Vergleich der kirchlichen Strukturen.

Rund um Anglikanertum, Protestantismus und Freikirchenwesen.
Evagrios Pontikos
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Re: Auf Fels gebaut

Beitrag von Evagrios Pontikos »

Na gut, dann versuche ich es einmal als kleines Off-Topic:

Ich sehe im Wesentlichen drei Konzeptionen von Kirche: die römisch-katholische Konzeption mit dem Primat des Papstes, die orthodoxe Konzeption mit der Bindung autokephaler Kirchen an die Tradition der Sieben Ökumenischen Konzilien und die Lehren der Heiligen Väter und schließlich die evangelische mit den Prinzipien "allein die Gnade, allein Christus, allein der Glaube, allein die Heilige Schrift". Dies als grober, holzschnittartiger Entwurf, bei dem etwas stark vereinfachend im evangelischen Bereich nicht zwischen lutherisch, reformiert und sonstigen freikirchlichen Traditionen unterschieden wird (und dies auch mit gutem Grund, wie ich noch ausführen will).

Mir fällt auf, dass alle drei Konzeptionen ihre Vor- und Nachteile haben. Für Vorteile müsste man vielleicht besser "geistlicher Reichtum" sagen.

Der Reichtum bzw. die Vorteile: In der Orthodoxie das gottesdienstliche Leben, die persönliche Spiritualität, die Ikonen, das Mönchtum und vieles mehr. Im evangelischen Bereich die persönliche Bibelfrömmigkeit, der Reichtum der Kirchenmusik nebst Gemeindegesang/Kirchenlied (J.S. Bach, Paul Gerhardt, Mendelssohn-Bartholdy etc.). Im römisch-katholischen Bereich die kirchliche Organisation, die scholastische Theologie, der Primat des Papstes, der gegebenenfalls Entscheidungen fällt und endlose Debatten dadurch verhindert. Außerdem ist die römische Kirche die einzige Weltkirche, die dieses Wort verdient.

Nun die Nachteile bzw. die Gefährdungen:

Folgende Gefährdungen sehe ich bei der Orthodoxie: Erstarrung und Neigung zum Nationalismus und zur Staatsdienerei. Damit zusammenhängend eine Hemmung in echter ökumenischer Begegnung.

Die Gefährdungen des Protestantismus sind längst nicht nur Gefährdungen: Endlose Zerspaltung in immer noch bibeltreuere Kirchen und Gruppen. Die Reformation hat eine Spaltungsbewegung eingeläutet, die in der Kirchengeschichte ohne Gleichen ist. Man fühlt sich an den Rat des Gamaliel erinnert... Damit zusammen hängt die Anbiederung der evangelischen Kirchen an Staat und Gesellschaft. Man fürchtet das Urteil der Öffentlichkeit mehr als das Urteil Gottes. Deshalb macht es auch Sinn, von einem evangelischen Bereich zu sprechen und die verschiedenen Traditionen zusammenzufassen, weil eben die Zerspaltung leider zum Wesensmerkmal einer Bewegung gehört, die sich das "allein" auf die Fahnen geschrieben hat.

Die Gefährdung der römischen Kirche ist natürlich die, in einem blind gewordenem Gehorsam gegen den Papst die Wahrheit nicht mehr zu erkennen. Außerdem haben verweltlichte und machtgierige Päpste (vor allem während der Reformationszeit) wesentlich zur Zerspaltung der Kirche beigetragen.

