Das klingt sehr danach, daß dir deine private Frömmigkeit und Gefühlswelt wichtiger ist als das, was die Kirche als ganze mit der Liturgie und ihren Gesängen aussagen will. Verzeih mir die boshafte Anmerkung, aber nichts anderes macht im Grunde die Esoterik-Welle: Jeder sucht sich aus dem religiösen Angebot raus, was ihm gefällt.Ewald Mrnka hat geschrieben:Meinetwegen könnte man auf sämtliche Gemeindegesänge in der Messe verzichten. Gregorianik reicht mir völlig.
Auf Orgel und andere Instrumente lege ich auch keinen Wert.
Stille Messen sind für meine Andacht optimal und am stärksten spricht mich die Göttliche Liturgie an - und da wiederum geht nichts über die Russen - da fühle ich mich schon an der Himmelstür.
Eine kleine Anmerkung zu den russischen Gesängen der Göttlichen Liturgie:
Die sind recht gemütvoll, da hast du recht, und für uns funktionsharmonisch versaute Mitteleuropäer bestens verträglich. Aber vieles, was heute in der "russischen" Liturgie gesungen wird, stammt aus der heutigen Ukraine (Kiewer Choral), und ist musikhistorisch betrachtet etwas zweifelhaft. In Rußland gab es früher einen hochentwickelten einstimmigen "Choral", der aber heute nur noch in rudimentären Resten als sogenannte "neumatische Gesangsart" überliefert ist, in der sich kaum etwas von der ursprünglichen Kunstfertigkeit erhalten konnte, zumal er kaum mehr einstimmig gesungen wird, sondern meist in mehrstimmigen Vertonungen des 18.-20. Jahrhunderts. Die sind, wie auch der Kiewer Choral, stark von westlichen Einflüssen geprägt, von protestantischen Choralsätzen bis zur italienischen Opernmusik.
Das Verhältnis von diesem alten russischen Choral zur heutigen Praxis ist ein bißchen so, als wüßte man in ein paar hundert Jahren zwar noch, daß es mal eine echte alpenländische Volksmusik gegeben hat, aber als einziges Klangbeispiel hätte man einen Mitschnitt des "Musikantenstadls" mit Karl Moik.
Das authentischste byzantinische Pendant zu unserem lateinischen Gregorianischen Choral ist wohl der Gesang der griechischen Kirchen, in dem sich noch die Tonalität aus der Antike erhalten hat, und der wirklich durch Mark und Bein geht, auch wenn er manchmal eher an den Gesang eines Muezzins erinnert als an das, was wir als "christliche" Musik gewöhnt sind.