Folgendes Statement habe ich zum Thema gefunden:
Herzliche Grüße Bischof
Das am 10. Juli 2007 veröffentlichte und am 29. Juni in Rom vom Präfekten
der Glaubenskongregation William Kardinal Levada (Nachfolger von Joseph
Ratzinger) unterzeichnete und von Papst Benedikt XVI gutgeheißene,
bestätigte und zur Veröffentlichung angeordnete Dokument der Kongregation
für die Glaubenslehre "Antworten auf Fragen zu einigen Aspekten bezüglich
der Lehre über die Kirche" hat - vor allem auch in der deutschen - Ökumene,
aber auch in der römisch-katholischen Kirche selbst Widerspruch und Kritik
hervorgerufen. Propst Gert Kelter (Görlitz,
Kelter@selk.de), Ökumenereferent
der Selbständigen Evangelisch-Lutherischen Kirche (SELK), erläutert die
kirchlich-theologischen Zusammenhänge und nimmt kommentierend Stellung.
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1. Worum geht es?
Die "Antworten auf Fragen zu einigen Aspekten bezüglich der Lehre über die
Kirche" sind zunächst einmal ein inner-römisches Lehrdokument und keine
Stellungnahme zur Ökumene. Aus dem Dokument selbst gehen, wie auch die
Kritiker es hätten sehen müssen, sowohl diese innerkirchliche Zielsetzung,
also auch die Hintergründe und die Motivation für diese Stellungnahme
deutlich hervor, wenn es dort heißt, dass die Vielzahl der theologischen
Beiträge zu Fragen der Lehre von der Kirche "nicht immer frei" gewesen seien
"von irrigen Interpretationen" der authentischen Kirchenlehre und diese
geeignet seien, "Verwirrung und Zweifel" zu wecken, "von denen einige der
Kongregation für die Glaubenslehre unterbreitet worden" seien. Die
Glaubenskongregation antwortet auf die ihr vorgelegten Fragestellungen,
indem sie, wie es in der Einleitung heißt "die authentische Bedeutung
einiger ekklesiologischer Ausdrücke des Lehramts klärt, die in der
theologischen Diskussion in Gefahr sind, missverstanden zu werden".
Damit tut sie nichts anderes als Theologische Kommissionen anderer Kirchen
auch: Sie arbeitet die ihr übertragenen Aufgaben auf der Grundlage der in
der römischen Kirche geltenden Lehre ab und gibt Antworten auf die ihr
gestellten Fragen. Dass der Papst vor der Veröffentlichung einer solchen
Stellungnahme das Dokument "gutheißt, bestätigt und zur Veröffentlichung
anordnet", ist ein ganz normaler Vorgang, der auch in jeder anderen Kirche
seine Entsprechung findet, wenn ein Kommissionspapier vor der
Veröffentlichung selbstverständlich durch die zuständige Kirchenleitung
approbiert und dann promulgiert wird und ein Bischof, Präses oder
Konsistorium sich das Dokument durch Unterzeichnung zueigen macht. Die
Fragen, mit der sich die Glaubenskongregation zu befassen hatte (fünf Fragen
und fünf Antworten im Katechismusstil) beziehen sich vor allem auf das
zutreffende Verständnis der Lehraussagen des 2. Vatikanischen Konzils zur
Kirche als solcher, dem Verhältnis der einen, heiligen, katholischen und
apostolischen Kirche des Glaubensbekenntnisses zur empirisch-verfassten
römisch-katholischen Kirche und deren Verhältnis zu den Ostkirchen und den
sogenannten "Gemeinschaften, die aus der Reformation des 16. Jahrhunderts
hervorgegangen sind".
Von entscheidender Bedeutung ist dabei die Interpretation der Formulierung
des Konzils "Die einzige Kirche Christi, die wir im Glaubensbekenntnis als
die eine, heilige, katholische und apostolische bekennen ... subsistiert
(deutsch offiziell übersetzt mit: ist verwirklicht) in der katholischen
Kirche, die vom Nachfolger des Petrus und von den Bischöfen in Gemeinschaft
mit ihm geleitet wird, auch wenn sich außerhalb ihres Gefüges vielfältige
Elemente der Heiligung und der Wahrheit finden." (Lumen Gentium Nr. 8;
1964). Aus dieser Definition ergibt sich römischer Lehre zufolge eine
abgestufte Nähe anderer Kirchen zur römischen Kirche, wobei die Ostkirchen
aufgrund der in ihnen nach römischer Auffassung bewahrten sogenannten
"apostolischen Sukzession" als "Kirchen" bezeichnet und damit in größere
Nähe zur römischen Kirche gerückt werden als die aus der Reformation des 16.