Trotzdem muss ich in der Summe sagen: Während die Orthodoxie in der Gefahr ist, auf der einen Seite vom Pferd zu fallen, und die evangelischen Kirchen in der Gefahr stehen, auf der anderen Seite vom Pferd zu fallen, scheint mir die römische Kirche in einer beeindruckenden Weise "via media" zu sein: einerseits ganz mit der Tradition der Kirche verbunden zu bleiben und andererseits doch in die Zukunft schreiten zu können. Sie erliegt weder dem Liberalsimus, wie dies ohne Zweifel die evangelischen Kirchen tun (und als Reaktion sich deshalb mehr und mehr zerspalten), noch erliegt sie einer Erstarrung in der Tradition, wie dies viele Orthodoxe für ihre Tradition beklagen. Und - und dies scheint mir im Blick auf das Papstamt ein ganz wesentlicher Gesichtspunkt zu sein - sie hat sich am erfolgreichsten aller Traditionen dem Zugriff durch den Staat bzw. die Nation, das Volk widersetzt. (Übrigens hat das Dogma von der Unfehlbarkeit des Papstes von 1870 dort einen ganz wichtigen historischen Kontext, nämlich der Kulturkampf in Preußen bzw. im Deutschen Reich unter Bismarck. Die katholische Kirche in Deutschland stand damals vor der genau gleichen Versuchung, der die evangelische Kirche dann erlegen ist: nämlich aus dem Kontext der Weltkirche herausgelöst und zur Nationalkirche zu werden, letztlich staatsdienerisch. Diese Linie führte in Deutschland evangelischerseits sechzig Jahre später dann zur Kirche der Deutschen Christen. Aber dies nur als historische Fußnote.)

So, jetzt könnt Ihr ja die Schwerter und Spieße auspacken... :pfeif:

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Florianklaus
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Re: Auf Fels gebaut

Beitrag von Florianklaus »

Also, ich muß nichts auspacken! Vielen Dank für die ausgewogene Stellungnahme! (Vielleicht überlegst Du Dir das doch noch mal mit dem Schwimmen im Tiber....) :)

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Niels
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Re: Auf Fels gebaut

Beitrag von Niels »

Florianklaus hat geschrieben:Also, ich muß nichts auspacken! Vielen Dank für die ausgewogene Stellungnahme! (Vielleicht überlegst Du Dir das doch noch mal mit dem Schwimmen im Tiber....) :)
Sehe ich genauso... :)
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Evagrios Pontikos
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Re: Auf Fels gebaut

Beitrag von Evagrios Pontikos »

Niels hat geschrieben:
Florianklaus hat geschrieben:Also, ich muß nichts auspacken! Vielen Dank für die ausgewogene Stellungnahme! (Vielleicht überlegst Du Dir das doch noch mal mit dem Schwimmen im Tiber....) :)
Sehe ich genauso... :)
Na, dass Ihr beiden sie nicht auspackt, war mir klar... ;) Bin eher auf meine konfessionellen evangelischen Mitbrüder und auf die orthodoxen Geschwister gespannt!

Stephen Dedalus
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Re: Auf Fels gebaut

Beitrag von Stephen Dedalus »

Evagrios Pontikos hat geschrieben:Na gut, dann versuche ich es einmal als kleines Off-Topic:

Ich sehe im Wesentlichen drei Konzeptionen von Kirche: die römisch-katholische Konzeption mit dem Primat des Papstes, die orthodoxe Konzeption mit der Bindung autokephaler Kirchen an die Tradition der Sieben Ökumenischen Konzilien und die Lehren der Heiligen Väter und schließlich die evangelische mit den Prinzipien "allein die Gnade, allein Christus, allein der Glaube, allein die Heilige Schrift".
Mir persönlich fehlt hier noch das episkopale Kirchensystem, das die Kollegialität der Bischöfe wie in der Orthodoxie beibehalten hat, unter Verzicht auf römischen Zentralismus, aber bei gleichzeitiger Möglichkeit der Entwicklung in Lehre und Disziplin.

Wäre das nicht die eigentliche via media?
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Lioba
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Re: Auf Fels gebaut

Beitrag von Lioba »

Dabei müsste diese Entwicklung imo einen Rahmen haben, der extreme Fehlentwicklungen verhindert.
Die Herrschaft über den Augenblick ist die Herrschaft über das Leben.
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Stephen Dedalus
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Re: Auf Fels gebaut

Beitrag von Stephen Dedalus »

Lioba hat geschrieben:Dabei müsste diese Entwicklung imo einen Rahmen haben, der extreme Fehlentwicklungen verhindert.
Die Frage ist natürlich, wer definiert, was Fehlentwicklungen sind. Alle von EP dargestellten Kirchenmodelle haben Elemente der anderen Traditionen als Fehlentwicklungen eingestuft.
If only closed minds came with closed mouths.

