EU-Verfassung

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Werner001
Beiträge: 522
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Beitrag von Werner001 »

Knecht Ruprecht hat geschrieben:Meisner: Wir dürfen nicht länger so tun, als ob wir im Untergang des Abendlandes stehen.
Na, das sollten sich seine Amtsbrüder mal zu Herzen nehmen!

Werner

Petra
Beiträge: 6157
Registriert: Samstag 4. Oktober 2003, 19:30

Beitrag von Petra »

Würdest du dem Rest des Zitats auch zustimmen? :hmm:

Stefan

Ein Blick in die Verfassung für Europa

Beitrag von Stefan »

Ich gebe ja zu, daß ich zwar schon lange gegen die EU-Verfassung bin, aber eher aus systematischen Gründen (gegen den Strom schwimmen ;D ). Da es nun aber Mode wird, gegen die EU-Verfassung zu sein, muß ich überlegen, ob ich meine Haltung ändern muß ;D

Nun ist es keineswegs so, daß eine Verfassung eben für Europa ratifiziert wird und anschließend hört man nichts mehr davon; im Gegenteil. Mit Inkrafttreten der EU-Verfassung steht dieses Vertragswerk über unserem Grundgesetz und hat Bindungswirkung für den Gesetzgeber, sofern er verfassungskonform bleiben will. Gleich am Anfang stoße ich schon auf einen sehr zentralen Artikel:
EU-Verfassung hat geschrieben: Artikel I-2 Die Werte der Union

Die Werte, auf die sich die Union gründet, sind die Achtung der Menschenwürde, Freiheit, Demokratie, Gleichheit, Rechtsstaatlichkeit und die Wahrung der Menschenrechte einschließlich der Rechte der Personen, die Minderheiten angehören. Diese Werte sind allen Mitgliedstaaten in einer Gesellschaft gemeinsam, die sich durch Pluralismus, Nichtdiskriminierung, Toleranz, Gerechtigkeit, Solidarität und die Gleichheit von Frauen und Männern auszeichnet.
Hier fällt zunächst der Begriff "Gleichheit" auf. Was ist denn mit Gleichheit gemeint? Ist Gleichheit ein Wert?
Ich finde es ferner problematisch, wenn verfassungsrechtlich Männer und Frauen gleich sein müssen. Hat jemand eine Idee, wie das realisiert werden soll?

Im Grundgesetz steht hingegen:
Grundgesetz hat geschrieben:Artikel 3
(1) Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich.

(2) Männer und Frauen sind gleichberechtigt. Der Staat fördert die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern und wirkt auf die Beseitigung bestehender Nachteile hin.
Hier ist klar, was gemeint ist: Gleichheit vor dem Gesetz meint: Gesetze müssen für jeden die gleiche Bedeutung haben, aber sie müssen nicht inhaltlich eine Gleichheit herbeiführen, wie dies die EU-Verfassung suggeriert. Ähnliches gilt für Artikel 2. Während die EU-Verfassung die Gleichheit von Mann und Frau fordert, spricht unser Grundgesetz von der etwas sinnhafteren "Gleichberechtigung". Das ist etwas anderes, denn es ist in der Tat ein hoher Wert, wenn ein Staat die Gleichbehandlung von Mann und Frau gewährleistet, bzw. darauf hinwirkt.

Nun mag man wieder sagen: :roll:
Aber aus diesem Stoff werden die Gerichtsprozesse gemacht. Wenn ein Gesetzestext nicht haarscharf formuliert wird, dann kommt Rechtsunsicherheit auf, und nichts ist für eine Verfassung schlimmer als dieses. In einer Joghurt-Verordnung eines faulen EU-Beamten macht das ja nichts aus - aber in einer Verfassung?

Den Text gibts übrigens hier:
EU-Verfassung

Und weil es so schön ist:

Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland

Plinius
Beiträge: 4
Registriert: Mittwoch 22. Juni 2005, 16:35

Beitrag von Plinius »

Es ist ja nicht so, daß mit einem Inkrafttreten der europäischen Verfassung die nationalen Verfassungen und Gesetze außer Kraft gesetzt würden.

