Lied: "Du bist Herr"

Schriftexegese. Theologische & philosophische Disputationen. Die etwas spezielleren Fragen.
Benutzeravatar
Werner Krotz
Beiträge: 3
Registriert: Dienstag 25. Dezember 2007, 15:10
Wohnort: Pressbaum bei Wien
Kontaktdaten:

Lied: "Du bist Herr"

Beitrag von Werner Krotz »


Es handelt sich um ein englisches Lied. Der Autor ist Reverend Marvin Frey. Der Originaltext lautet:
„He is Lord, He is Lord,
He is risen from the dead and He is Lord!
Every knee shall bow,
Every tongue confess that Jesus Christ is Lord.”

In der englischen Sprache heißt “shall” sowohl “wird” als auch “soll”.

In allen deutschsprachigen Liederbüchern, die ich kenne, ist das Lied mit folgendem Text wiedergegeben:
„Du bist Herr! Du bist Herr! Du bist auferstanden und du bist Herr!
Jedes Knie muss sich beugen, jede Zunge muss bekennen, dass Jesus ist der Herr.“

Der zweite Abschnitt bezieht sich auf Phil 2, 10-11. Das lautet in der Einheitsübersetzung so:
„…, damit alle im Himmel, auf der Erde und unter der Erde ihre Knie beugen vor dem Namen Jesu und jeder Mund bekennt: »Jesus Christus ist der Herr« - …“

Und in der Menge-Bibel:
„…, damit im Namen Jesu (oder: beim Namen »Jesus«) sich jedes Knie aller derer beuge, die im Himmel und auf der Erde und unter der Erde sind, und jede Zunge bekenne, dass Jesus Christus der Herr ist, …“

Der Verfasser des Philipperbriefes hinwiederum bezieht sich auf Jes 45, 23-24. Das lautet in der Einheitsübersetzung so:
„… Vor mir wird jedes Knie sich beugen und jede Zunge wird bei mir schwören: Nur beim Herrn … gibt es Rettung und Schutz.“

Und in der Menge-Bibel:
„… Vor mir soll jedes Knie sich beugen, mir jede Zunge schwören! »Im Herrn allein« - so wird man bekennen - »habe ich volle Gerechtigkeit und Stärke«; …“

Daher sollte der zweite Abschnitt des Liedes eigentlich lauten:
„Jedes Knie wird sich beugen, jede Zunge wird bekennen, dass Jesus ist der Herr.“

Oder:
„Jedes Knie soll sich beugen, jede Zunge soll bekennen, dass Jesus ist der Herr.“

Man kann auch in der griechischen Bibel nachlesen. Es geht hier um "pan gonu kamphe", um "jedes Knie beugt sich". Das Beugen (kampto) steht im Aorist Konjunktiv (kamphe). Das ist eine Zeitform, die wir im Deutschen nicht haben. Sie hat nach D. Eberhard Nestle (Sprachlicher Schlüssel zum Griechischen Neuen Testament, 13. Auflage, bearbeitet von Fritz Rienecker, 1970, Seite XIV) eine ganz eigentümliche Bedeutung, gerade auch im Neuen Testament. Sie bezeichnet die Vollendung, auch die einmalige Handlung oder das momentan Eintretende.

Es gibt dadurch für die Übersetzung von "pan gonu kamphe" zwei Möglichkeiten: 1. Jedes Knie wird sich beugen (Vollendung) oder 2. Jedes Knie beugt sich (einmalige Handlung).

Es gibt noch eine weitere Überlegung:
"Jedes Knie muss sich beugen" ist eine schwache Formulierung; nur die Dämonen müssen sich beugen.
"Jedes Knie wird sich beugen" ist eine starke Formulierung. Wir vertrauen darauf, dass sich einmal jedes menschliche Knie in Freiheit beugen und Jesus Christus als den Herrn anerkennen wird.

Jedenfalls hat das „muss“ mit dem ursprünglichen Lied nichts zu tun, sondern ist eine Interpretation der deutschen Übersetzer (V. und J. Wicker).

Ich fände es schön, wenn man so singen würde:
„Du bist Herr! Du bist Herr! Du bist auferstanden und du bist Herr!
Jedes Knie wird sich beugen, jede Zunge wird bekennen, dass Jesus ist der Herr.“

Was meint Ihr dazu?

