Warum ist katholische Kirchenmusik dermaßen schlecht?

Von Orgelpfeifen, Zimbelspielern und Kantoren.
Ralf

Re: Warum ist katholische Kirchenmusik dermaßen schlecht?

Beitrag von Ralf »

cantus planus hat geschrieben:Seitdem hier die Auszüge aus dem Osservatore aufgetaucht sind, in denen Paul VI. das bewusst einkalkuliert, bin ich immer noch nicht ganz darüber im Klaren, welche Schlüsse ich daraus ziehen soll.
Ausharrend leiden.

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cantus planus
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Re: Warum ist katholische Kirchenmusik dermaßen schlecht?

Beitrag von cantus planus »

Wir haben jetzt zwei Formen des einen Ritus. In einem verhungert man als Kirchenmusiker, im anderen wird man wahnsinnig... :traurigtaps:
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lifestylekatholik
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Re: Warum ist katholische Kirchenmusik dermaßen schlecht?

Beitrag von lifestylekatholik »

cantus planus hat geschrieben:
lifestylekatholik hat geschrieben:
Lupus hat geschrieben:"Wer singt, betet doppelt;
doch wer die Orgel meistert,
so viel mal mehr singt,
als Sänger er begeistert!"
:hae?:
Sacrosanctum Concilium 120. Die Pfeifenorgel soll in der lateinischen Kirche als traditionelles Musikinstrument in hohen Ehren gehalten werden; denn ihr Klang vermag den Glanz der kirchlichen Zeremonien wunderbar zu steigern und die Herzen mächtig zu Gott und zum Himmel emporzuheben.
Und wo steht da der Unsinn, dass der Organist gleich dutzendfach bete?
»Was muß man denn in der Kirche ›machen‹? In den Gottesdienſt gehen und beten reicht doch.«

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lifestylekatholik
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Re: Warum ist katholische Kirchenmusik dermaßen schlecht?

Beitrag von lifestylekatholik »

cantus planus hat geschrieben:Wir haben jetzt zwei Formen des einen Ritus. In einem verhungert man als Kirchenmusiker, im anderen wird man wahnsinnig... :traurigtaps:
Das verstehe ich nicht. Wo verhungerst du, und was treibt dich in den Wahnsinn?
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cantus planus
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Re: Warum ist katholische Kirchenmusik dermaßen schlecht?

Beitrag von cantus planus »

Die Tradis haben kein Geld, und der Mist, den man im NOM über sich ergehen lassen muss, treibt einen in den Wahnsinn.
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taddeo
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Re: Warum ist katholische Kirchenmusik dermaßen schlecht?

Beitrag von taddeo »

lifestylekatholik hat geschrieben:
cantus planus hat geschrieben:Wir haben jetzt zwei Formen des einen Ritus. In einem verhungert man als Kirchenmusiker, im anderen wird man wahnsinnig... :traurigtaps:
Das verstehe ich nicht. Wo verhungerst du, und was treibt dich in den Wahnsinn?
Das kommt auf die Einstellung des Kirchenmusikers an. Allerdings kann man, denke ich, in beiden Formen mühelos sowohl verhungern als auch wahnsinnig werden. Die Frage ist nur, in welcher Form das eine oder das andere eher passiert.

Stephen Dedalus
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Re: Warum ist katholische Kirchenmusik dermaßen schlecht?

Beitrag von Stephen Dedalus »

cantus planus hat geschrieben:Wir haben jetzt zwei Formen des einen Ritus. In einem verhungert man als Kirchenmusiker, im anderen wird man wahnsinnig... :traurigtaps:
Das kann ich verstehen. Ich hatte letzte Woche wieder einmal die Gelegenheit, an einer Messe in einer dt. römisch-katholischen Kirche teilzunehmen. Sonntagmorgen, Hochamt, 10 Uhr in einer päpstlichen Basilika, die sich als konservativ versteht und auf ihre Liturgie einiges zugute hält.

Außer einer deutschen Version eines Kyrie-Rufes wurde kein einziges der Stücke des ordinarium missae gesungen oder gesprochen. Stattdessen wurden Gloria, Credo, Sanctus und Agnus Dei durch einzelne Liedstrophen mehr oder weniger weihnachtlicher Lieder ersetzt. Der Eindruck war ganz klar Stückwerk. Hier in Verslein, da ein Verslein. Eine Lesung, keine zweite Lesung, kein Psalm.