Der Status quo besagt doch jetzt schon, daß Gemeinschaftsrecht dem nationalen Recht vorgeht. Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) hat in seiner Solange-Rechtsprechung die entsprechenden Grundsätze aufgestellt, die sicherstellen, daß das deutsche Recht nicht vollständig verdrängt wird.

Mit der neuen Verfassung müßte diese Rechtsprechung natürlich überprüft und ggf. überarbeitet werden.

Mit dem Subsidiaritätsprinzip und der klaren Aufteilung der Kompetenzen und Zuständigkeiten der Europäischen Union ist auch von EU-Ebene her sichergestellt, daß den einzelnen Staaten die Souveränität und Eigenverantwortlichkeit bleibt.

Zu der Frage, was Gleichheit etc. bedeuten:

Es gibt seit Jahrzehnten eine ausgeprägte Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes (EuGH) in Luxemburg und des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte (dieser zusammen mit der Kommission für Menschenrecht) - wobei letzterer keine Einrichtung der EU ist, gleichwohl gewissen Einfluß auf sämtliche Mitgliedstaaten der EU hat.

Der EuGH hat sich sehr intensiv mit den Grund- und Menschenrechten und mit den Werten der Gemeinschaft befaßt und diese sehr genau definiert - zum Teil enger und besser als das Grundgesetz und das BVerfG. Der Grundrechtsschutz nach der Rechtsprechung des EuGH hat ein sehr hohes Niveau, so daß Deutschland nicht befürchten muß, hier bei einem weiteren europäischen Zusammenwachsen den kürzeren zu ziehen.

Eine europäische Verfassung würde endlich eine wirkliche Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik der Europäer ermöglichen.

Wo etwas passieren muß, ist bei der föderalen Struktur der Bundesrepublik, da hier bisweilen Gesetzgebungskompetenzen des Bundes und der Länder bei europäischen Vorgaben kollidieren.

Problematisch ist meines Erachtens derzeit bei Europa allerdings die Frage der Erweiterung bzw. deren Grenzen.

Aber dies ist keine Frage der Verfassung sondern dessen, was Europa will und verträgt.
"Ich bin das Licht der Welt. Wer mir nachfolgt, wird nicht in der Finsternis umhergehen, sondern wird das Licht des Lebens haben." (Joh. 8, 12)

Stefan

Beitrag von Stefan »

Wenn ich schreibe, daß ich gegen die EU-Verfassung bin, so bedeutet dies nicht, daß ich gegen jede EU-Verfassung wäre.

Als ich die Verfassung quer gelesen habe, sind mit zahlreiche Artikel begegnet, in denen politische Inhalte enthalten sind. Es gibt sehr viele Ungenauigkeiten im Text, ich habe oben ein relativ harmloses Beispiel genommen.

Wenn Europa wirklich gewollt ist und Bestand haben soll, so kann diese Verfassung keine guten Dienste leisten; sie führt in Krisensituationen zur Handlungsunfähigkeit. In der Vrafssung sollten nur die Grundrechte, die Organe sowie deren Zuständigkeiten und Verfahren geregelt werden.

Sowas ist zum Beispiel (nur eines von sehr vielen) nichts, was man so in eine Verfassung schreibt:
Artikel II-94 Soziale Sicherheit und soziale Unterstützung

(1) Die Union anerkennt und achtet das Recht auf Zugang zu den Leistungen der sozialen Sicherheit und zu den sozialen Diensten, die in Fällen wie Mutterschaft, Krankheit, Arbeitsunfall, Pflegebedürftigkeit oder im Alter sowie bei Verlust des Arbeitsplatzes Schutz gewährleisten, nach Maßgabe des Unionsrechts und der einzelstaatlichen Rechtsvorschriften und Gepflogenheiten.

