TeDeum hat geschrieben:Stattdessen suchen viele Arbeitgeber weiterhin die eierlegende Wollmilchsau für 5h / Woche und mit 35k Euro Brutto-Jahresgehalt. Wenn AGs noch derlei Ansprüche stellen können, dann kann von einem echten "Mangel" doch keine Rede sein. Würdest du mir da zustimmen?
Ohne weiteres würde ich Dir zustimmen, was das Gehalt und die Arbeitszeit angeht, wobei ich die Arbeitszeit eher untertrieben finde. Ich war insgesamt 15 Jahre lang bei so einer AG beschäftigt, das Brutto-Anfangsgehalt betrug ca. 4k
DM(!), am Ende war es etwa soviel in Euro. Inzwischen bin ich seit langem wie die allermeisten meiner gleichaltrigen Kollegen da raus, die Arbeit war so beschaffen, dass man sie nach gängiger Lehrmeinung ab 45 kaum noch ausführen kann, d.h. man übernimmt entweder einen Gruppenleiter-Schreibtischjob mit Personalverantwortung (d.h. Stunden- und Reisekostenabrechnungen kontrollieren, Rechtfertigungsbriefchen nach oben schreiben ...) oder man ist ganz weg vom Fenster und macht Platz für ein paar neue Studienabgänger. Die sind eben viel billiger für die Firma, sie sind außerdem noch oft unverheiratet und bekommen deshalb auch keinen Stress mit Ehefrau und Kindern, wenn sie mal für ein paar Nächte im Testraum versacken oder die Firma sie einigemal im Jahr für ein paar Wochen/Monate ins Ausland schickt.
TeDeum hat geschrieben:Tritonus, würde heute tatsächlich auch so ein Mangel wie in den 5er Jahren vorherrschen, dann müssten wir doch gerade mehr Hilfskräfte haben, oder? Denn Unternehmen wären froh überhaupt jemanden zu finden! Die vermeintlich Unterqualifizierten erhielten also ihre Chance und würden erstmal Zuarbeiten und Assistieren, um die wenigen wirklichen Top-Leute zu entlasten.
Ich schließe nicht aus, dass es in vielen Bereichen Platz für solche anzulernenden Kräfte geben könnte; in meinem eigenen Berufsumfeld -- Planung, Programmierung und Inbetriebnahme von Steuerungen für Anlagen jeder Art (d.h. vor allem Produktionsanlagen, Kraftwerke, Verkehrstechnik) -- war dafür eher wenig Platz. (Ganz ähnlich übrigens wie bei Krankenschwestern, Busfahrern oder Verkehrspiloten: Entweder sie/er "hat's voll drauf" oder eben nicht, ein Mittelding gibt es nicht. Es ist einfach zu gefährlich, aus Unerfahrenheit auch nur einen winzigen Fehler zu machen.)
Das Entscheidende scheint mir aber ein Effekt zu sein, der schon in den 196ern beobachtet und beschrieben wurde. Es klingt erst einmal banal: Mit zunehmendem Einsatz von Technik steigt nicht nur die Produktivität, sondern es steigen in viel höherem Maß auch die Produktivitätsunterschiede zwischen den einzelnen Mitarbeitern.
Beispiel (nur mal zur Veranschaulichung):
1. Eine Nomadensippe sammelt Feuerholz für ihr Lagerfeuer. Um wieviel produktiver ist der begabteste und erfahrenste Feuerholzsammler der Sippe als der unbegabteste und unerfahrenste? -- Na ja, er sammelt schätzungsweise doppelt so viel Feuerholz und ist deshalb doppelt so produktiv.
2. Eine Gruppe Programmierer entwickelt zusammen ein Programm. Um wieviel produktiver ist der begabteste und erfahrenste Programmierer als der unbegabteste und unerfahrenste? -- Und jetzt kommt das Unerwartete: Er ist mit erstaunlicher Regelmäßigkeit nicht doppelt oder dreifach, sondern eher 1 oder 1 mal so produktiv wie sein schwächerer Kollege. Die Produktivitäten der Programmierer innerhalb einer Firma unterscheiden sich sehr oft um einige Zehnerpotenzen.
Und jetzt derselbe Sachverhalt aus der Sicht eines Firmenchefs: Der Chef würde vielleicht zusätzlich zum starken und erfahrenen noch den schwächeren, unerfahrenen Feuerholzsammler einstellen, weil sich durch die zusätzliche Einstellung des Schwächeren die Gesamtmenge des gesammelten Feuerholzes immerhin veranderthalbfachen würde. Ein gewisser Produktivitätsverlust wäre zwar vorhanden, aber nicht verheerend, und der schwächere lernt ja noch und wird mit der Zeit besser. Und falls der stärkere Feuerholzsammler einmal wegen Krankheit ausfallen sollte, läuft durch den schwachen Feuerholzsammler wenigstens noch ein Teil der Produktion weiter. Immerhin besser als gar nichts.
Der Chef würde aber unter allen Umständen zu vermeiden versuchen, einen schwachen Programmierer einzustellen, dem er zwar ein ganzes Gehalt zahlen muss, dafür aber so gut wie nichts (d.h. im Promillebereich) im Vergleich zu dem bekommt, was er von dem stärksten bekommt. Und falls der stärkere Programmierer einmal wegen Krankheit ausfallen sollte, läuft praktisch gar nichts weiter, der Chef kann eigentlich den oder die schwächeren auch gleich nach Hause schicken und den Laden zusperren. Egal, was manche Firmenphilosophen beispielsweise im IT-Bereich alles Nettes über Teamwörk & Co zum Besten geben: In diesen Berufen zählen, was die Produktivität angeht, ausschließlich sehr starke Einzelkämpfer und unangepasste Hackertypen oder verschworene Kleinstgruppen, alles andere Personal, egal auf welcher Ebene, gehört in die Kategorie Schaulustige und Umherstehende:
If variation in productivity increases with technology, then the contribution of the most productive individuals will not only be disproportionately large, but will actually grow with time.
When you reach the point where 9% of a group's output is created by 1% of its members, you lose big ...
(Aus dem Essay "Great Hackers" von Paul Graham, dem ich auch das Beispiel mit dem Feuerholzsammler entnommen habe,
http://www.paulgraham.com/gh.html )
Das ist ein wesentlicher Grund dafür, dass Bosse (vor allem im IT-Bereich) alle Enden der Erde nach passenden Leuten durchsuchen. So herzlos das auch klingen mag (ich meine es nicht böse und mir ist auch nicht zum Lachen zumute, es ist sogar ziemlich bitter): Eine Million arbeitswilliger HartzIV-Empfänger könnte vielleicht eine Kopie der Cheops-Pyramide in der Lüneburger Heide errichten, aber es ist noch sehr fraglich, ob sie ein einziges konkurrenzfähiges Programm schreiben könnte..