Der große und gelehrete Eugène Kardinal Tisserant erfuhr 1959 bei einem Aufenthalt in Paris durch Radio Vatikan (sic!), dass er von Papst Johannes XXIII. von allen kurialen Aufgaben entpflichtet worden war ("Aber ich habe doch gar nicht demissioniert!"), reiste zurück nach Rom, fand die Nachricht dort bestätigt und zog sich grollend in die Vatikanischen Bibliotheken zurück. Er war auch ein Gegner der durch Paul VI. eingeführten Altersgrenze für die Kardinäle, und legte - zur Untätigkeit verdammt - eine Sammlung, wie es heißt "hochexplosiver", Dokumente über die Kurie, die Umtriebe Montinis (des späteren Paul VI.) und den Vorgängen während des Konzils an. Verwaltet wurde das Archiv von seinem Privatsekretär, dem Abbé Georges Roche. Am brisantesten soll das persönliche Tagebuch des Kardinals gewesen sein (man fühlt sich erinnert an die bevorstehende Veröffentlichung der Aufzeichnungen Kardinal Antonellis).
Der Vatikan übte sanften Druck auf den Kardinal aus, dieses Archiv dem Heiligen Stuhl zu vermachen. Der Kardinal hielt Wort, ließ aber Abbé Roche Kopien aller Dokumente anfertigen, die dieser an verschiedenen Orten in Frankreich verbarg.
Nach dem Tod des Kardinals versuchte das Staatssekretariat die Dokumente zu kaufen, aber der treue Abbé Roche hüllte sich in Schweigen. Seit seinem Tod fehlt von Tisserants Archiv jede Spur.
Hat eigentlich irgendjemand Informationen, was mit dem offiziellen Teil des Archivs geschehen ist, das dem Vatikan vererbt wurde? Gibt es irgendwelche Informationen, ob die französischen Unterlagen wieder aufgetaucht sind?
Reinhard Raffalt erwähnt verschiedene einzelne Berichte, die sich angeblich auf Dokumente Tisserants berufen, aber das ist m. E. schlecht zu verifizieren.