(2) Jeder Mensch, der in der Union seinen rechtmäßigen Wohnsitz hat und seinen Aufenthalt rechtmäßig wechselt, hat Anspruch auf die Leistungen der sozialen Sicherheit und die sozialen Vergünstigungen nach dem Unionsrecht und den einzelstaatlichen Rechtsvorschriften und Gepflogenheiten.

(3) Um die soziale Ausgrenzung und die Armut zu bekämpfen, anerkennt und achtet die Union das Recht auf eine soziale Unterstützung und eine Unterstützung für die Wohnung, die allen, die nicht über ausreichende Mittel verfügen, ein menschenwürdiges Dasein sicherstellen sollen, nach Maßgabe des Unionsrechts und der einzelstaatlichen Rechtsvorschriften und Gepflogenheiten.
oder:
Artikel II-98 Verbraucherschutz

Die Politik der Union stellt ein hohes Verbraucherschutzniveau sicher.
Das gehört in ein Gesetz, welches auch bei Bedarf einfach geändert oder erweitert werden kann. Immerhin ist die Änderung der EU-Verfassung nicht ohne weiteres möglich!

Was die Organe betrifft, bin ich allerdings auch nicht mit der Aufteilung einverstanden; sie orientiert sich zu sehr am Status Quo.
Artikel I-19 Die Organe der Union

(1) Die Union verfügt über einen institutionellen Rahmen, der zum Zweck hat,

— ihren Werten Geltung zu verschaffen,

— ihre Ziele zu verfolgen,

— ihren Interessen, denen ihrer Bürgerinnen und Bürger und denen der Mitgliedstaaten zu dienen,

— die Kohärenz, Effizienz und Kontinuität ihrer Politik und ihrer Maßnahmen sicherzustellen.
Sehr geschwätzig.

Dieser institutionelle Rahmen umfasst

— das Europäische Parlament,

— den Europäischen Rat,

— den Ministerrat (im Folgenden „Rat“),

— die Europäische Kommission (im Folgenden „Kommission“),

— den Gerichtshof der Europäischen Union.

(2) Jedes Organ handelt nach Maßgabe der ihm in der Verfassung zugewiesenen Befugnisse nach den Verfahren und unter den Bedingungen, die in der Verfassung festgelegt sind. Die Organe arbeiten loyal zusammen.
Es ist butterweich formuliert; man spricht von Zusammenarbeit und Loyalität - das wird nix.

Warum richtet man nicht eine klassische Gewaltenteilung ein?

- Regierung mit dem Präsidenten an der Spitze, der vom EU-Volk gewählt wird.
- Direktes Parlament und Rat mit Vertretern der Einzelstaaten, mit klar definierten Kompetenzen
- Gerichtshof.

Diesen Schrott mit der Kommission, Rat und Ministerrat hätte man sortieren können.

Nein, ich will diese Verfassung nicht, ich will eine richtige. Ein schlanke, die handhabar ist, und wirklich so gut wie nicht mehr änderbar ist (Einstimmigkeit).

Plinius
Beiträge: 4
Registriert: Mittwoch 22. Juni 2005, 16:35

Beitrag von Plinius »

Das ist löblich!

Aber diese Verfassung ist nun mal ein Kompromiß und mehr war nicht drin. Jede Nation will immer ihr eigenes Süppchen kochen.

Und wenn man sich dann anschaut, was bei den Referenden rausgekommen ist. Vielen geht diese Verfassung schon zu weit.

Man kann nicht immer gleich alles haben. Europa muß zusammenwachsen. So wie's jetzt ausschaut, schmeckt es mir auch nicht unbedingt. Aber besser, es sind Fortschritte ersichtlich und diese werden genutzt, als daß man alles will und nichts kriegt.
"Ich bin das Licht der Welt. Wer mir nachfolgt, wird nicht in der Finsternis umhergehen, sondern wird das Licht des Lebens haben." (Joh. 8, 12)

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Knecht Ruprecht
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Beitrag von Knecht Ruprecht »


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