Wie soll bei der Gemeinde ein Bewußtsein für qualitätvolle Choräle aufkommen, wenn sie immer nur kleine Häppchen davon serviert bekommen? Auch Choräle haben eine Dramaturgie, die nicht beliebig verändert werden kann.

Natürlich mag daran sogar der KM selbst schuld sein. Ich weiß nicht, wer da die Liedauswahl macht. Aber wenn ich da etwas zu sagen hätte, würde es ordentlich im Karton rumpeln.
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cantus planus
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Re: Warum ist katholische Kirchenmusik dermaßen schlecht?

Beitrag von cantus planus »

Das ist der ganz normale Zustand in Deutschland. :achselzuck:
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lifestylekatholik
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Re: Warum ist katholische Kirchenmusik dermaßen schlecht?

Beitrag von lifestylekatholik »

cantus planus hat geschrieben:Die Tradis haben kein Geld, und der Mist, den man im NOM über sich ergehen lassen muss, treibt einen in den Wahnsinn.
Ah! :patsch: Das Verhungern war buchstäblich gemeint. :patsch: Ich dachte, du verhungertest musikalisch-figurativ im NOM und konnte nicht verstehen, was dich in der außerordentlichen Form in den Wahnsinn treibt (so du musikalisch den Hut aufhast und nicht abhängig von einer Irren bist).
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Bernado
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Re: Warum ist katholische Kirchenmusik dermaßen schlecht?

Beitrag von Bernado »

Stephen Dedalus hat geschrieben:Ich denke, daß hierin sicher der Hauptgrund liegt:
Für die evangelischen Christen ist die Musik Teil der Wortverkündigung und somit im Kern nichts anderes als das, was der Pastor auf der Kanzel tut. Im evangelischen Gottesdienst hat die Kirchenmusik daher eine zentrale Stelle, sei es als gesungener Choral (Kirchenlied) oder als Chormusik. Liedpredigten oder Kantatengottesdienste sind keine Seltenheit - und es ist nicht nur ein Scherz, wenn die Protestanten manchmal Johann Sebastian Bach als den fünften Evangelisten bezeichnen. Ebenso ist zu berücksichtigen, daß die Protestanen generell dem gesprochenen und gesungenen Wort zuneigten, dafür aber weniger der bildenden Kunst.

In der römischen Kirche hatte die Musik für lange Zeit eine unterstützende Funktion. In der Feier der hl. Messe ist entscheidend, was der Priester am Altar sagt und tut, der Chor konnte im alten Ritus diese Teile nicht übernehmen, allenfalls doppeln. Hinzu kommt auch, daß traditionelle "Orte" der katholischen Kirchenmusik (wie Vespern oder Andachten) heute so gut wie gar nicht mehr gepflegt werden.

Andere, eher kulturelle Gründe, mögen hinzukommen. So gab es gerade in den formativen Jahren der Ausprägung konfessioneller Kulturen (also im späten 16. und frühen 17. Jahrhundert einen gewissen protestantischen Bildungsvorsprung durch zahlreiche junge Universitäten und die aufstrebenden protestantischen Territorialstaaten. Teil dieser Kultur war die Pflege der Musik. Die katholischen Staaten waren hier offenbar nicht nur leicht zurück, sondern auch in der Musikpflege konservativer oder weniger innovativ. Als die Katholiken durch die Gegenreformation nachzogen, war die Musik nicht im gleichen Maße Teil der künstlerischen Agenda.

Kurz: die Katholiken setzten stärker auf die bildende Kunst und Architektur, die Protestanten stärker auf die Musik und das Wort (Dichtung). Die Evangelischen haben daher Paul Gerhardt, Heinrich Schütz und J. S. Bach, die Katholiken Asam und Balthasar Neumann - und natürlich Mozart. 8)
Da stecken aber diverse Irrtümer drin. Ursprünglich hatte Gesang keine unterstützende, sondern tragende Funktion - es heißt nicht nur die Messe lesen (kam spät auf), sondern die Messe singen. In der Gregorianik - und die war auch dem lateinlosen Volk nicht fremd - übernimmt der Gesang von Schola und Volk sehr wohl eine tragende Rolle.

