Im Prinzip gibt es zu Roberts Darstellung gar nicht so viel zu sagen. Zu erkennen ist sein ehrliches und löbliches Bemühen, Streit durch einen, sagen wir, guten Willen beim Blick auf die Geschichte zu beschwichtigen. Allerdings gerät dabei manches zur Beschönigung; ich habe prinzipiell nichts dagegen, aber bei der erfolgten Darstellung tauchen eine Menge Fragen auf, die keine Antowrten bekämen, würde man den endgültigen Bruch - oder wenigstens ernsthafte Diskrepanzen - nicht viel eher ansetzen als im 18. Jahrhundert.
Ich will die Dinge, die ich meine, auch nur kurz anschneiden, um Raum für Diskussion zu lassen.
Zum ersten wären da die verschiedenen Unionen, das heißt also quasi Verträge, die geschlossen wurden, um die Ostkirchen unter das Jurisdiktionsprimat des Papstes von Rom zu stellen. Aus welchem kühlen Grunde waren solche Aktionen nötig, wenn es gar keinen Bruch gab? Ich möchte hier auf den Hl. Markos von Ephesos hinweisen, der den Orthodoxen als ein wichtiger Pfeiler des rechten Glaubens gilt; er hatte auf dem Unionskonzil von Ferrara-Florenz als einziger gegen die unter politischem Druck zustandekommende "Union" standgehalten, wodurch die Ostkirche - um Haaresbreite - der Subordination unter Rom entging. Die 200 (oder 2000?) Soldaten, die der Papst damals zur Verteidigung Konstantinopels gegen die Türken sandte, reichten bekanntermaßen hinten und vorn nicht; Konstantinopel ist kurz darauf gefallen, und trotz noch immer formal bestehender Union berief man sich ziemlich schnell auf den Hl. Markos; er wurde schon recht kurz nach seinem Tode (1457) heiliggesprochen.
Damit im Zusammenhang kann man die russische Geschichte sehen. Die russische Kirche bekam ihre Autokephalie nicht etwa durch einen feierlichen Akt von Konstantinopel verliehen, sondern sie war gewissermaßen eine Notwendigkeit, die sich aus dem Fall von Konstantinopel ergab. Die Bischöfe der Rus' gingen 1458 endgültig dazu über, ihren Metropoliten selbst zu wählen, u.a. "weil uns nicht bekannt ist, ob es in Konstantinopel überhaupt noch einen orthodoxen Patriarchen gibt." Der Fall von Konstantinopel wurde also immer schon nicht nur politisch, sondern auch kirchlich interpretiert - der Fall wäre hier: die Union mit Rom.
Nun gab es auch bei der Missionierung der Rus' und der baltischen Völker von vornheirein Reibereien zwischen Lateinern und Griechen, und das nicht lange nach der Zeit des Hl. Photios. Der hl. Großfürst Wladimir war ein recht weiser Mann. Er sah die Notwendigkeit, sich zwischen einem der beiden Pole zu entscheiden, und löste diese Frage gänzlich unpolitisch, er ließ sich einfach die Eindrücke der von ihm entsandten Boten berichten und führte sein Volk so dem griechischen - nicht dem lateinischen - Glauben zu. Es war also schon im 10. Jahrhundert ein Unterschied, der nicht nur politisch gewesen sein kann.
Nicht umsonst wurden übrigens die lateinischen Ritterorden im Norden, z.B. der Schwertträgerorden, gegründet. Dies waren ja quasi nichts weiter als bewaffnete Mönche, die eben auf die ihre Art missionierten. Auf welche Weise die lateinische "Gegenmission" in den Ländern des östlichen Baltikums lief, spottet jeder Beschreibung. Und das war alles noch lange vor dem 18. Jahrhundert, ca. bis zum Fall von Kiew unters Joch der Mongolen (1243). Wie viele Sendschreiben mit Schmeicheleien und Drohungen von Päpsten sind in den Chroniken überliefert! Die Fürsten sollten jeweils für verschiedene Vergütungen ihr Volk der lateinischen Kirche angliedern. Es gab mehrere Zeiträume aus mehreren Jahrzehnten, in denen das dann auch der Fall gewesen ist. Natürlich war es immer Politik! Aber es war eben nicht einerlei, und der Bruch ging schon damals ziemlich tief.