Liebe Grüße
Werner
Leben und leben lassen
http://wernerkrotz.net

Benutzeravatar
Robert Ketelhohn
Beiträge: 26022
Registriert: Donnerstag 2. Oktober 2003, 09:26
Wohnort: Velten in der Mark
Kontaktdaten:

Beitrag von Robert Ketelhohn »

Der Vers lautet griechisch: »ἵνα ἐν τῷ ὀνόματι ᾽Ιησοῦ πᾶν γόνυ κάμψῃ ἐπουρανίων καὶ ἐπιγείων καὶ καταχϑονίων«. Den (konjunktivischen) Aorist κάμψῃ [kámpse] könnte man hier zunächst für gewissermaßen lexikalisch bedingt ansehen: Das Niederfallen mit dem Beugen der Knie ist eine punktuelle, einmalige Handlung, keine andauernde Handlung und kein Zustand. Das der Aorist eigentlich ein Vergangenheitstempus ist, spielt keine Rolle; dies ist im wesentlichen nur im Indikativ von Bedeutung, in den übrigen Modi wird der Aorist gewählt, um die Aktionsart auszudrücken. (Daß wir im übergeordneten Satz ein Vergangenheitstempus haben, ist auch irrelevant: denn eine consecutio temporum, wie sie das Lateinische kennt, hat die griechische Sprache nicht.)

Freilich könnte man fragen, weshalb hier nicht einfach der coniunctivus præsentis steht. Möglich wäre das jedenfalls auch. Wenn dennoch der coniunctivus aoristi steht, dann offenbar, um die inchoative Aktionsart besonders zu betonen, wenngleich sie von der Wortbedeutung ohnehin schon nahegelegt wird. Es geht bei jener „Kniebeugung“ also um einen einmaligen Akt der Anerkenntnis des Herrn und der Unterwerfung unter seine Herrschaft.
Propter Sion non tacebo, | ſed ruinas Romę flebo, | quouſque juſtitia
rurſus nobis oriatur | et ut lampas accendatur | juſtus in eccleſia.

Benutzeravatar
Linus
Beiträge: 15072
Registriert: Donnerstag 25. Dezember 2003, 10:57
Wohnort: 4121 Hühnergeschrei

Beitrag von Linus »

"Ich fände es schön, wenn man so singen würde:
„Du bist Herr! Du bist Herr! Du bist auferstanden und du bist Herr!
Jedes Knie wird sich beugen, jede Zunge wird bekennen, dass Jesus ist der Herr.“
Servus! (willkommen hier!)

Ich kenn den Text des Lieds nur wie oben. Anders wirds nicht gesungen.

Lieben Gruß
Linus, vom anderen Ende der Stadt am Donaustrand
"Katholizismus ist ein dickes Steak, ein kühles Dunkles und eine gute Zigarre." G. K. Chesterton
"Black holes are where God divided by zero. - Einstein

Benutzeravatar
holzi
Beiträge: 7948
Registriert: Montag 28. November 2005, 15:00
Wohnort: Regensburg

Beitrag von holzi »

Ich kenn's auch mit "muss".

Benutzeravatar
cantus planus
Beiträge: 24273
Registriert: Donnerstag 20. Juli 2006, 16:35
Wohnort: Frankreich: Département Haut-Rhin; Erzbistum Straßburg

Beitrag von cantus planus »

Mir sind ebenfalls beide Varianten bekannt.
(Zum Überdruss, übrigens...)
Nutzer seit dem 13. September 2015 nicht mehr im Forum aktiv.

‎Tradition ist das Leben des Heiligen Geistes in der Kirche. — Vladimir Lossky

Benutzeravatar
Linus
Beiträge: 15072
Registriert: Donnerstag 25. Dezember 2003, 10:57
Wohnort: 4121 Hühnergeschrei

Beitrag von Linus »

cantus planus hat geschrieben:Mir sind ebenfalls beide Varianten bekannt.
(Zum Überdruss, übrigens...)
Fast so schlimm wie GL 801/802 ? :hmm: :mrgreen:
"Katholizismus ist ein dickes Steak, ein kühles Dunkles und eine gute Zigarre." G. K. Chesterton
"Black holes are where God divided by zero. - Einstein

Benutzeravatar
Werner Krotz
Beiträge: 3
Registriert: Dienstag 25. Dezember 2007, 15:10
Wohnort: Pressbaum bei Wien
Kontaktdaten:

Beitrag von Werner Krotz »

"Du bist Herr" - Ich liebe dieses Lied sehr. Es greift den wunderbaren präpaulinischen Hymnus aus dem Philipperbrief auf und führt tief in die Anbetung.

Bei mir also kein Überdruss.

Liebe Grüße
Werner
Leben und leben lassen
http://wernerkrotz.net

Benutzeravatar
holzi
Beiträge: 7948
Registriert: Montag 28. November 2005, 15:00
Wohnort: Regensburg

Beitrag von holzi »

Linus hat geschrieben:Fast so schlimm wie GL 801/802 ?
Was ist an der Lebensbeschreibung des Hl. Wolfgang und des Hl. Emmeram schlimm? Zumindest in meinem Gotteslob ist das auf 801/802 drin.

Leider ist mit dem Ende des Heiligen Römischen Reiches Teutscher Nation und der Kaiserlichen Residenz in Wien auch die Allgemeinverbindlichkeit des Wiener Gesangbuches Vergangenheit. :mrgreen:

Welche Lieder verbergen sich denn in deinem GL unter 801/802?