Die Doppelung ist auch nicht die Ursache des Verfalls, sondern eine Folge: Erst als - aus welchem Grund auch immer - Volksgesang und Schola so schlecht wurden, daß die Texte nicht mehr zuverlässig vorgetragen wurden, wurde dem Priester die zusätzliche Pflicht auferlegt, alles, was zuvor Volk und Schola gesungen hatten, "zur Sicherheit" selbst auch noch einmal still zu beten. Damit kam es zum "Messe lesen".

Einer der Gründe für den Verfall des katholischen Kirchengesangs nach der Reformation war, daß allgemeine Unsicherheit eintrat, welche Liedtexte (noch) gut katholisch wären und welche von reformatorischen Irrlehren angekränkelt. Das eingängigere "deutsche Kirchenlied" der Protestanten verleidete einerseits den Katholiken da, wo sie es noch taten, vielfach den Choralgesang - andererseits machten sie sich auch selbst Vorwürfe oder bekamen Vorwürfe gemacht, wenn sie "lutherische Choräle" sangen - selbst wo die gut katholisch waren. Tatsächlich vermute ich hier eine der Hauptursachen der bis in die Gegenwart andauernden Probleme.

Die Gegenreformation wurde übrigens auch auf der Musikfront vorangetragen, Monteverdi und Palestrina spielten dabei keine kleine Rolle. Das färbte dann sogar auf die Protestanten ab - die Michaelisvesper von Michael Praetorius zeigt, wie weit man dabei zu gehen bereit war.

Zwar hatte sich im Verlauf des 19. Jh auch ein brauchbarer Bestand an katholischen Kirchenliedern herfausgebildet - er wurde aber nach Beginn der liturgischen Bewegung wieder mit Geringschätzung betrachtet. Nach den Reformen der 70er Jahre kamen dann die vielen maßlos schlechten Kompositionen in der damaligen Mode halbfreier Tonalität und fremdartiger Rhytmik hinzu, dann auch noch die unsägliche Schreibtisch-Gregorianik, und damit hatten wir dann endgültig den Salat.

Zur näheren Einführung , warum es in den englischsprechenden Ländern genauso ist, sei empfohlen: "Why Catholics Can't Sing: The Culture of Catholicism and the Triumph of Bad Taste" von Thomas Day. Enthält auch für Mitteleuropa viel Zutreffendes.
„DIE SORGE DER PÄPSTE ist es bis zur heutigen Zeit stets gewesen, dass die Kirche Christi der Göttlichen Majestät einen würdigen Kult darbringt.“ Summorum Pontificum 2007 (http://www.summorum-pontificum.de/)

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Bernado
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Re: Warum ist katholische Kirchenmusik dermaßen schlecht?

Beitrag von Bernado »

Stephen Dedalus hat geschrieben:Ich hatte letzte Woche wieder einmal die Gelegenheit, an einer Messe in einer dt. römisch-katholischen Kirche teilzunehmen. Sonntagmorgen, Hochamt, 10 Uhr in einer päpstlichen Basilika, die sich als konservativ versteht und auf ihre Liturgie einiges zugute hält.

Außer einer deutschen Version eines Kyrie-Rufes wurde kein einziges der Stücke des ordinarium missae gesungen oder gesprochen. Stattdessen wurden Gloria, Credo, Sanctus und Agnus Dei durch einzelne Liedstrophen mehr oder weniger weihnachtlicher Lieder ersetzt. Der Eindruck war ganz klar Stückwerk. Hier in Verslein, da ein Verslein. Eine Lesung, keine zweite Lesung, kein Psalm.

Wie soll bei der Gemeinde ein Bewußtsein für qualitätvolle Choräle aufkommen, wenn sie immer nur kleine Häppchen davon serviert bekommen? Auch Choräle haben eine Dramaturgie, die nicht beliebig verändert werden kann.