Jahrhunderts hervorgegangenen Kirchen, die nach römischer Diktion und zur
Unterscheidung von den Ostkirchen als "kirchliche Gemeinschaften" bezeichnet
und in vergleichsweise größere Distanz zum "römischen Gefüge" gerückt
werden.
2. Der Begriff "subsistieren"
Der Begriff "subsistieren" findet sich so in keinem lateinischen
Standardwörterbuch beziehungsweise wird dort mit "haltmachen, standhalten
usw." übersetzt. Er ist auch nicht einfach eine Modifikation von "existieren",
sondern steht sprachlich und sprachgeschichtlich in einem engen Zusammenhang
mit "Substanz". Die Kirchenlehrer Albertus Magnus und Thomas von Aquin
verwenden sowohl Substantiv als auch Verb, um damit auszudrücken, dass etwas
"durch und in sich besteht". Der philosophische terminus technicus
"subsistieren" wird auch mit "im Raume existieren" wiedergegeben, was das
vom Konzil Gemeinte, nämlich die in "Raum und Zeit" verwirklichte Kirche,
unterstreicht.
Natürlich hat das Konzil diese Vokabel bewusst und gezielt gewählt, um das
Verhältnis zwischen der katholischen Kirche (ecclesia catholica) des
Glaubensbekenntnisses und der empirischen römisch-katholischen Kirche zu
definieren. Diese Kirche existiert demnach nicht "nur und auch" innerhalb
der empirischen römischen Kirche, sodass man daraus folgern könnte, sie
existiere in derselben Weise und Intensität oder Fülle auch in anderen
Kirchen. So aber wird auch in römischen Theologenkreisen dieser Begriff im
Zuge der ökumenischen Annäherung und Verständigung vielfach gedeutet. Eine
Deutung, die zu denen gehören mag, die die Glaubenskongregation als "nicht
frei von Irrtum" bezeichnet und mit ihren Darlegungen korrigiert: Der
Begriff "subsistieren" meint, so die Kongregation, "jene immerwährende
historische Kontinuität und Fortdauer aller von Christus in der katholischen
Kirche eingesetzten Elemente in der die Kirche Christi konkret in dieser
Welt anzutreffen ist." Zu diesen "Elementen" zählt wesentlich und maßgeblich
die Gemeinschaft einer Teilkirche mit dem Papst als Nachfolger des Petrus,
also die kirchliche Verfassung, die die Leitung der Kirche durch den Papst
und den mit ihm in Gemeinschaft stehenden Bischöfen voraussetzt und
impliziert. "Gemeinschaft" ist hier als rechtlicher und geistlicher Begriff
zu verstehen, der einerseits die sogenannte "historische bischöfliche
Weihesukzession" und die eucharistische Gemeinschaft der Bischöfe
untereinander sowie des Weltepiskopates mit dem Bischof von Rom bezeichnet,
andererseits aber auch die jurisdiktionelle (rechtliche) Unter- und
Einordnung in die Verfassungsstrukturen der römischen Kirche meint.
3. Römische Kirchendefinition und ihre Voraussetzungen
Diese Erkenntnisse sind freilich nicht neu, sondern geben genau wieder, was
das Konzilsdokument Lumen Gentium von 1964 darlegt und meint: die volle und
in dieser Fülle einzige Verwirklichung der ecclesia catholica des
Glaubensbekenntnisses in den Strukturen der römisch-katholischen Kirche.
Es gibt eine Reihe von Ostkirchen, die diese Auffassung beziehungsweise
diesen Glaubensartikel teilen und daher bei gleichzeitig zugestandener
großer liturgischer, theologischer, kirchenrechtlicher und auch
struktureller Selbständigkeit Unionen mit Rom eingegangen sind, die
sogenannten "mit Rom unierten Kirchen".
Aber die Konzilsdefinition von "Kirche", wie sie das Dokument der
Glaubenskongregation beschreibt, erläutert und bestätigt, ist ein
Glaubensartikel, der im Wesentlichen auf zwei Axiomen beruht:
1. Das Neue Testament mache zweifelsfrei deutlich, dass der Person des
Apostels Petrus von allem Anfang an eine besondere Leitungs- und
Lehrautorität zukommen und die Gemeinschaft mit Petrus entscheidend für die
Anerkennung als Kirche im Vollsinn des Wortes sei. Tatsächlich gibt es eine
Reihe von biblischen Anhaltspunkten, die eine Vorrangstellung des Apostels
Petrus belegen. Das gilt sicher für die Evangelien; das gilt aber schon
nicht mehr in derselben Weise für die Apostelgeschichte und schon gar nicht
für die Jahrzehnte und Jahrhunderte, die vergehen mussten, bis so etwas wie
das römische Papsttum mit seinem Vorherrschaftsanspruch und seiner
kirchlich-theologischen Unterfütterung historisch greifbar wird.