Gespannt
Holzi

Benutzeravatar
cantus planus
Beiträge: 24273
Registriert: Donnerstag 20. Juli 2006, 16:35
Wohnort: Frankreich: Département Haut-Rhin; Erzbistum Straßburg

Beitrag von cantus planus »

Linus hat geschrieben:
cantus planus hat geschrieben:(Zum Überdruss, übrigens...)
Fast so schlimm wie GL 801/802 ? :hmm: :mrgreen:
Ja!

Lieber Werner,

nächst einmal auch von mir "Herzlich Willkommen" im Kreuzgang.

Ich habe nichts gegen den Inhalt des Liedes. Ich bin eher durch die Melodie geschädigt, die in unsäglichem Leiertempo dreimal wiederholt und obendrein mit terzelnden Frauenstimmen obendrüber gejammert wurde. Und das in jeder Messe.

Man kann auch das schönste Lied zu Tode quälen. Das gilt für die Haydn-Messe (801, lieber Holzi) und für die Schubert-Messe (802) ebenso wie für Neues Geistliches Lied und Gregorianischen Choral. Die Dosis macht's!
Nutzer seit dem 13. September 2015 nicht mehr im Forum aktiv.

‎Tradition ist das Leben des Heiligen Geistes in der Kirche. — Vladimir Lossky

Benutzeravatar
Werner Krotz
Beiträge: 3
Registriert: Dienstag 25. Dezember 2007, 15:10
Wohnort: Pressbaum bei Wien
Kontaktdaten:

Beitrag von Werner Krotz »

Bei meinem Beitrag ist es mir nicht um die Melodie, sondern um den Text gegangen, deswegen habe ich den Beitrag auch ins Scriptorium gestellt.

Mittlerweile wurde ich darauf aufmerksam gemacht, dass „you shall“ im Englischen die höfliche Form von „you must“ ist.

Ich habe nun eine Google-Recherche gemacht mit der Frage: Wie oft kommt welche Übersetzungsvariante vor? Hier sind die Ergebnisse:

Jedes Knie muss sich beugen 84-mal
Jedes Knie soll sich beugen 3-mal
Jedes Knie wird sich beugen 222-mal

Every knee must bow 5360-mal
Every knee shall bow 101000-mal
Every knee should bow 54400-mal
Every knee will bow 46700-mal

Unsere Versuche, etwas in menschliche Worte zu fassen, hinken der unermesslich großen Liebe Gottes hinterher, die jeden Einzelnen und jede Einzelne von uns hält und trägt, jetzt in diesem Augenblick und alle Tage unseres Lebens auf der Erde und über unseren Tod hinaus.

Liebe Grüße
Werner
Leben und leben lassen
http://wernerkrotz.net

Benutzeravatar
cantus planus
Beiträge: 24273
Registriert: Donnerstag 20. Juli 2006, 16:35
Wohnort: Frankreich: Département Haut-Rhin; Erzbistum Straßburg

Beitrag von cantus planus »

Werner Krotz hat geschrieben:Unsere Versuche, etwas in menschliche Worte zu fassen, hinken der unermesslich großen Liebe Gottes hinterher, die jeden Einzelnen und jede Einzelne von uns hält und trägt, jetzt in diesem Augenblick und alle Tage unseres Lebens auf der Erde und über unseren Tod hinaus.
In den Tat ist der menschliche Geist wohl niemals in der Lage, die Größe Gottes zu erfassen, wie sogar Augustinus erkennen musste.
Auch beim Lesen der Offenbarung des Johannes spürt man deutlich, wie der Prophet damit ringt, die ungeheuren Vision in Worte zu fassen.
Man denke auch daran, wie sehr um manche Formulierung im Credo gerungen wurde. In der Tat ist Gott eine Dimension, bei der die Sprache an ihre Grenzen stößt.
Werner Krotz hat geschrieben:Es gibt noch eine weitere Überlegung:
"Jedes Knie muss sich beugen" ist eine schwache Formulierung; nur die Dämonen müssen sich beugen.
"Jedes Knie wird sich beugen" ist eine starke Formulierung. Wir vertrauen darauf, dass sich einmal jedes menschliche Knie in Freiheit beugen und Jesus Christus als den Herrn anerkennen wird.
Ich verstehe deine Gedanken, allerdings steht die Formulierung "muss" in diesem Fall m. E. nicht im Widerspruch zur Freiheit. Wenn wir Gott dereinst von Angesicht zu Angesicht schauen können in all seiner Größe, werden wir knien und anbeten.
Ich möchte "müssen" in diesem Zusammenhang nicht als Zwang interpretieren, sondern als ein demütiges "Sich-Überwältigen-Lassen". Daher hätte ich mit dieser Übersetzung kein Problem.
Nutzer seit dem 13. September 2015 nicht mehr im Forum aktiv.

‎Tradition ist das Leben des Heiligen Geistes in der Kirche. — Vladimir Lossky

Antworten Vorheriges ThemaNächstes Thema