Antwort an Raphaels Einwurf von 8. Juni, leider mit Verspätung:

Raphael, sorry, ich vergaß, Dir zu antworten, das mit dem Zitieren krig ich als analoger Mensch grad nicht hin:
ZITAT ANFANG: Ein paar Fragen an Dich als Spezialisten:
1) Was ist eigentlich der Mehrwert dieser ganzen Sammelei von Bibelausgaben?
2) Ist es vergleichende Literaturwissenschaft?
3) Resultieren aus den unterschiedlichen Ausgaben neue Erkenntnisse, die der Vulgata nicht zu entnehmen gewesen wären?
3) Ändert die (mittlerweile unüberschaubar) gewordene Anzahl der Übersetzungen ein Jota am Inhalt der Frohen Botschaft?
4) Wird mit diesen teilweise absichtsvoll anderen Übersetzungen nicht der Häresie resp. den Häresien der Boden bereitet?
5) Mutiert das Christentum mit diesem Wirrwarr an Translationen etwa zu einer Art Buchreligion? ZITAT ENDE (AUFZÄHLUNG VON MIR)
Ob ich ein wirklicher Spezialist bin, kann nur ein anderer Spezialist klar beantworten.
1) Ein Mehrwert dieser Sammelei ist nur für denjenigen angezeigt, der sich nicht mit einer oder wenigen unterschiedlichen Ausgaben begnügen will. Eine katholische BÜ (z. B.) ist von Katholiken für Katholiken geschrieben. Als ich zum erstenmal die Zürcher oder Elberfelder las, gingen mir schon Kronleuchter auf und ich begann zu vergleichen. Die Unterscheide zum Griechischen wurden Stück für Stück klarer. Ich habe nicht aufgehört und es entwickelt sich, wie in Koheleth 12:12 geschrieben steht. Ich bin immer bibliophil gewesen und das Sammeln hat nicht nachgelassen, ganz im Gegenteil. Wenn du „diese ganze Sammelei“ schreibst, ist mir klar, daß wir sehr unterschiedlich ticken. Ich gehöre zu einer Minderheit, das ist klar, von vielen belächelt.
2) Ja, das ist vergleichende Literaturwissenschaft, wenn man die Bibel als Literatur bezeichnet. Ich bezeichne die Heilige Schrift vor allem als das Wort, das mir das Ohr an den Himmel nagelt.
Oft redet der Geist durch eine Stelle zu mir, die mir z. B. in der Einheitsübersetzung nie als Ermahnung oder Ermutigung erschien. Vergleiche im AT (wg. der oft schwierigen Hebraica) sind unendlich wertvoll. Vergleichen ist unabdingbar.
3) Die Vulgata ist eine Übersetzung von einer Übersetzung. Hieronymus hat nicht umsonst die Psalmen sowohl aus der LXX als auch aus der H verlateinischt. Die Hebraica ist die Veritas, die LXX beinhaltet wertvolle alternative Lesarten, da man ihre Vorlage nicht (mehr) kennt. Die qumranischen Schriften werfen sogar neues Licht auf lange ungeklärte Ungereimtheiten (etwa Luk. 2:14)
4) Am Inhalt der Quellenschriften natürlich nicht. Es ist jedoch in Betracht zu ziehen, daß es fürs NT vier verschiedene Textfamilien gibt, die nicht zu 100% in Übereinstimmung zu bringen sind (Byzantinische, alexandrinische, vatikanische und syrische Vorlagen).
5) Was ist deiner Meinung nach eine „absichtsvoll andere Übersetzung“? Aus röm.-kath. Perspektive sind alle Übersetzungen ohne Imprimatur per se zumindest verdächtig. Weiterhin:
Übersetzungen ohne Deuterokanonen unvollständig.
Da ich noch Griechisch aus dem Gymi kann und Hebräisch im Selbststudium lernte, bin ich nicht auf Übersetzungen alleine angewiesen. Ich behaupte z. B., dass alle BÜ, die ´ekklesia` mit ´Kirche` übersetzen, tendenziös verdeutschen. In der einzigen adventistischen Bibel z. B. wird überall da, wo im H und Gr ´Wein` steht, das Wort Traubensaft oder ähnlich benutzt, weil die STA keinen Alkohol trinken; dieses nur als Beispiel.
6) Davon ausgehend, daß am einen Ende des Spektrums „Christentum“, die Adventisten etwa und Evangelikalen, am anderen Ende die Katholiken und die Orthodoxen angesiedelt sind, dann ist Christentum für die einen auch (!) eine Buchreligion, für die anderen definitiv nicht. Das kommt auf den Blickwinkel an. Im Katholizismus und in der Orthodoxie >Bibel 50 : /: 50 Tradition< oder sogar weniger ausgewogen. Übrigens: Wenn ich richtig gezählt habe, dann gab / gibt es seit ca. 1800 bis heute 35 bzw. 39 alt- bzw. römisch- katholische Ausgaben; die meisten davon mit Imprimatur; dabei sind Revisionen bzw. Überarbeitungen nicht mal durchgängig mitgezählt.
Aus meinem Archiv stammt diese Zusammenstellung betreffs des vollständig übersetzten (!) NEUEN TESTAMENTS:
2 messianisch- jüdische Ausgaben
35 bzw. 39 alt- bzw. römisch- katholische Ausgaben.
37 evangelische und reformatorische Ausgaben
24 Ausgaben aus freikirchlicher Feder bzw. ohne Denomiationshintergrund
9 wissenschaftliche bzw. schriftstellerische Ausgaben
4 Ausgaben anderer Weltanschauungen.
4 Ausgaben mit NT in englischer Sprache [New English (Tetrapla–NEB) • Good News (GNB–GNB) • New American Standard (rev. ELB–NAS´95) • English Standard (Luther–ESV)]
Zum "Wirrwarr", wie du schreibst, haben die Katholiken also entscheidend beigetragen!
Als Beispiel für wunderschönes sprachliches "Wirrwarr" schau mal hier nach:
https://www.facebook.com/profile.php?id=100010315778514
unter dem
31. März 2020 und dem 4. Mai 2019. Faszinierende linguistische Juwele!