Die durch den Fall Kiews letzten Endes gespaltene Kiewer (mit dem sich spätestens seit dem hl. Metropoliten Petr gefestigten Metropolitensitz Moskau) war aber weiter Gegenstand des lateinischen Interesses. Durch Polen und Litauen, später durch die vereinigte Pospolita wurde eine Kirchenpolitik getrieben, die die orthodoxe Hierarchie über die Jahre faktisch zersetzte. Das Phänomen war: die Regierung war katholisch (lateinisch), die Kirche aber griechisch. Nun kam auch in diesen Landen die europäische Kirchenpolitik zum Tragen: Klöster, Bistümer, kirchliche Ämter usw. wurden als Lehen vergeben. Zum Ende des 16. Jahrhunderts hatte die Kiewer Metropolie bis auf wenige Ausnahmen eine Hierarchie, die komplett unkirchlich war - die Bischöfe waren in manchen Fällen nicht einmal geweihte Bischöfe, sondern sie waren nur nominiert, was ihnen aber bereits die Gewalt über die Diözesen auslieferte. Als Reaktion bildeten sich im Volk die Bruderschaften, die versuchten, den Schaden für die Kirche zu minimieren, aber es wurde allmählich der Boden für eine neue Union bereitet: die Union von Brest im Jahr 1596. Schon bald aber, nachdem die verschiedentlichen Versprechen Roms betreffs militärischer und sonstiger Unterstützung mal wieder nicht eingehalten wurden, erkannten einige namhafte Bischöfe, u.a. Grigorij der Bulgare, ihren Irrtum und bereuten ihre Teilnahme an der Union; sie kehrten zur Orthodoxie zurück.
Man pflegt heutzutage die verschiedenen Orthodoxen Ortskirchen u.a. danach zu klassifizieren, wie freundschaftlich sie der Römisch-Katholischen Kirche gegenüber sind. Dabei gilt Konstantinopel als sehr freundschaftlich, Moskau als eher distanziert. Tut's Wunder? Heute wird in Rußland ja weiter Politik getrieben: Kirchenprovinzen des Vatikan gibt es in Rußland seit 2002, jetzt im Herbst vollzieht sich der Umzug der Kathedra der Unierten von Lwow nach Kiew (eine Stadt, in der man Katholiken, auch des byzantinischen Ritus, mit einer Lupe zu suchen hätte) sowie die zumindest von der UGKK für bald erhoffte Schaffung eines griechisch-katholischen Patriarchates in der Ukraine. Ein Bruch? Ich glaube schon.
Es ging aber um die Zeit vor dem 18. Jahrhundert, in dem von Robert (und anderen) der "endgültige Bruch" angesiedelt wird. Sicher sind die beschriebenen teilweise krassen Feindseligkeiten zwischen Lateinern und Griechen/Russen auch nur Politik, aber zu behaupten, es gäbe eine "volle kirchliche und sakramentale Gemeinschaft", entspricht einfach nicht den Tatsachen, und den Bruch suchen jetzt nicht irgendwelche auf Abgrenzung zielenden Historiker, sondern er war den jeweils handelnden Perosnen ihrer Zeit jeweils voll bewußt. (Von der Jahrhundertwende vom 17. zum 18. Jahrhundert sind mehrere Traktate des griechischen Bischofs Elias Miniatis bekannt (u.a. "Der Stein des Anstoßes"), in denen er die Vorwürfe des Photios zum Teil reproduziert, allerdings steht bei ihm an erster Stelle bereits das Papsttum.)
Ich erwähne hier oft genug die Politik; insofern bestätige ich gern Robert, der meint, man habe die theologische Keule meist nur nebenbei geschwungen. Mir scheint, Politik ist überhaupt die Quelle der meisten Übel. Interessanterweise war aber auch die "Intercommunio" zwischen der (russischen) Orthodoxie und dem Vatikan in den 1960-70'er Jahren ein Produkt der Politik; aber, Hand auf's Herz, die Ostkirche war und ist bei jeglicher dieser Politik immer in der Defensive gewesen.
Niemand im Osten, den man wirklich ernstzunehmen hätte, hat ein Problem mit der römischen Tradition. Ich denke aber, daß man im Bezug auf die Glaubenslehre schon immer ziemlich empfindlich war; man kann die diversen Fürsten und Imperatoren getrost beiseite lassen und braucht sich nur an die Heiligen zu wenden. An dieser Stelle muß man zwangsweise ehrlich zugeben, daß eine kirchliche Gemeinschaft nicht bis ins 18. Jahrhundert bestand...