Natürlich mag daran sogar der KM selbst schuld sein. Ich weiß nicht, wer da die Liedauswahl macht. Aber wenn ich da etwas zu sagen hätte, würde es ordentlich im Karton rumpeln.
Hir kann ich Dir zustimmen. Diese Form des allgemeinen Elends ist darin begründet, daß es im Novus Ordo das traditionelle Ordinarium nicht mehr gibt. Es ist vollständig legal, statt der altehrwürdigen Texte "ein anderes geeignetes Lied" zu singen. Und da dir deutsche Schreibtischgregorianik selbst hinter der wenig anspruchsvollen Missa de angelis mit Credo 3 weit zurückbleibt (und diese ollen lateinischen Klamotten selbstverständlich nicht in Frage kommen) - gibt es zum "anderen geeigneten Lied" praktisch kaum eine Alternative.

Zum Teil liegt die Verantwortung für die Liedauswahl aber auch bei "Liturgiekreisen", die jede Möglichkeit nutzen, der Eucharistiefeier irgendeinen eigenen Stempel aufzudrücken. Da sind oft Strukturen entstanden, gegen die Weder Pfarrer noch Organist ankommen: Wenn die Dame vom Liturgiekreis ein bestimmtes Liedchen haben will, weil das sie immer so erhebt, dann kriegt sie es auch.
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Stephen Dedalus
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Re: Warum ist katholische Kirchenmusik dermaßen schlecht?

Beitrag von Stephen Dedalus »

Bernado hat geschrieben:Die Doppelung ist auch nicht die Ursache des Verfalls, sondern eine Folge: Erst als - aus welchem Grund auch immer - Volksgesang und Schola so schlecht wurden, daß die Texte nicht mehr zuverlässig vorgetragen wurden, wurde dem Priester die zusätzliche Pflicht auferlegt, alles, was zuvor Volk und Schola gesungen hatten, "zur Sicherheit" selbst auch noch einmal still zu beten. Damit kam es zum "Messe lesen".
Das mag sein, aber diese "Verfallsstufe" war wohl die Realität, der sich der junge Protestantismus gegenübersah.
Die Gegenreformation wurde übrigens auch auf der Musikfront vorangetragen, Monteverdi und Palestrina spielten dabei keine kleine Rolle. Das färbte dann sogar auf die Protestanten ab - die Michaelisvesper von Michael Praetorius zeigt, wie weit man dabei zu gehen bereit war.
Tatsächlich ist es so, daß die protestantischen Komponisten von den internationalen Zentren der Musikkultur mehr lernten und profitierten als die Katholiken. Heinrich Schütz fuhr nach Venedig und lernte von Monteverdi, selbst Johann Hermann Schein schrieb Musik wie Gesualdo, Bach kopierte die italienischen Meister und entwickelte sie weiter. Zu fragen wäre, warum die katholische Musikkultur in Deutschland so weit zurückblieb.
Das eingängigere "deutsche Kirchenlied" der Protestanten verleidete einerseits den Katholiken da, wo sie es noch taten, vielfach den Choralgesang - andererseits machten sie sich auch selbst Vorwürfe oder bekamen Vorwürfe gemacht, wenn sie "lutherische Choräle" sangen - selbst wo die gut katholisch waren. Tatsächlich vermute ich hier eine der Hauptursachen der bis in die Gegenwart andauernden Probleme.
Famos! Den Protestanten läßt sich aber auch wirklich alles in die Schuhe schieben... :klatsch: :klatsch: :klatsch:
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lifestylekatholik
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Re: Warum ist katholische Kirchenmusik dermaßen schlecht?

Beitrag von lifestylekatholik »

Wenn ich nochmals drüber nachdenke: Eigentlich passt die Qualität der Muzak in katholischen Messen mit der Qualität der dasigen Liturgie doch meist sehr gut zusammen. :panisch:
»Was muß man denn in der Kirche ›machen‹? In den Gottesdienſt gehen und beten reicht doch.«

obsculta
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Re: Warum ist katholische Kirchenmusik dermaßen schlecht?