2. Ein zweites Axiom besteht in der Annahme, am Bischofssitz von Rom sei von
Anfang an, mit dem Apostel Petrus als erstem Repräsentanten und seinen
lokalen Nachfolgern im römischen Bischofsamt eine personale, historisch
verifizierbare Sukzession begründet worden ("Nachfolger des heiligen Petrus"),
in der eine Garantie für das "wahre Kirchesein" liege und in deren
Lehraussagen die authentische Lehre und Wahrheit des Wortes Gottes verbürgt
sei. Natürlich kann man glauben, dass der Heilige Geist trotz aller Irrungen
und Wirrungen von Päpsten und Gegenpäpsten, bei denen niemand zu sagen weiß,
welcher der "echte" und welcher der "falsche" Papst war und an wen also die
Sukzessionskette personal anknüpft, trotz der Verlegung des Amtssitzes von
echten oder falschen Päpsten von Rom nach Avignon (immerhin für den Zeitraum
zwischen 1309 bis 1403), trotz sich gegenseitig exkommunizierender Päpste
und posthum exkommunizierter Päpste, die Kirche in der Wahrheit und in der
rechten Verfassung erhalten habe.
Aber hier handelt es sich eben um weder biblisch noch historisch belegbare
und hinterfragbare Axiome, zu denen man sich glaubend verhaltend muss.
Die Glaubenskongregation unter Kardinal Levada konnte gar nicht anders, als
sich hierzu positiv bestätigend, bekräftigend und zustimmend zu verhalten
und klarzustellen, dass der Begriff "subsistieren" also und unter den
genannten axiomatischen Voraussetzungen "die vollständige Identität der
Kirche Christi mit der katholischen Kirche besagt".
4. Die ökumenischen Reaktionen
Die empörten und beleidigten Reaktionen aus der Ökumene sind daher schwer
verständlich. Ganz richtig erkennt der Ratsvorsitzende der Evangelischen
Kirche in Deutschland (EKD), Bischof Dr. Wolfgang Huber (Berlin), in dem
Dokument eine "unveränderte Neuauflage der Aussagen der Vatikan-Erklärung
,Dominus Iesus' aus dem Jahr 2000". Er hätte das Dokument freilich auch als
unveränderte Neuauflage der Lehrentscheidungen des 2. Vaticanums aus dem
Jahr 1964 bezeichnen und dies dann mit dem von ihm verwendeten Prädikat
"Brüskierung der Ökumene" und "vertane Chance" belegen können. Es dient dem
ökumenischen Anliegen nicht, wenn - wie allerdings in der Kirche häufig
vorkommend - Aussagen auf der Sachebene mit Reaktionen auf der emotionalen
und persönlichen Ebene quittiert werden und zeigt nur einen Mangel an
Kommunikationsfähigkeit oder -willen und ein Defizit an intellektuellem
Differenzierungs- und Abstrahierungsvermögen.
Als "Rückschlag für die Ökumene" hat der Präsident der Vereinigung
Evangelischer Freikirchen (VEF), der baptistische Theologe Siegfried
Großmann (Seesen/Harz), das vatikanische Dokument zum römisch-katholischen
Kirchenverständnis bezeichnet, also der Vertreter einer kirchlichen
Gemeinschaft, die zu den wenigen deutschen christlichen Gemeinschaften
zählt, die sich weigerten, die Erklärung von Magdeburg zur gegenseitigen
Anerkennung der Taufe zu unterzeichnen und die Säuglingstaufe nicht als
Taufe anerkennen.
Das Glashaus, aus dem Herr Großmann seine Steine nach Rom wirft, muss
wahrlich aus Panzerglas bestehen.
5. Die lutherische Position
Hat nun die Selbständige Evangelisch-Lutherische Kirche (SELK) irgendeine
Veranlassung, in die allgemeine ökumenische Empörung mit einzustimmen? Hat
sie Grund, beleidigt und verstimmt auf das Vatikan-Dokument zu reagieren?
Mitnichten. Die SELK steht in der Einheit der heiligen, christlichen und
apostolischen Kirche, heißt es in ihrer Grundordnung, die überall da ist, wo
das Wort Gottes rein gepredigt wird und die Sakramente nach der Einsetzung
Christi verwaltet werden.
