Hallo, ad_hoc,
wenn du erkennen kannst, was richtig ist und was nicht, kannst du auch sagen, ob Abfolgen von "Gotteslob"-Nummern "der Tradition" entsprechen oder nicht (welcher "Tradition" überhaupt? ich halte mich beim Zusammenstellen von Andachten an das, was ich zu Hause als Messdiener erlebt habe, geklärt durch die Beschäftigung mit ein paar kirchenamtlichen Richtlinien zu dem Thema.
Du schreibst:
Beispielsweise verstehe ich nicht, warum eine Marienandacht, wir haben ja gerade den Marien-Monat Mai, nicht mit einer sakramentalen Aussetzung und -segnung verbunden werden darf. Wie hat jemand geschrieben? Durch Maria zu Jesus. Das ist der Weg.
Wer annimmt, Jesus könnte aufgrund einer besonderen Verehrung seiner und unserer Mutter Maria zu kurz kommen bzw. es würde eine qualitative Verehrungs-Verschiebung von Jesus zu Maria stattfinden, der hat meines Erachtens irgendetwas an Jesus nicht verstanden.
Ich versuche, die Sache noch einmal anders herum zu erklären:
Gottesbild des Mittelalters und der Neuzeit bis zur gesamtkirchlichen Erneuerungsbewegung seit dem hl. Papst Pius X.: Gott Vater existiert faktisch nicht mehr, Christus als "Herr Gott", Maria als Mittlerin.
Das Gottesbild des Mittelalters ist entstanden, weil sich im spätantiken Gallien und Hispanien, wo im Laufe der Völkerwanderung relativ viele Germanen eingesickert sind u. die Herrschaft an sich gerissen haben (Westgoten und Sueben, Burgunder), die Ortskirchen ganz massiv gegen die Irrlehre der Arianer haben wehren müssen.
Die Ortskirchen, die nach den Konzilien von Nizäa und Konstantinopel rechtgläubig (= orthodox) waren, lehrten, dass Christus der Herr dem Vater wesensgleich (homousios) ist. Die germanischen Arianer-Kirchen folgten vermutlich jenem gemäßigten Arianismus, den die Nachfolger Konstantins d. Gr. auf dem Kaiserthron Mitte des 4. Jhs. reichsweit zum verbindlichen Bekenntnis machen wollten: Der Sohn ist dem Vater ähnlich (homoios) gemäß den heiligen Schriften.
Nachdem es den orthodoxen (= nizänischen) Provinzialromanen gelungen war, dafür zu sorgen, dass sich die germanische Herrenschicht kulturell und religiös-konfessionell (Mischehen zwischen Eroberern und Provinzadel!) assimilierten, steigerte sich das Bewusstsein von der Gottheit Christi bei den Christen so sehr, dass viele Gebete nunmehr an ihn statt an Gott Vater gerichtet sind und es einer neuen Mittlerinstanz bedarf: Mariens. Da sind wir dann beim "per Mariam ad Jesum".
Die überkommene alte stadtrömische (urbane!) Liturgie betet anders. Sie richtet die Orationen an Gott Vater per Jesum Christum Dominum in unitate Spiritus Sancti: durch den Herrn Jesus Christus in der Einheit des Heiligen Geistes, d. h. in der Kirche, als Gemeinschaft verstanden. Wenn in der römischen Liturgiefeier der frühen Neuzeit und auch von heute ein Gebet an Jesus Christus gerichtet ist, dann ist es jüngeren Datums, d. h. erst im Laufe des Mittelalters in die amtlichen Liturgiebücher der römischen Ortskirche aufgenommen worden. Bei der letzten Liturgiereform ist die Zahl dieser Gebete stark vermindert worden, einige sind erhalten geblieben (z. B. Friedensgebet der Messe, Fronleichnam).
