Tinius hat geschrieben:Vielleicht kann ein Alt-Katholik hier mal erläutern, ab wann und warum es dann zum Umschwung zur jetzigen Kirche kam, die mit der von 1873, 1913, 1934 und 1966 nichts mehr zu tun hat.
Zwar bin ich erstens kein Alt-Katholik (mehr) und zweitens habe ich den Umschwung nicht bewusst mitbekommen -- dafür bin selbst ich zu jung --, aber ich kann mal ungeordnet und stichwortartig wiedergeben, was ich dazu vor Jahren von einigen alten Altkatholiken gehört habe.)
1. In den 1960ern hatte die Altkatholische Kirche einen Tiefpunkt ihrer Geschichte erreicht, vor allem was die Mitgliederzahl anging. Nachdem in der zweiten Hälfte der 1940er Jahre die Mitgliederzahl in vielen Gemeinden noch einmal stark angewachsen war, weil ein riesiger Schwall Altkatholiken aus dem Sudetenland, in dem sie zahlenmäßig besonders stark waren und in vielen Orten die Mehrheit gestellt hatten, vertrieben und in deutschen Kernlanden ansässig geworden waren, herrschte in der darauffolgenden Zeit absolute Ebbe und die große Austrittswelle begann. Unter anderem machte sich ein verschärfter Priestermangel breit, bevor man das Wort Priestermangel in der römisch-katholischen Kirche überhaupt kannte. Das mag sicherlich zum Teil daran liegen, dass die stark deutsch-national(istisch)e Grundtendenz, die bis dahin über Jahrzehnte typisch für die Altkatholische Kirche war, mit dem Ende der Hitlerdikatur und dem verlorenen 2. WK einen gewissen "ideologischen Karriereknick" erlitten und ihre Anziehungskraft in weiten Kreisen eingebüßt hatte.
2. In diese Situation kam auch noch das 2. Vatikanische Konzil. Altkatholiken hörten und lasen das Stichwort "Öffnung" und traten in Scharen zur römisch-katholischen Kirche über.
3. Wann genau der endgültige Umschwung kam, kann ich Dir nicht sagen. Dazu habe ich Verschiedenes gehört.
Eine Version hat auch mit dem 2. Vatikanischen Konzil zu tun, indirekt sozusagen: In der Folge diese Konzils ergriffen viele junge Männer den Priesterberuf in der römisch-katholischen Kirche, die wohl der Ansicht waren, grundlegende Neuausrichtungen wie z.B. die Aufhebung des Zölibats wären nur noch eine Frage der Zeit. Diese wurden teilweise herb enttäuscht. Zur gleichen Zeit begann man in der altkatholischen Kirche wegen des dort herrschenden starken Priestermangels, bewusst und in großer Zahl ehemalige römisch-katholische Priester einzustellen, die ihr Amt z.B. wegen Schwierigkeiten mit dem Zölibat dort nicht weiter ausüben konnten oder wollten.
Das Witzige an der Sache ist jetzt, dass ein großer Teil dieser übergetretenen Priester nicht etwa "im Herzen ein bisschen römisch-katholischer" geblieben wären als ihre schon immer altkatholischen Kollegen, sondern -- typisch für viele Konvertiten -- sofort einen unüberhörbar kalten und scharfen anti-römischen Wind in der altkatholischen Kirche verbreiteten. Noch heute dürfte die überwiegende Mehrheit der altkatholischen PriesterInnen eine römisch-katholische Vergangenheit haben, als rk Priester, Pastoralassistentin, Theologiestudent usw. Da wird dann gerne kräftig kollektive Vergangenheitsbewältigung betrieben, das merkt man selbst bei (zu) vielen Predigten, und der eigene Weg und die Zukunft als Kirche kann da schon mal gern ein bisschen auf der Strecke bleiben. "Wieso Profil? Wir haben doch schon ein Profil: Wir sind nicht so wie die, bei denen wir früher mal waren."
(Persönliche Bemerkung: Die Tragik an der Sache ist, dass die meisten "Ex-Römer" die in der altkatholischen Kirche durch genau diese "Ex-Römer" verbreitete kollektive Selbsthilfegruppen-, Therapiestunden- und Vergangenheitsbewältigungsatmosphäre irgendwie gar nicht wahrzunehmen scheinen, aber dafür viele andere, dafür reicht oft schon ein einziger Besuch. Für ex-agnostische, ex-evangelische oder ex-sonstwas Altkatholiken kann es schon eine extreme Tortur und zum Kotzen nervig sein, sich jahre- und jahrzehntelang vor allem die Geschichten über die Differenzen und Abgrenzungen zu den "Römern" anzuhören und ständig die eigene, d.h. die altkatholische Kirche sozusagen ausschließlich oder zumindest überwiegend als Gegenpol von etwas definiert zu bekommen, was man selbst möglicherweise gar nicht kennt.)
4. Damit war der weitere Kurs festgelegt.
a) Die altkatholische Kirche muss vor allem "anders" sein als die römisch-katholische.
b) "Die Römer" galten ziemlich bald nach dem Konzil wieder als "konservativ" und "rückständig".
c) Aus a und b folgt: Die altkatholische Kirche muss "modern" sein.
Total alternativ, Alda.