Evagrios Pontikos
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Re: Auf Fels gebaut

Beitrag von Evagrios Pontikos »

Stephen Dedalus hat geschrieben:
Evagrios Pontikos hat geschrieben:Na gut, dann versuche ich es einmal als kleines Off-Topic:

Ich sehe im Wesentlichen drei Konzeptionen von Kirche: die römisch-katholische Konzeption mit dem Primat des Papstes, die orthodoxe Konzeption mit der Bindung autokephaler Kirchen an die Tradition der Sieben Ökumenischen Konzilien und die Lehren der Heiligen Väter und schließlich die evangelische mit den Prinzipien "allein die Gnade, allein Christus, allein der Glaube, allein die Heilige Schrift".
Mir persönlich fehlt hier noch das episkopale Kirchensystem, das die Kollegialität der Bischöfe wie in der Orthodoxie beibehalten hat, unter Verzicht auf römischen Zentralismus, aber bei gleichzeitiger Möglichkeit der Entwicklung in Lehre und Disziplin.

Wäre das nicht die eigentliche via media?
Das wusste ich, dass Du Dich gleich melden wirst mit der Beanspruchung dieses Begriffs. Ich wusste, es kann sich nur noch um Minuten handeln... :drueck: Ich sehe im Anglikanismus keine via media. Er gehört im Vergleich mit Orthodoxie, Katholizismus und Protestantismus auf die Seite der evangelischen Konzeption. Alle evangelischen Kirchen waren ursprünglich Staats- bzw. Territorialkirchen. Und dies in ganz massiver Weise die anglikanische Kirche, die sich ja dem Aufbegehren Heinrichs VIII. wegen dessen Frauengeschichten verdankt. Theologisch war sie ursprünglich durch und durch reformiert. Dank John Henry Newman hat sich da manches geändert, aber auch nicht flächendeckend. Mancher anglikanische Pfarrer ist bekennender Calvinist. Allerdings scheint die heutige Gestalt der anglikanischen Kirche derselbe Scherbenhaufen zu sein, den die übrigen evangelischen Kirchen weltweit darstellen: Polarisation in Liberale und Konservative. Auch die Anglikanische Kirche scheint mir der Versuchung erlegen zu sein, sich der political correctness unserer Zeit anzubiedern. Die Beobachtung von Prof. Slenczka, dass die evangelischen Kirchen das Gericht der Öffentlichkeit mehr fürchten als das Gericht Gottes, scheint auf die Anglikanische Kirche leider genauso zuzutreffen.

Evagrios Pontikos
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Re: Auf Fels gebaut

Beitrag von Evagrios Pontikos »

Stephen Dedalus hat geschrieben:
Lioba hat geschrieben:Dabei müsste diese Entwicklung imo einen Rahmen haben, der extreme Fehlentwicklungen verhindert.
Die Frage ist natürlich, wer definiert, was Fehlentwicklungen sind. Alle von EP dargestellten Kirchenmodelle haben Elemente der anderen Traditionen als Fehlentwicklungen eingestuft.
Ich sehe drei Typen, weil der orthodoxe Typus von der Bindung autokephaler Kirchen (was die Anglikaner vom Prinzip her auch sind) an die Sieben Ökumenischen Konzilien und die Lehren der Heiligen Väter bestimmt ist: Für die Orthodoxie ist mit den Konzilien und den Vätern alles für alle Zeit fixiert. Das ist der eine Typus. Der andere Typus ist der evangelische, der übrigens (mit dem Anglikanismus zusammen) ein typisch neuzeitlicher ist: das im Gewissen freie Subjekt ist nur den Prinzipien der Kirchengemeinschaft verbunden: sola scriptura etc. Hierdurch entsteht jedoch ein die Kirche immer neu spaltender Subjektivismus. Der dritte Typus ist die via media: Das letztentscheidende Lehramt, das jenseits von Traditionsfixierung und multiplem Subjektivismus die Einheit der Kirche in persona symbolisiert und gewährleistet.