"Rein" wird das Wort Gottes aber nur dort gepredigt und "einsetzungsgemäß"
werden die Sakramente auch nur dort verwaltet, wo sich die Kirche, wie es in
der Grundordnung weiter heißt, an die Heilige Schrift Alten und Neuen
Testamentes als an das unfehlbare Wort Gottes und an die Bekenntnisschriften
der evangelisch-lutherischen Kirche bindet, weil in diesen die schriftgemäße
Lehre bezeugt ist.
Darum pflegt die SELK Kirchengemeinschaft auch nur mit solchen Kirchen, die
sich in derselben Weise, und zwar ihre Lehre und ihr Handeln, an die Heilige
Schrift und die Bekenntnisse binden.
Damit beansprucht die SELK, zusammen mit der weltweiten lutherischen Kirche
und in Übereinstimmung mit dem Artikel VII des Augsburgischen Bekenntnisses
zur orthodoxen, also rechtgläubigen Kirche zu gehören und bescheinigt allen
anderen, falsch- oder irrgläubige Kirchen zu sein.
Sie "verwirft" daher auch ausdrücklich alle der Heiligen Schrift und den
lutherischen Bekenntnisschriften widersprechenden Lehren, sie "verwirft"
auch deren Duldung und jede Union, die gegen Schrift und Bekenntnis
verstößt.
Das ist ein höchst exklusiver Anspruch, den die SELK freilich nicht für ihre
verfasste kirchliche Körperschaft, sondern für die sich so bindende,
rechtgläubige christliche Kirche (nach Artikel VII des Augsburgischen
Bekenntnisses) vertritt, der aber die römisch-katholische Kirche, die
Ostkirchen, die Baptisten und alle anderen Protestanten ausnimmt und als
"irrgläubige Kirchen" kennzeichnet.
Dabei ist dieser Anspruch und dieses Selbstverständnis keineswegs
überheblich oder verwerflich, sondern der einzige legitime Grund für die
Verweigerung von Kirchengemeinschaft mit Rom, den Ostkirchen und den
protestantischen Gemeinschaften und also der einzige legitime Grund für die
selbstständige kirchliche Existenz des Luthertums. Ohne diesen Anspruch,
rechtgläubige, und zwar einzige rechtgläubige Kirche zu sein, wäre das
fortdauernde Bestehen lutherischer Kirchen neben anderen Konfessionskirchen
ein illegitimes Schisma, eine sündhafte Kirchenspaltung wegen nicht
kirchentrennender Äußerlichkeiten oder Adiaphora. Genauso sieht es aber die
römisch-katholische Kirche umgekehrt auch. Und ich meine: Das darf sie auch.
Solange wir sie als falschgläubige, als heterodoxe Kirche bezeichnen oder
doch zumindest diese Einschätzung mit größter Selbstverständlichkeit
voraussetzen (müssen), können und müssen wir auch damit leben, dass wir -um
einiges freundlicher und höflicher- als "kirchliche Gemeinschaft", aber eben
nicht als "Kirche" nach der römischen Definition bezeichnet werden.
Tatsächlich haben wir es hier nur mit einer unterschiedlichen
ekklesiologischen Definition zu tun, und zwar beidseitig und ohne den Hauch
eines verletzenden oder beleidigenden Beigeschmacks. Es gehört für Rom nun
einmal nach der von uns als irrgläubig bezeichneten Definition von Kirche,
dass zum wahren Kirchesein in Fülle die Gemeinschaft mit dem Bischof von Rom
unabdingbar ist. Und aus lutherischer Sicht wird "Reinheit" der Lehre, und
damit ebenfalls eine conditio sine qua non für die Anerkennung als
rechtgläubige Kirche beispielsweise an der biblischen Anthropologie
festgemacht, wonach "durch Adams Fall menschlich Natur und Wesen ganz
verderbt" ist (wobei die Liste der Differenzen auf der Basis dieser
Grunddifferenz zu erweitern wäre).
Da Rom dies anders sieht und wir hier auch eine der Grunddifferenzen
beschreiben, bleibt nur das manchmal mühselige theologische Ringen um die
Einheit in der Wahrheit und in der Liebe, das verantwortliche Tun des
ökumenischen Machbaren, das Aushalten und Erleiden der Spaltung und Trennung
an den Altären, der Respekt vor den Überzeugungen der anderen und das
gemeinsame Gebet um die sichtbare Einheit der Kirche Jesu Christi auf Erden.