Beitrag von obsculta »

Einer der Gründe für den Verfall des katholischen Kirchengesangs nach der Reformation war, daß allgemeine Unsicherheit eintrat, welche Liedtexte (noch) gut katholisch wären und welche von reformatorischen Irrlehren angekränkelt. Das eingängigere "deutsche Kirchenlied" der Protestanten verleidete einerseits den Katholiken da, wo sie es noch taten, vielfach den Choralgesang - andererseits machten sie sich auch selbst Vorwürfe oder bekamen Vorwürfe gemacht, wenn sie "lutherische Choräle" sangen - selbst wo die gut katholisch waren. Tatsächlich vermute ich hier eine der Hauptursachen der bis in die Gegenwart andauernden Probleme.
Wie sollte das geschehen sein,wo doch die Konfessionen territorial voneinander
getrennt waren?Und selbst da,wo es eine räumliche Nähe gab,kann ich mir
keine nenneswerten Kontakte vorstellen.Zumindest nicht auf breiter Basis.
Radio und Fernsehen gab es nicht,man besuchte unterschiedliche Schulen,
heiratete nicht untereinander und verachtete sich nach Kräften gegenseitig.

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cantus planus
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Re: Warum ist katholische Kirchenmusik dermaßen schlecht?

Beitrag von cantus planus »

Das funktionierte ganz hervorragend - und für die damalige Zeit erstaunlich "verlustfrei". So gab es z. B. bei der Ausbreitung der Gregorianik - im 8. Jahrhundert - wenige und kaum nennenswerte Verluste!
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obsculta
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Re: Warum ist katholische Kirchenmusik dermaßen schlecht?

Beitrag von obsculta »

Was funktionierte ganz hervorragend? :achselzuck:

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cantus planus
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Re: Warum ist katholische Kirchenmusik dermaßen schlecht?

Beitrag von cantus planus »

Austausch und Übertragung. Da ging nicht nach dem Stille-Post-Prinzip die halbe Information verloren, sondern die Weitergabe funktionierte erstaunlich gut - vermutlich, weil die Leute das Auswendiglernen besser gewohnt waren, als wir. Deshalb glaube ich nicht, dass die räumliche Trennung ein Argument gegen die Vermischung ist. Man wird schon sehr sorgfältig beobachtet haben, was die "anderen" jeweils taten, zumal in bestimmten Regionen, Osnabrück z. B., die Herrschaft nach dem Tod des jeweiligen Amtsinhabers auf die jeweils andere Konfession im stetigen Wechsel überging (vgl. Lucenius-Protokolle). Das führte wohl ungewollt auch zu einer Vermischung.
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lifestylekatholik
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Re: Warum ist katholische Kirchenmusik dermaßen schlecht?

Beitrag von lifestylekatholik »

cantus planus hat geschrieben:Das funktionierte ganz hervorragend - und für die damalige Zeit erstaunlich "verlustfrei". So gab es z. B. bei der Ausbreitung der Gregorianik - im 8. Jahrhundert - wenige und kaum nennenswerte Verluste!
Die Ausbreitung der Gregorianik scheint mir hier allerdings kein gutes Beispiel, weil ein völlig anderer Rahmen bestand: Zunächst die planmäßige und von höchster Stelle geförderte allgemeine Verbreitung im Reich und dann immer noch die Einheit der (westlichen) Christenheit. Die Situation im nachreformatorischen Raum war demgegenüber denn doch deutlich anders.
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holzi
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Re: Warum ist katholische Kirchenmusik dermaßen schlecht?

Beitrag von holzi »

Während der Reformationszeit und danach wechselte die Religion oft mehrmals, also kannten alle die Lieder der jeweiligen Konfessionen.

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cantus planus
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Re: Warum ist katholische Kirchenmusik dermaßen schlecht?

Beitrag von cantus planus »

Ja, das war nur als Beispiel gedacht. Die meisten ahnen gar nicht, wie intensiv und gut der Austausch über weite Teile Europas damals funktionierte. Für mich war das auch eine neue Welt, als ich zuerst davon erfuhr. Zur Sache habe ich ja später noch Stellung bezogen. Ich halte eine gegenseitige Beeinflussung - gewollt oder ungewollt - für durchaus realistisch.
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obsculta
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Re: Warum ist katholische Kirchenmusik dermaßen schlecht?

Beitrag von obsculta »

lifestylekatholik hat geschrieben:
cantus planus hat geschrieben:Das funktionierte ganz hervorragend - und für die damalige Zeit erstaunlich "verlustfrei". So gab es z. B. bei der Ausbreitung der Gregorianik - im 8. Jahrhundert - wenige und kaum nennenswerte Verluste!
Die Ausbreitung der Gregorianik scheint mir hier allerdings kein gutes Beispiel, weil ein völlig anderer Rahmen bestand: Zunächst die planmäßige und von höchster Stelle geförderte allgemeine Verbreitung im Reich und dann immer noch die Einheit der (westlichen) Christenheit. Die Situation im nachreformatorischen Raum war demgegenüber denn doch deutlich anders.