Stephen Dedalus
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Vergleich der kirchlichen Strukturen

Beitrag von Stephen Dedalus »

Evagrios Pontikos hat geschrieben:Ich sehe im Anglikanismus keine via media. Er gehört im Vergleich mit Orthodoxie, Katholizismus und Protestantismus auf die Seite der evangelischen Konzeption. Alle evangelischen Kirchen waren ursprünglich Staats- bzw. Territorialkirchen. Und dies in ganz massiver Weise die anglikanische Kirche, die sich ja dem Aufbegehren Heinrichs VIII. wegen dessen Frauengeschichten verdankt. Theologisch war sie ursprünglich durch und durch reformiert. Dank John Henry Newman hat sich da manches geändert, aber auch nicht flächendeckend. Mancher anglikanische Pfarrer ist bekennender Calvinist. Allerdings scheint die heutige Gestalt der anglikanischen Kirche derselbe Scherbenhaufen zu sein, den die übrigen evangelischen Kirchen weltweit darstellen: Polarisation in Liberale und Konservative. Auch die Anglikanische Kirche scheint mir der Versuchung erlegen zu sein, sich der political correctness unserer Zeit anzubiedern. Die Beobachtung von Prof. Slenczka, dass die evangelischen Kirchen das Gericht der Öffentlichkeit mehr fürchten als das Gericht Gottes, scheint auf die Anglikanische Kirche leider genauso zuzutreffen.
Das stimmt leider in keinem Punkt mit dem anglikanischen Selbstverständnis überein, aber ich kann das hier nur kurz anreißen. Bemerkenswert ist , daß Du bei allen anderen drei Traditionen versuchst, diese von ihrem Selbstverständnis her zu bewerten, während Du das bei den Anglikanern nicht tust. Hier überwiegt komplett eine Außenperspektive, in der ich den Anglikanismus nicht wiedererkenne. Warum?
Zuletzt geändert von Stephen Dedalus am Freitag 5. Februar 2010, 17:40, insgesamt 2-mal geändert.
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Stephen Dedalus
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Re: Auf Fels gebaut

Beitrag von Stephen Dedalus »

Evagrios Pontikos hat geschrieben:Ich sehe drei Typen, weil der orthodoxe Typus von der Bindung autokephaler Kirchen (was die Anglikaner vom Prinzip her auch sind) an die Sieben Ökumenischen Konzilien und die Lehren der Heiligen Väter bestimmt ist: Für die Orthodoxie ist mit den Konzilien und den Vätern alles für alle Zeit fixiert. Das ist der eine Typus. Der andere Typus ist der evangelische, der übrigens (mit dem Anglikanismus zusammen) ein typisch neuzeitlicher ist: das im Gewissen freie Subjekt ist nur den Prinzipien der Kirchengemeinschaft verbunden: sola scriptura etc.
Aber, lieber EP, das stimmt doch im Hinblick auf den Anglikanismus überhaupt nicht. Für die Anglikaner sind drei Säulen der Lehrbildung (und damit auch der Gewissensbildung) fundamental wichtig: Tradition, Schrift und Vernunft. Ein Sola Scriptura-Prinzip wie im Protestantismus wurde im Anglikanismus nie vertreten - dieser Konflikt steht doch bereits am Beginn der Selbstvergewisserung der Anglikaner nach der Trennung von Rom im 16. Jahrhundert (vgl. Richard Hooker).
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Evagrios Pontikos
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Re: Auf Fels gebaut

Beitrag von Evagrios Pontikos »

