So weit, so schlecht. Jedem Normalsterblichen würde ich diese Ahnungslosigkeit abnehmen, aber nicht einem Journalisten der FAZ ... hinter der ja angeblich immer ein kluger Kopf steckt ... Leserseits mag das ja noch zutreffen, aber in den Redaktionsstuben wage ich das inzwischen sehr zu bezweifeln!
Ist die Ignoranz echt, dann frage ich mich, ob die FAZ ihr Geld noch wert ist, vor zwanzig oder dreissig Jahren war sie jedenfalls noch von anderem Kaliber (aber das kann man auch von der ZEIT sagen).
Ist die Ignoranz jedoch geheuchelt, dann ist die FAZ doppelt perfide, denn dann ist die eigentliche Absicht des Schreiberlings UND der Zeitung, die katholische Messe durch den Dreck zu ziehen und sie der Lächerlichkeit preiszugeben. Der "Autor" hätte sich nämlich -- vor oder nach dem Messbesuch -- auf Wikipedia in Minutenschnelle sachkundig machen können, und dann wäre solch ein scheinheilig-naiver Artikel überhaupt nicht nötig gewesen. Man merkt die Absicht und ist verstimmt.
Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung vom 4.11.2012
Fremd unter Frommen: Geboren in der DDR, aufgewachsen ohne Religion – und an Allerheiligen zum ersten Mal in einer katholischen Messe. So fühlt sich Ahnungslosigkeit an. Von Oliver Kühn
Allerheiligen - ein hoher katholischer Feiertag, und ich mittendrin. Ich bin für .die F.A.S. in einem kleinen ostbayerischen Dorf unweit der tschechischen Grenze. Aufgewachsen bin ich in Rostock, bis zu meinem siebten Lebensjahr war das in der DDR. Kontakt zur Kirche hatte ich nie. Das katholische Erbe kam in unserer Region nur in Spurenelementen vor, erst war es von der Reformation, dann vom real existierenden Sozialismus verdrängt worden. Auch nach der Wiedervereinigung spielte Religion keine Rolle, weder für meine Familie noch für mich. Nun bin ich hier unter Menschen, von denen viele ein Leben ohne Kirche vermutlich gar nicht kennen, für die der Kirchgang am Sonntag von klein auf dazugehörte. Mich, der ich in einer glockenfernen Umgebung aufgewachsen bin, verwirrt schon das viertelstündliche Geläut. Kurz vor halb zehn klingt es wie Sturmläuten.(...)
Dann geht es los, ein Glöckchen ertönt, die Gemeinde erhebt sich, von rechts kommt der Pfarrer, begleitet von fünf Kindern. Das werden wohl die Messdiener sein.
Der Priester trägt ein langes weißes Gewand und darüber eine Art Umhang mit religiösen Symbolen. Die Ministranten haben auch lange weiße Kleider an, unter denen ihre Sportschuhe hervorschauen. Der Pfarrer erklärt die Bedeutung des Feiertages. (...) Als Nächstes beginnt ein Wechselspiel zwischen gesprochenen und gesungenen Passagen. Alle scheinen immer zu wissen, wann gesungen wird. (...) Der Priester geht von seinem Pult weg, und eine Frau liest etwas aus der Bibel vor. Mir ist nicht klar, wer das ist, warum sie das macht und warum gerade sie. Ist sie immer dafür verantwortlich oder wechselt die Gemeinde ab? Und wenn ja, nach welchem Prinzip? -Seltsam.
Der erste Teil des Gottesdienstes ist beendet, sagt der Pfarrer, nun folge die Eucharistiefeier, und I anschließend gehe es in einer Prozession auf den Friedhof. Dort sollen die Gräber mit Weihwasser und Weihrauch gesegnet und ein neues Kreuz geweiht werden. Der Jesus auf dem Kreuz ist vergoldet, der Pfarrer weist nicht einmal darauf hin. Von jetzt an singen die Kirchenbesucher nicht mehr, sondern sprechen im Chor, immer im Wechsel mit dem Pfarrer. Leider verstehe ich die Worte nicht. Das ist beängstigend. (...). Etwas belustigend ist für mich dagegen, dass die Leute ständig aufstehen und sich wieder setzen, einige bleiben auch ganz stehen.
Der Pfarrer tritt an den Altar, verneigt sich, und bekommt von seinen Helfern etwas in seinen goldenen Becher geschenkt. Aus einem ebenfalls goldenen, reichverzierten Schränkchen hinter dem Altar holt er einen noch größeren Becher mit Deckel, dem er eine Oblate entnimmt. Diese legt er neben seinen Becher auf den Altar und verneigt sich vor ihr.
Dann beugt er sich über sie und scheint etwas zu sprechen. Zur Gemeinde sagt er: „Dies ist mein Leib" und „Dies ist mein Blut", zweimal erklingt ein helles Glöckchen. Danach isst der Pfarrer von der Oblate und trinkt aus dem Kelch. Aber warum macht er das? Und warum bekommen die anderen nichts? Während dieser ganzen Zeremonie werden zwei kleine Bastkörbe durch die Reihen gereicht. Die Gemeinde kennt den Zweck der Körbe und wirft Geld hinein. So ist ständig das Klimpern von Kleingeld zu hören. Irgendwie finde ich das unangemessen. Als einer der Körbe bei mir ankommt, sehe ich, dass nicht nur Kleingeld darin liegt. (...)
Der Pfarrer bricht eine Oblate durch, präsentiert sie den Gläubigen und sagt, das sei das Lamm Gottes. Dass aus Brot und Wein der Leib und das Blut Christi geworden sein sollen, als das Glöckchen klingelte, konnte ich noch einigermaßen nachvollziehen, aber was ist nun dieses Lamm Gottes? Wie gerne hätte ich jetzt eine Art Übersetzer, der mir alles erklärt. Irgendwann sagt der Pfarrer: „Lasset uns beten." Jetzt knien sich bestimmt alle hin, denke ich. Doch weit gefehlt, die Gemeinde steht auf und lässt den Pfarrer alleine beten. Erst am Ende sagen alle zusammen „Amen", genau an der richtigen Stelle, die ich wieder verpasst habe.
Als Nächstes stellen sich viele Gottesdienstbesucher im Mittelgang auf. Vom Priester erhält jeder eine Oblate, zu trinken gibt es aber nichts. Die meisten Anwesenden bleiben sitzen; sie wollen wohl nichts. Der Pfarrer bekommt noch einmal nachgeschenkt, schwenkt seinen Kelch und trinkt ihn aus. Danach wischt er ihn mit einem weißen Tuch gründlich sauber. Ich verstehe nicht, warum.
Das also war die Eucharistiefeier. Nun ist auch dieser Teil des Gottesdienstes vorbei, und die Menschen strömen aus der Kirche, um sich auf der Hauptstraße zur Prozession zu sammeln. (...)