Auch in meiner ollen Lutherischen Agende 1955 finden sich nicht wenige an Christus gerichtete Orationen. Im Zusammenhang gesehen, ist das hier skizzierte Gottesbild noch lange in den evangelischen Kirchen weiter tradiert worden. Das geschieht übrigens auch in manchen erweckt frommen Kreisen, gleich welcher Konfession, wenn frei gesprochene Gebete an einen nicht weiter definierten "Herrn" gerichtet werden und (entgegen jüdisch-christlichem Brauch) nicht mit einer theologisch gesunden Schlussformel, nämlich der oben zitierten klassischen stadtrömischen, abgeschlossen werden. Darum plädiere ich dafür, Gebet nach Möglichkeit zum Vater durch den Sohn zu senden, und an den Sohn gerichtete Gebete und Anrufungen um ein abschließendes Gebet mit der klassischen Schlussformel zu ergänzen.
Präzise Sprache auch des Gebets führt auch zu einem präzis formulierten Bild von Gott.
Präzise Ordnung dessen, was wir in Gottesdienstfeiern (Andachten) tun und handeln, führt zu einem genauen Wissen unsererseits, was wir nun eigentlich tun und handeln wollen. Ich meine, eine präzise Ordnung - auch der Andachten - ist für einen Nichtkatholen allemal einladender, weil intellektuell und spirituell nachvollziehbarer, als ein ungestümes und emotional aufgeladenes Beharren auf allerhand katholischen - nein, papistischen - Sonderbräuchen (die übrigen bisweilen zu recht auch unierte Orientalen oder Östlich-Orthodoxe nerven).
Ich plädiere dafür, Maria ruhig auch im Kirchengesang anzureden, diese Gesänge aber immer mit einer soliden Oration abzuschließen, wie das im
Usus antiquior (!) und teilweise auch im Klosterbrauch nach den so genannten Marianischen Antiphonen geschieht. Auch ein Rosenkranz lässt sich prima mit der Oration von Mariä Rosenkranzfest abschließen. (Ein Mariengesang in der Messfeier ist natürlich eine Ausnahme: Wenn Marienfest oder -gedenktag ist, gibt es, wenn ich recht sehe, vier bis fünf Stellen, an denen ein Marienlied genommen und dadurch der Festinhalt zum Ausdruck gebracht werden kann: Einzug, Gabenbereitung, Kommunion und/oder Danksagung, Schluss. Nach diesen Marienliedern wäre natürlich eine Oration unangebracht. Ich meine ja, wenn Marienfest, dann Marienfest, dann sollte man auch, wo vorgesehen, Marienlieder singen, nur eben nicht zu Zeiten, an denen sie nix zu suchen haben.)
Ich meine, die inhaltliche Verschiebung der Frömmigkeit und Betrachtung von Christus zu Maria hin oft genug beobachtet zu haben. Wie gesagt: Kleriker, Laienmitarbeiter und Gläubige wissen - wegen eines gravierenden Mangels an Schulung in Sprache und Denken - oft nicht mehr, was sie tun. Da habe ich in der Tat ein gravierendes Problem.
Wenn ein Evangelischer meint, mir die Anbetung Mariens vorhalten zu müssen, frage ich gern nach dem Motiv, das sich hinter seiner Äußerung verbirgt. Da kommt man oft ganz gut ins Gespräch. Es gibt ja auch evangelischerseits Ansätze zur Marienverehrung und auch das eine oder andere Marienlied im Gesangbuch. Man muss diese Dinge auch einmal zulassen wollen, ihnen Raum geben.
Zuletzt noch ein Informatiönchen: Ich fürchte, ich bin kein Traditionalist, zumindest kein Piusianer, kein Anhänger der Usus antiquior- und auch nicht der Schubertmessen-Bewegung innerhalb der römischen Kirche. Kard. J. Ratzingers Äußerungen über die Nie-Abschaffung der alten Messe Anfang der Siebziger etc. (in"Aus meinem Leben") stehe ich kritisch gegenüber.
Ich lese nur gern bei den Kirchenvätern nach und beim hl. Thomas von Aquin, obwohl mir Letzteres sehr schwer fällt.
Einen angenehmen Pfingstmontag
c.