Sempre hat geschrieben:Es gibt auch fürchterliche Bilder aus Gefängnissen für Menschen. Das aber ist m.E. kein Argument gegen Gefängnisse. (...) Erst dann, wenn wir einig wären, dass Nutztiere völlig ok sind, könnte es sinnvoll sein, die zweite Frage zu betrachten.
Das Prinzip der Gefängnisse braucht nicht zwingend fürchterliche Verhältnisse. Das System der Tierindustrie ist aber ohne solche nicht lebensfähig. Agrarminister Christian Schmidt (CSU) erklärte bei seinem Amtsantritt 2014 die Intensivlandwirtschaft für unabdingbar - so weit die Position der deutschen Landwirte. Die Frage, ob die Nutztierhaltung prinzipiell ok sein könnte, ist also die, die rein theoretischer Natur ist. Allein Bio-Fleisch stellt mit einem Marktanteil von unter 4% in Deutschland eine Ausnahme unterhalb der Signifikanzgrenze dar, obwohl selbst das in Intensivtierhaltung produziert worden sein kann. Nicht-Veganer in Deutschland orientieren ihr Produkt-Bild an einem Tierhaltungs-Idyll, aber kaufen und profitieren von der fürchterlichen Haltung.
Tierhaltung ist nicht das Problem, imho (halte selbst einen Hund). Das unterscheidet mich allerdings schon von vielen Veganern, die auch Haustierhaltung schlechthin ablehnen.
Sempre hat geschrieben:Dann geht es Dir eigentlich gar nicht direkt um Veganismus im Sinne von keine tierische Nahrung zu sich nehmen. Das ist nur ein Nebeneffekt, der resultiert, wenn man Tieren allerlei Rechte zugesteht, die der Mensch zu beachten habe, wie etwa sie nicht zu züchten, sie nicht als Rohstoff, Arbeitskraft usf. zu nutzen, sie nicht zu quälen oder zu töten.
Genau so sehe ich das.
Sempre hat geschrieben:Gegen die Nutzung von bereits toten Tieren wäre nichts einzuwenden!? Oder gibt es auch so etwas wie Leichenruhe?
Die Würde der Toten... naja, ich gehöre nicht zu denen, die die für sonderlich relevant halten. Das versehentlich überfahrene Reh von der Straße zu sammeln, um es zu essen, das fände ich nicht problematisch. Vegan wäre es damit natürlich nicht - das zeigt mal wieder, dass die Sprache zu wenige Worte hat. (Unfallopfer heißt lateinisch Casus - wäre das dann "Caso-Veganismus"?

)
Sempre hat geschrieben:Es geht dann auch nicht speziell um Massentierhaltung in der modernen Welt. Bereits etwa die Kastration eines Stiers zwecks Gewinnung eines braven Ochsen für den Pflug ist verwerflich. Kunstreiten ebenso. Darf man einen Hund abrichten, dass er seinem Herrn einen Stock bringt? Darf man Herr eines Hundes sein?
Prima Themen für Veganerforen... Beim ersten sind sich sicher noch alle einig, dass es nicht gut ist. Reiten würde interessant, denn die meisten Mitglieder solcher Foren sind junge Frauen, ebenso, wie die meisten Kunden von Mietställen und Ponyhöfen weiblich sind. Hierarchie in der Hundehaltung ist hingegen ein absolut artgerechter Umgang, das lohnte keine Diskussion, imho.
Sempre hat geschrieben:Ich habe mir das Interview angeschaut und kann bloß ein Unbehagen erkennen, weder aber einen klaren Standpunkt noch gute Argumente.
Das ist wahr. Das Interview ist nicht gut, der verlinkte Kommentar kommt ja auch zu dem Schluss. Precht ist kein Tierrechtler - ein Gary Yourofsky käme schneller zum Punkt. Und Spaemann ist in seiner Argumentation nicht konsistent. Ich fände es interessant, ob er nach dem Interview noch einmal an der Thematik gearbeitet hat, und falls ja, ob er es bemerkt und korrigiert hat. Ich vermute aber, das ist nicht der Fall gewesen. Trotzdem wird ein Nicht-Veganer ihm vermutlich eher glauben, als mir, dass Tierkonsum aus moralischer Sicht dem Nicht-Tierkonsum vorzuziehen ist - schließlich ist er vom Fach, und dazu noch selbst Tierkonsument. Deswegen mein Bezug.
Sempre hat geschrieben:Fische grausam zu ermorden sei ethisch nicht vertretbar, sagst Du nun.
Was, bitte, sagst Du zu dem Delphin, der sie verspeist?
Gefangener Fisch ist erstmal viel besser, als Fleisch, Milch oder Käse, denn das Leid beschränkt sich auf Fang und Tötung - die Qualhaltung fällt weg. Ich esse trotzdem keinen Fisch, weil das Töten grausam ist - krieg ich nicht hin. Der Delphin hat keine Kompetenzen in Sachen Moral, also ist er als Vorbild für den Menschen ungeeignet.
Sempre hat geschrieben:Wie nur begründest Du die sonderbare Position, der Mensch dürfe nicht nutzen und essen, was er immer und überall genutzt und gegessen hat?
Dazu hier ein Zitat eines großen Denker unserer Zeit:
Juergen hat geschrieben:Es ist immer problematisch, wenn das Faktische als normativ angesehen wird. – Das Faktische kann nämlich auch einfach nur Scheiße sein.
Oder, um eine provokante Analogie zu bemühen: es gab auch schon immer und überall Menschen, die ihre Kinder sexuell missbraucht haben, aber es ist keine sonderbare Position, zu meinen, der Mensch dürfe dies nicht.
Juergen hat geschrieben:Nehmen wir nun als Beispiel mal Honig...
Die monokulturelle Landwirtschaftsindustrie mit der gewerblichen Imkerei hat den Hauptanteil daran, dass die Wildbienen keinen Lebensraum mehr haben. Ist ein interessantes Thema. Der Veganer befürwortet meist eine extensive Landwirtschaft, im Idealfall biovegan. Die gibt es in Deutschland allerdings noch kaum...
Nur, um das hier mal gesagt zu haben: Veganer nehmen nicht für sich in Anspruch, auf alle Probleme, die die Menschheit in der Vergangenheit so hervorgebracht haben, die Antwort zu kennen. Für mich ist Veganismus keine Religion, sondern eine Quest.
Raphael hat geschrieben:Dabei erscheint der ethische Veganismus als eine Steigerung anderer Einstellungen wie bspw. dem Vegetarismus, die einen ähnlichen Hintergrund haben, jedoch im täglichen Leben weniger radikale Folgen zeitigen.
Naja: der Vegetarier blendet das Schlachten einfach nur aus; vergisst, das Milch und Eier von Mädels kommen, und denkt nicht daran, wo die Jungs zu den Mädels geblieben sind. Es gibt Milch und Eier nicht, ohne dass Tiere dafür getötet werden. Vegetarier sein ist imo nur ein Zwischenschritt auf dem Weg zum Veganismus; ein Weg, der mit dem Verstand und der Bewusstheit gegangen wird, und nicht mit dem gewohnten Trott.