Zunächst ist die Church of England doch unleugbar Staatskirche, Territorialkirche. Dann ist der wesentliche Grund ihrer Trennung von der römischen Kirche der Streit um die Ehen König Heinrichs gewesen. Als drittes war die Anglikanische Kirche doch ebenso unbestreitbar über lange Zeit in ihrer Lehre reformiert. Erst die hochkirchliche Bewegung hat hier doch einen neuen Kurs eingeschlagen. Sicher hat die anglikanische Kirche das Episkopalprinzip. Aber das hat die schwedische Kirche auch. Was das Verhältnis zur Tradition angeht, ist die anglikanische Kirche doch sicher näher bei den Kirchen der Reformation als bei den orthodoxen Kirchen. In einer vereinfachenden Darstellung gehört sie meiner Meinung nach eher zu den Kirchen, die durch die Umwälzungen der Reformation entstanden sind, als dass sie einen vierten Typus begründen würden. Die anglikanischen Pfarrer, die ich kenne, sind evangelikal und innerhalb dieses Spektrums sehr deutliche Calvinisten. Und gesamtkirchlich gesehen, steht die anglikanische Kirche auf derselben abschüssigen Bahn, wie es bei meiner lutherischen Kirche der Fall ist. Ich sage nur: Mary Glasspool. Undenkbar für die Orthodoxie und Rom, aber typisch für den Protestantismus.

Bitte, versteh mich nicht Falsch, Stephen. Ich liebe z.B. C.S. Lewis, der ja auch Anglikaner war. Lewis ist einer der Lieblingsautoren der deutschen evangelikalen Intellektuellen. Ein großer christlicher Kopf des 20. Jahrhunderts! Würde man ihn nicht näher kennen, hielte man ihn ohne weiteres für einen evangelischen Christen.

Aber ganz konkret gefragt: Wie steht die anglikanische Kirche von ihrem Bekenntnis her zu Taufe, Abendmahl, Amt? Ich denke, dass hier bekenntnisorientierte konservative Lutheraner und bekenntnisorientierte, konservative Anglikaner nicht allzuweit voneinander entfernt sind. Oder?

Sicher: vom Selbstverständnis her sah sich die anglikanische Kirche immer als via media. Aber dies war eine westkirchliche Perspektive. Bei dieser Selbsteinschätzung war die Ostkriche nie im Blick. Wie auch die Festland-Reformatoren die Ostkirche nie im Blick hatten. Hier hat sich durch unsere moderne globale Perspektive seit dem Zweiten Weltkrieg viel verändert. Gesamtkirchlich gesehen, kann ich die anglikanische Kirche nicht als via media ehen.

Allerdings sind wir jetzt schon weit vom Threadthema weg. Und wie vorhergesagt, werden die Spieße und Schwerter jetzt wohl doch gezückt... :roll:

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Petur
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Re: Auf Fels gebaut

Beitrag von Petur »

Evagrios Pontikos hat geschrieben: Als drittes war die Anglikanische Kirche doch ebenso unbestreitbar über lange Zeit in ihrer Lehre reformiert. Erst die hochkirchliche Bewegung hat hier doch einen neuen Kurs eingeschlagen. Sicher hat die anglikanische Kirche das Episkopalprinzip. Aber das hat die schwedische Kirche auch. Was das Verhältnis zur Tradition angeht, ist die anglikanische Kirche doch sicher näher bei den Kirchen der Reformation als bei den orthodoxen Kirchen. In einer vereinfachenden Darstellung gehört sie meiner Meinung nach eher zu den Kirchen, die durch die Umwälzungen der Reformation entstanden sind, als dass sie einen vierten Typus begründen würden.
:nein:

Nein, in dieser Form stimmt das nicht. Die anglikanische Kirche hat ihre katholischen Fundamente nie verloren, trotz des zweifellosen Einflusses der protestantischen Theologie. Stephen wird Deinen Beitrag sicher ausführlich und kompetent beantworten.

