Einige Bemerkungen
über die Grade des Gehorsams
Gewöhnlich werden drei Grade oder Stufen des Gehorsams unterschieden:
1. Werkgehorsam
Äußerliche Verrichtung des befohlenen Werks
2. Willensgehorsam
Innere Unterwerfung des Willens. – Es wird nicht nur das Werk ausgeführt, sondern der Untergebene will, was der Vorgesetzte will. Er gehorcht ihm willig und bekämpft energisch die Widerstände, die sich vielleicht in ihm melden, weil ihm der Befehl z.B. lästig oder widerwärtig ist.
3. Verstandesgehorsam
Zu den ersten beiden Stufen kommt hier auch noch eine Angleichung des eigenen Urteils an das Urteil des Vorgesetzten hinzu (siehe unten).
Hl. Thomas: Gehorsam als Opfer des Willens, nicht des Verstandes
Manche sehen den sogenannten „Verstandesgehorsam“ als die höchste Stufe der Tugend des Gehorsams an. Unter diesem Begriff verstehen sie einen Gehorsam, bei dem der Gehorchende nicht nur den Willen, sondern auch seinen Verstand, d.h. sein Urteil dem Befehlenden unterwirft. Der Gehorchende bemüht sich dabei sein eigenes Urteil den Beweggründen des Vorgesetzten, die diesen zum Erlaß seines Befehls bewegen, anzugleichen und auf die eigene innere Stellungnahme zum Sachverhalt (nämlich ob dieser Befehl „vernünftig“ ist oder nicht) zu verzichten.
Dem hl. Thomas von Aquin ist ein solcher „Kadavergehorsam“ vollständig fremd! Er definiert den Gehorsam niemals als eine Unterwerfung des Urteils, sondern immer als ein Opfer des Willens (z.B. „Per obedientiam propria voluntas mactatur“ – II-II, q.186, a.8, sed c.)
Diese Hingabe des eigenen Willens ist ihm das größte aller Opfer, die der Mensch Gott darbringen kann, da ja der Mensch nichts lieber hat als die eigene Freiheit (II-II, q.186, a.6, ad3).
Nachteile des Verstandesgehorsams
Der Verstandesgehorsam schaltet das persönliche Urteil in weitestgehendem Maße aus, lähmt die geistige Selbständigkeit in den Untergebenen und begünstigt durch die innere Gleichschaltung servile Gesinnung und Verantwortungsscheu.
Nicht minder gering sind die Gefahren des Verstandesgehorsams für den Vorgesetzten selbst. Unter Berufung auf den hl. Augustinus spricht der hl. Thomas folgende Warnung aus:
De regim. princ. I,9 hat geschrieben:Es ist sehr schwierig, wenn Vorgesetzte mitten unter den Zungen der Lobhudler und Ehrfürchtigen, wie unter den Gehorsamserweisen der allzu demütig Grüßenden nicht aufgebläht werden, sondern eingedenk bleiben, daß sie Menschen sind. Daher kommt es, daß viele an sich gute Menschen, wenn sie auf eine hohe Stelle erhoben werden, von ihrer Tugend herabsinken.
Es verwundert somit auch nicht, daß sich im früheren Kirchenrecht die (auf Papst Gregors den Großen zurückgeführte) Vorschrift fand:
Decr. Gratiani c. 57, C. II, q. 7 hat geschrieben:Die Untergebenen sind zu ermahnen, daß sie nicht mehr untertänig seien, als es nottut, damit sie nicht in dem allzu eifrigen Bestreben des Gehorsams gegen Menschen dazu verführt werden, auch ihre Fehler anzubeten.