die Kriegsinstrumente des Feindes dezimiert und seine Soldaten getötet werden, um seine Kampfkraft zu schwächen. Dann ist die Zerstörung der Maschine selbst das legitim angestrebte Ziel, was bei der entführten Passagiermaschine gerade nicht der Fall ist.

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Beitrag von josephus »

Ich habe nicht gesagt, dass sich das physische Wesen des Flugzeuges ändert, sondern seine "sittliche Bedeutsamkeit": es ist zur Waffe geworden. Darauf ist nun auch eine andere Antwort (im Sinn der Abwehr dieser Gefahr) nötig als zuvor!

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Beitrag von Pelikan »

josephus hat geschrieben:Ich habe nicht gesagt, dass sich das physische Wesen des Flugzeuges ändert, sondern seine "sittliche Bedeutsamkeit": es ist zur Waffe geworden. Darauf ist nun auch eine andere Antwort (im Sinn der Abwehr dieser Gefahr) nötig als zuvor!
Einverstanden, nur sehe ich nicht, wie eine solche Umfunktionalisierung den Stellenwert der anwesenden Unschuldigen bei der sittlichen Beurteilung irgendwie schmälern sollte. Eher wird er noch erhöht, da vormals einfache Reisende nun durch die Waffe in Todesgefahr geraten sind und des Schutzes bedürfen.

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Beitrag von josephus »

Daran dass nun Unschuldige plötzlich in Todesgefahr geraten, trägt der Terrorist schuld. Er ist der Aggressor, nicht jener, der sich bemüht, die das zur Waffe gewordene Flugzeug zu neutralisieren. Der Abschuss ist freilich, wie oben bemerkt, das letzte Mittel ("ultima ratio"). Es müßte also nach Wegen gesucht werden, das Flugzeug z.B. umzulenken etc. Erst wenn alle anderen Mittel der Verteidigung unzureichend sind und sich der Abschuss als wirklich effektiv (im Sinn der Lebensrettung Unschuldiger und der Bewahrung vor noch größerer Gefahr!) erweist, darf dieser erfolgen.

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Janet1983
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Beitrag von Janet1983 »

Ich dachte gerade an eine Art Fernsteuerung. Durch Aktivierung des Piloten kann der nichts mehr machen und ist damit auch nicht mehr erpressbar. Das Flugzeug landet wie es soll und das ganz ohne Einwirkung von Innen. Das würde jedes Kidnapping sinnlos machen.
War nur so ne spontane Vorstellung... kam mir grad mal so...

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Beitrag von Allons »

Grundsätzlich gute Idee, ein Autopilot kann die Maschine zumindest ausserhalb des Stadtbereiches bringen, freilich sind Autopiloten noch zu dämlich einen Flieger zu landen. Aber egal, der Terrorist mag dann seine Waffe fortan statt gegen ein volles Fußballstadion gegen ein Brandenburger Kiefernwäldchen richten. 8)

Gruß, Allons!

Raphael

Beitrag von Raphael »

Allons hat geschrieben:Ob die Jurisprudenz immanetisch verhaftet ist kann ich nicht beurteilen, zumal ich das Wort nicht verstehe 8) "Verhaftet" bzw. "eingebettet" verstehe ich ;)
Entschuldige bitte den Gebrauch von Fremdworten. Eine einfache Internet-Recherche sollte Dich auf die aktuelle Bedeutung dieses philosophischen Begriffes bringen. ;D

Bei der Recherche jedoch bitte nach "immanentistisch" suchen, "immanentisch" scheint mir Deine eigene Wortschöpfung zu sein. 8)

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