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Lioba
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Re: Auf Fels gebaut

Beitrag von Lioba »

Wenn ihr möchtet, können wir den Thread abtrennen. Da ich noch nicht so versiert mit der Technik bin, wird´s wohl Stückwerk. Habt Geduld mit mir!
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Lioba
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Vergleich der kirchlichen Strukturen.

Beitrag von Lioba »

abgetrennt aus dem Petrus- Strang
Interessant wäre dann eine weitere Frage: Welche Konzeption der Kirche hat sich bewährt? Die orthodoxe oder die römische oder die evangelische? Hier würde ich gerne ein paar wesentliche Beobachtungen einbringen, die auch das Petrusamt betreffen und über die man ernsthaft streiten sollte. Soll ich? Es würde aber nicht ohne Hauen und Stechen abgehen! :/
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Ilija
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Re: Auf Fels gebaut

Beitrag von Ilija »

Evagrios Pontikos hat geschrieben:
Niels hat geschrieben:
Florianklaus hat geschrieben:Also, ich muß nichts auspacken! Vielen Dank für die ausgewogene Stellungnahme! (Vielleicht überlegst Du Dir das doch noch mal mit dem Schwimmen im Tiber....) :)
Sehe ich genauso... :)
Na, dass Ihr beiden sie nicht auspackt, war mir klar... ;) Bin eher auf meine konfessionellen evangelischen Mitbrüder und auf die orthodoxen Geschwister gespannt!
Nachdem ich deine Beiträge gelesen haben, frage ich mich warum du noch Lutheraner bist? Sie brauchen Romtreue Priester..Du scheinst dir von allen etwas herauszunehmen und eine Esoterisches Christentum zu Basteln. Von dort etwas, von dort und dann dort. Das sagt sehr viel darüber aus wo du stehst! Wenn du verstehen möchtest warum Rom im ersten Jahrtausend "Primus inter Pares" war, dann musst du nur auf die jetzige Situation die schon seit 1000 Jahren andauert, schauen. Nachdem Wegfall Roms steht der Bischof von Konstantinopel ab erster Stelle und das hat nichts mit dem hl. Andreas, dessen Nachfolger er ist, zu tun sondern mit der Wichtigkeit der Stadt! Rom und Konstantinopel waren die Hauptstädte des Erdenkreis und ehrlich gesagt hätte ich mir von einem Lutheranischen Pfarrer mehr erhofft.