Das würde ich jetzt auch so sehen.

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Niels
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Re: Warum ist katholische Kirchenmusik dermaßen schlecht?

Beitrag von Niels »

holzi hat geschrieben:Während der Reformationszeit und danach wechselte die Religion oft mehrmals, also kannten alle die Lieder der jeweiligen Konfessionen.
Und die Andachtsbücher beider Konfessionen enthielten auch oftmals dieselben Texte (Quellennachweis, falls gewünscht, wird nachgeliefert).
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ad-fontes
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Re: Warum ist katholische Kirchenmusik dermaßen schlecht?

Beitrag von ad-fontes »

cantus planus hat geschrieben:Das funktionierte ganz hervorragend - und für die damalige Zeit erstaunlich "verlustfrei". So gab es z. B. bei der Ausbreitung der Gregorianik - im 8. Jahrhundert - wenige und kaum nennenswerte Verluste!
Das Beeindruckende ist ja, daß es im Meßproprium der Gesänge - nimmt man die Handschriften des 9. Jahrhunderts zum Maßstab - kaum Textvarianten gibt.

Bisher habe ich noch keine Antwort darauf finden können, ob dem ein gemeinsamer Archetyp zugrunde lag, oder ob es sich dabei um ein Produkt (eine Redaktionsstufe) der karolingischen Reform handelt.
Christi vero ecclesia, sedula et cauta depositorum apud se dogmatum custos, nihil in his umquam permutat, nihil minuit, nihil addit; non amputat necessaria, non adponit superflua; non amittit sua, non usurpat aliena. (Vincentius Lerinensis, Com. 23, 16)

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cantus planus
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Re: Warum ist katholische Kirchenmusik dermaßen schlecht?

Beitrag von cantus planus »

Nicht nur textlich, sondern auch melodisch - teils bis in die raffiniertesten rhythmischen Nuancen. Und das ist wirklich erstaunlich! Faktisch ist der Choral eine Neuschaffung der karolingischen Reform. Aber natürlich wurde das eben nicht wie manche "Konzilsgeistreform" in luftleeren Raum geschaffen, sondern griff wohl durchaus auf Bekanntes zurück. Anders wäre das in relativ kurzer Zeit sehr ausgereift entstandene Repertoire wohl kaum zu erklären. Darauf deuten Gesänge wie "O quando in cruce" hin, die sich auch in der Ostkirche bis heute erhalten haben (der griechische Name ist mir gerade entfallen) und älter sind, als das im 8. Jahrhundert entstandene Kernrepertoire. Und das Ordinarium ist natürlich erheblich älter. Interessant ist die Verwendung einiger aus der Psalmodie abgeleiteten Melodiefloskeln. Aber das würde jetzt erheblich zu weit führen.
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Re: Warum ist katholische Kirchenmusik dermaßen schlecht?

Beitrag von ad-fontes »

cantus planus hat geschrieben:Nicht nur textlich, sondern auch melodisch - teils bis in die raffiniertesten rhythmischen Nuancen. Und das ist wirklich erstaunlich! Faktisch ist der Choral eine Neuschaffung der karolingischen Reform. Aber natürlich wurde das eben nicht wie manche "Konzilsgeistreform" in luftleeren Raum geschaffen, sondern griff wohl durchaus auf Bekanntes zurück. Anders wäre das in relativ kurzer Zeit sehr ausgereift entstandene Repertoire wohl kaum zu erklären. Darauf deuten Gesänge wie "O quando in cruce" hin, die sich auch in der Ostkirche bis heute erhalten haben (der griechische Name ist mir gerade entfallen) und älter sind, als das im 8. Jahrhundert entstandene Kernrepertoire. Und das Ordinarium ist natürlich erheblich älter.
Ja, das stimmt, vor allem, wenn man bedenkt, daß dies nur durch Neumierung fixiert wurde. Aber schon die Textübereinstimmung ist frappierend.

Ob in Monza, Corbie oder St. Gallen, der jeweilige Kantor sang am entsprechenden Tag den gleichen versus.

