Hilarion Alfejew (russisch-orthodoxer Bischof von Wien und Österreich) hat geschrieben:
Habemus Papam!
Am Abend des 19. April 2005 hielt ich an der katholischen theologischen Fakultät der Universität Freiburg (Schweiz) eine Vorlesung. Ich begann sie mit einigen Worten über Papst Johannes Paul II und seinen starken Widerstand gegen den in Europa vorherrschenden Säkularismus, Liberalismus und Relativismus. Als ich über die aktuellen Angriffe des militanten Säkularismus sprach, was das Hauptthema meiner Vorlesung war, bestand ich auf der Notwendigkeit einer Bildung einer gemeinsamen Gegenfront der Katholiken und der Orthodoxen in Europa und einer paneuropäischen Allianz des traditionellen Christentums, um die geistigen Werte zu verteidigen. Weiters brachte ich meine Hoffnung zum Ausdruck, daß der neue Papst, den das Konklave wählen sollte, ein genauso aktiver Gegner des Säkularismus und Liberalismus sein möge, wie es Johannes Paul II. gewesen ist.
Als ich geendet hatte, ergriff die Dekanin der Fakultät, Frau Professor Barbara Hallensleben, das Wort, um die Wahl Kardinal Ratzingers zum Papst Benedikt XVI., dem 265. Papst von Rom, zu verkünden. Alle Teilnehmer des Treffens standen auf, um Gott für diese Wahl zu danken und gemeinsam das "Vater unser" zu beten.
Was erwarte ich als orthodoxer Bischof, der in Europa lebt und sein Amt versieht, vom neuen Pontifikat?
Zunächst, daß die Katholische Kirche ihre traditionelle Doktrin und Moral bewahrt, ohne dem Druck der "progressiven" Gruppen nachzugeben, die eine Ordination von Frauen, eine Anerkennung so genannter "gleichgeschlechtlicher Ehen", Abtreibung, Verhütung, Euthanasie usw. fordern. Es besteht kein Zweifel, daß Papst Benedikt XVI., der seine Position in diesen Fragen schon klargestellt hat, solchen Gruppen, die sowohl innerhalb als auch außerhalb der Katholischen Kirche existieren, weiter widersprechen wird.
Zweitens hoffe ich, daß das neue Pontifikat von einem Durchbruch in den Beziehungen zwischen der Römisch-Katholischen und der Orthodoxen Kirche gekennzeichnet sein, und daß ein Treffen zwischen dem Papst von Rom und dem Patriarchen von Moskau stattfinden wird. Diesem Treffen sollten konkrete Schritte in Richtung eines besseren gegenseitigen Verständnisses und einer sorgfältigen Ausarbeitung einer gemeinsamen Position in den großen trennenden Fragen vorangehen.
Ich hoffe auch, daß es eine allgemeine Verbesserung in den Beziehungen zwischen der Katholischen Kirche und der Weltorthodoxie geben wird. Im Jahr 2000 vertrat ich das Moskauer Patriarchat bei einem Treffen der gemischten katholisch-orthodoxen theologischen Kommission, die sich mit der Frage der Unierten befaßte. Es wurde zu diesem Thema keine Übereinstimmung erzielt, und die Diskussion, die voll von Frustration, Enttäuschung und Bitterkeit auf beiden Seiten war, endete ohne klare Beschlüsse, ob die Arbeit dieser Kommission je fortgesetzt werden würde. Ich hoffe, daß diese Kommission ihre Arbeit unter dem neuen Pontifikat wieder aufnimmt oder daß eine neue Kommission für einen bilateralen Dialog gebildet wird, um die Frage der Unierten und andere theologische und ekklesiologische Fragen, die unsere Kirchen noch trennen, zu diskutieren.
Die Arbeit einer bilateralen Kommission wird nicht einfach sein und viele Jahre dauern. Meine Sorge ist dennoch, daß wir, wenn wir uns nur darauf konzentrieren, was uns trennt, wertvolle Zeit verlieren, die wir für ein gemeinsames Zeugnis vor der säkularisierten Welt verwenden könnten.
Besonders Europa wird so schnell entchristianisiert, daß dringender Handlungsbedarf besteht, um es vor dem Verlust seiner jahrhundertealten christlichen Identität zu bewahren. Ich glaube fest daran, daß für die Katholiken und die Orthodoxen die Zeit gekommen ist, ihre Anstrengungen zu vereinen und das traditionelle Christentum zu verteidigen, das von allen Seiten angegriffen wird. In zwanzig, dreißig oder vierzig Jahren kann es einfach zu spät sein.
Genau deshalb schlage ich die Bildung einer europäischen katholisch-orthodoxen Allianz vor, damit die offiziellen Vertreter beider Kirchen eine gemeinsame Position in allen großen sozialen und ethischen Themen ausarbeiten und mit einer Stimme sprechen können. Es gibt bereits die Konferenz der Europäischen Kirchen, wo die Orthodoxen mit den Protestanten zusammenarbeiten; es gibt die COMECE, wo die Katholiken Themen von paneuropäischer Bedeutung miteinander besprechen. Aber wo ist ein gemeinsames katholisch-orthodoxes Forum? Es gibt so viel Verbindendes in unserer sozialen und ethischen Doktrin: Warum können wir dies nicht "urbi et orbi" verkünden?
Vielleicht wird es Papst Benedikt XVI. sein, der die historische Mission verwirklichen wird, die Katholiken und die Orthodoxen zusammenzubringen, um das Christentum gegen die Herausforderung des militanten Säkularismus zu verteidigen.