Ich habe jetzt das ganze Dokument plus einige (positive und negative) Reaktionen aus diversen Medien dazu hinter mich gebracht und halte folgende Erkenntnisse fest:
Dieses Dokument unterscheidet - sinnvollerweise - zwischen Fakten und Methoden, also der christlichen Anthropologie und den diversen Irrtümern der Gendertheorien einerseits und andererseits "wie soll man in Unterricht und Pastoral mit dem Thema und den Betroffenen umgehen". Der Dialog (der im Dokument strukturiert wird in der Form "zuerst zuhören und verstehen, und schließlich argumentieren") wird als notwendig erachtet, aber nicht, um lehramtlich feststehende Positionen in Frage zu stellen, sondern um den spezifischen Fragen oder der konkreten Situation der Betroffenen entsprechend persönlich antworten zu können - freilich auf dem Fundament der christlichen Anthropologie.
Irmgard hat geschrieben: ↑Dienstag 11. Juni 2019, 18:44
Das macht doch nur Sinn, wenn ich füchte, der sozioligische Kontext sei stärker als diese Wahrheit. So ist es doch nicht. Niemand zweifelt die biologischen Tatsachen doch an.
Oh doch! - jedenfalls sehen es die Autoren dieses Schreibens so (und ich stimme ihnen da völlig zu). Beispielsweise warnt das Dokument sehr explizit (zB in Punkt 8 ), dass in aktuellen Studien die Geschlechtlichkeit des Menschen "mehr als soziales Konstrukt denn als biologische Realität dargestellt oder vorausgesetzt wird", und dass dies eben eine falsche Grundlage ist, auf der dann falsche Einsichten und falsche Handlungen [wie zB die Einleitung medizinischer Maßnahmen mit unumkehrbaren körperlichen Veränderungsfolgen schon bei Jugendlichen und gegen den expliziten Willen der Erziehungsberechtigten] erfolgen.
Die biologischen Tatsachen - der Mensch ist grundsätzlich zweigeschlechtlich, Mann (auf Frau hingeordnet) und Frau (auf Mann hingeordnet) - werden von den verschiedenen im Dokument auch genannten Genderthesen eben nicht als Grundlage des Menschenbilds und damit auch der Sexualerziehung, sondern als mehr oder weniger irrelevanter Nebenaspekt betrachtet, wohingegen der subjektive Wille und das persönliche Empfinden des Einzelnen das maßgeblichste Element bei der Festlegung des eigenen "Gender" sein müsse.
Das beginnt mit der im Dokument (Punkt 11) angeprangerten begrifflichen Dissoziation zwischen "biologischem Geschlecht" und "eigentlichem Gender" (Wohlgemerkt: nicht die durchaus sinnvoll mögliche _Unterscheidung_ dieser Begriffe wird kritisiert, sondern die absichtliche _Auseinandertrennung und Unabhängigmachung_. So ähnlich wie man beispielsweise durchaus sinnvoll zwischen "Geruch" und "Geschmack" unterscheiden kann, aber es falsch wäre, diese beiden Begriffe für völlig unabhängig voneinander zu erklären) und geht dann von Begriffen wie "Transgenderismus" und "Genderfluidität" bis zu den Irrtümern betreffend das Wesen von Ehe und Familie.
Ich möchte das Dokument hier nicht "ausführlich zusammenfassen", weil es ohnehin recht kompakt und klar lesbar verfasst ist; und eine deutsche Übersetzung wird wohl auch bald verfügbar sein. Ich halte es für nicht besonders "wissenschaftlich", aber das braucht es auch nicht sein; es nennt recht klar die Irrtümer, die durch die diversen "Gendertheorien" heute weite Verbreitung finden und auch in der Kirche, der Wissensvermittlung und vielleicht auch der Seelsorge Verwirrung stiften (ich merke das ja bei meinen eigenen Kindern, die trotz meiner katechetischen Bemühungen diesen Theorien teils durchaus Glauben schenken

) und widmet sich intensiv der Frage, wie man angesichts dieser weit verbreiteten Irrtümer dennoch wirksam und in rechter Weise über diese Themen sprechen kann.
So gebe ich dir Recht: Das Dokument sagt, man muss über beides sprechen, die anthropologischen Fakten (d.h. das christliche Menschenbild und nicht irgendwelche Gendertheorien) und wie man mit den Fragen und Befindlichkeiten der Menschen zu dem Thema umgeht. Denn dass es verschiedene sexuelle Neigungen gibt, die nicht mit dem "Standardmodell Mann + Frau" zusammenpassen, das ist ebenso Fakt. Und dass diese Neigungen nicht schuldhaft sind, und dass Menschen mit solchen Neigungen genauso wertvoll, von Gott geliebt und in jeder Hinsicht zu akzeptieren sind, und dass man mit ihnen seelsorglich sensibel umgehen muss, das wurde in der Kirche (und in der Gesellschaft sowieso) nicht immer so deutlich erkannt und gehandhabt, wie es dieses Dokument fordert.
Nicht ganz überraschend wird das Dokument trotzdem mancherorts als "Schlag gegen die LGBTQ-Community" gesehen, so als ob manche gehofft hätten, dass die Kirche sündhafte Handlungen im Dunstkreis dieser Thematik irgendwie doch als ok einstufen könnte. Aber um zwischen der gebotenen Akzeptanz von Personen und der ebenso gebotenen klaren Ablehnung der sündhaften Handlung unterscheiden zu können, ist wohl auch schon eine gewisse Dialogfähigkeit und Offenheit erforderlich, die den Gegnern der Kirche (oder ihrer Lehre, denn es gibt ja auch innerhalb der Kirche Menschen, die sagen "ich liebe die Kirche, aber diese Aussagen lehne ich völlig ab"

) nicht immer in ausreichendem Maß zur Verfügung stehen dürfte.