Und auch hier mußte ersteinmal ausgewählt, zusammengestellt und redigiert werden. Leider wissen wir nicht viel über die Prinzipien. In Jungmanns MS ist zu lesen, daß für die Sonntage nach Pfingsten die Introitus-Psalmen fortlaufend seien, daher es Zufall sei, welcher Vers wann zum Stehen kommt.

Eine ähnliche Dekonstruktion der Vorstellung einer "kunstvollen Komposition" der Liturgie fand bzgl. der alten Leseordnung statt, woraus die "Reformer" die Legitimität für ihre Veränderungen und Neuerungen beziehen.

Die subtilen Allusionen und Interdependenzen zwischen Gebets-, Gesangs- und Lesetexten, die sich bei nährem Hinsehen immer wieder ergeben, sprechen m. E. dagegen.
Christi vero ecclesia, sedula et cauta depositorum apud se dogmatum custos, nihil in his umquam permutat, nihil minuit, nihil addit; non amputat necessaria, non adponit superflua; non amittit sua, non usurpat aliena. (Vincentius Lerinensis, Com. 23, 16)

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cantus planus
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Re: Warum ist katholische Kirchenmusik dermaßen schlecht?

Beitrag von cantus planus »

ad-fontes hat geschrieben:Und auch hier mußte ersteinmal ausgewählt, zusammengestellt und redigiert werden. Leider wissen wir nicht viel über die Prinzipien.
Dazu hat im Sommer ein niederländischer Kollege in einer irrsinnigen Fleißarbeit eine Konkordanz der verfügbaren Handschriften erstellt. Hochinteressant!

Ich wollte es dir gerade mal scannen, kann das verf***e Dokument aber gerade nicht finden. *Haarerauf* :motz:
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Re: Warum ist katholische Kirchenmusik dermaßen schlecht?

Beitrag von lifestylekatholik »

cantus planus hat geschrieben:Ich wollte es dir gerade mal scannen, kann das verf***e Dokument aber gerade nicht finden. *Haarerauf* :motz:
Nach Wiederauffindung und Skännung bitte in die foreneigene PDF-Ablage geben!
»Was muß man denn in der Kirche ›machen‹? In den Gottesdienſt gehen und beten reicht doch.«

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Re: Warum ist katholische Kirchenmusik dermaßen schlecht?

Beitrag von cantus planus »

lifestylekatholik hat geschrieben:
cantus planus hat geschrieben:Ich wollte es dir gerade mal scannen, kann das verf***e Dokument aber gerade nicht finden. *Haarerauf* :motz:
Nach Wiederauffindung und Skännung bitte in die foreneigene PDF-Ablage geben!
Da musst du erstmal die foreneigene PDF-Ablage beim Admin beantragen: viewtopic.php?p=342543#p342543
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Re: Warum ist katholische Kirchenmusik dermaßen schlecht?

Beitrag von cantus planus »

Möchte noch jemand was zum Thema des Threads anmerken? :tuete:
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Re: Warum ist katholische Kirchenmusik dermaßen schlecht?

Beitrag von ifugao »

cantus planus hat geschrieben:Möchte noch jemand was zum Thema des Threads anmerken? :tuete:
Ja.
Der Schwache kann nicht verzeihen. Verzeihen ist eine Eigenschaft des Starken.
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Niels
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Re: Warum ist katholische Kirchenmusik dermaßen schlecht?

Beitrag von Niels »

ifugao hat geschrieben:
cantus planus hat geschrieben:Möchte noch jemand was zum Thema des Threads anmerken? :tuete:
Ja.
Dann leg mal los...:ja:
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Re: Warum ist katholische Kirchenmusik dermaßen schlecht?

Beitrag von ad-fontes »

cantus planus hat geschrieben: Ich wollte es dir gerade mal scannen, kann das verf***e Dokument aber gerade nicht finden. *Haarerauf* :motz:
Oh, das wäre wunderbar, da ich mich nur auf Hésbert beziehen kann.
Christi vero ecclesia, sedula et cauta depositorum apud se dogmatum custos, nihil in his umquam permutat, nihil minuit, nihil addit; non amputat necessaria, non adponit superflua; non amittit sua, non usurpat aliena. (Vincentius Lerinensis, Com. 23, 16)

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