Die Orthodoxie sieht es so wie es hier beschrieben ist. Der Fels ist der Glaube an Christus und nicht Petrus. Christus hat sich im Mt. Evangelium ja nicht nur auf Petrus beschrängt sondern er hat den anderen Aposteln die gleichen Rechte gegeben...Das mit dem Dogmas ist genauso wie es Robert beschrieben hat...Früher einmal gesagt und dann als Wahrheit erhoben...
Sermon-online.de hat geschrieben:Das griechische Wort pétra (feminin) bezeichnet einen Felsen oder eine Gesteinsmasse (Matthäus Kapitel 7 Vers 24 und 25; Kapitel 27 Vers 51 und 60; Lukas Kapitel 6, 48 und Kapitel 8, 6; Offenbarung Kapitel 6 Vers 15 und 16) und unterscheidet sich daher von dem Wort pétros (maskulin, als Eigenname mit Petrus wiedergegeben), das "Felsstück" bedeutet. Dieser Unterschied läßt deutlich erkennen, daß Jesus, als er zu Petrus sagte: "Du bist Petrus, und auf diesen Felsen will ich meine Versammlung bauen", keine synonymen Ausdrücke verwandte (Matthäus Kapitel 16 Vers 18). Der Unterschied ist auch aus der aramäischen (syrischen) Übersetzung ersichtlich, denn dem Wort ki´pha´, das sowohl für "Petrus" als auch für "Felsen" steht, gehen unterschiedliche Pronomen voraus. Dem Wort "Petrus" geht das maskuline Personalpronomen hu voraus, dem Wort "Felsen" dagegen das feminine Personalpronomen hade´.
Die Apostel verstanden die Worte Jesu ebenfalls nicht in dem Sinne, daß Petrus der Felsen sei, denn etwas später entstand unter ihnen ein Wortstreit darüber, wer von ihnen der Größte zu sein scheine (Markus Kapitel 9 Vers 33-35; Lukas Kapitel 22, 24-26). Zu einem solchen Wortstreit wäre es nicht gekommen, wenn sie Petrus die Vorrangstellung als Felsen zuerkannt hätten, auf den die Versammlung gebaut werden sollte. Die Bibel zeigt deutlich, daß alle Apostel als Grundsteine gleich sind. Sie alle (auch Petrus) sind auf Christus Jesus, dem Grundeckstein, aufgebaut (Epheser Kapitel 2, Vers 19-22; Offenbarung Kapitel 21, Vers 2 und 9-14). Petrus selbst bezeichnet Christus Jesus als den Felsen (pétra), auf dem die Versammlung aufgebaut ist (1. Petrus Kapitel 2, Vers 4-8). In ähnlichem Sinne schrieb der Apostel Paulus: "Denn sie [die Israeliten] pflegten aus dem geistigen Felsen zu trinken, der ihnen folgte, und dieser Fels bedeutete den Christus" (1. Korinther Kapitel 10 Vers 4). Bei mindestens zwei Gelegenheiten und an zwei verschiedenen Orten erhielten die Israeliten auf übernatürliche Weise Wasser aus einem Felsen (2. Mose Kapitel 17 Vers 5-7; 4. Mose Kapitel 20 Vers 1-11). Der Felsen folgte ihnen also gleichsam als Wasserquelle. Er veranschaulichte oder versinnbildlichte offensichtlich Christus Jesus, der zu den Juden sagte: "Wenn jemand durstig ist, komme er zu mit und trinke" (Johannes Kapitel 7 Vers 37).
Interessant ist auch, daß Augustinus (354-430 unserer Zeitrechnung) gewöhnlich als "heiliger Augustinus" bezeichnet, anfänglich glaubte, daß Petrus der Felsen sei, später aber seine Auffassung änderte. Er schrieb: "Nicht von Petrus hat die Petra, sondern Petrus von der Petra, wie Christus nicht von Christ, sondern Christ von Christus den Namen. Darum nämlich sprach der Herr: 'Auf diese Petra (Fels) werde ich meine Kirche bauen', weil Petrus gesagt hatte: 'Du bist Christus, der Sohn des lebendigen Gottes'. Auf diese Petra, welche Du bekannt hast, sagt er, werde ich meine Kirche bauen. 'Der Fels nämlich war Christus'. Auf diesem Fundament ist auch Petrus selbst erbaut. Denn ein anderes Fundament kann niemand legen als das, welches gelegt ist, welches ist Christus Jesus" (Bibliothek der Kirchenväter, Aurelius Augustinus, "Vorträge über das Evangelium des heiligen Johannes", Vortrag Nr. 124, 5, übersetzt von Th. Specht, 1914).

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Lioba
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Re: Vergleich der kirchlichen Strukturen.

Beitrag von Lioba »

:hmm: :(
So ganz perfekt ist es nicht geworden- aber zumindest habe ich nichts im Orkus versenkt. Hoffe ich. :achselzuck:
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M. v. Ebner- Eschenbach

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Clemens
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Re: Vergleich der kirchlichen Strukturen.

Beitrag von Clemens »

@ Ilija

Wieso beschimpfst du Ev.Pont. so?
Er hat sich nicht hier und da etwas herausgepickt, er hat keine Andeutung gemacht, dass er Esoteriker ist, er hat lediglich deutlich gemacht, dass er - wenn er mit der Sorgfalt, die wir Lutheraner in der Schriftauslegung gelernt haben, an Mt.16,18 herangeht - zum Schluss kommt, dass die römische Auffassung vom primatus papae ihm die logischste erscheint.

Dass wird doch noch erlaubt sein, ohne dass man als Esoteriker beleidigt wird!
So gehen ja nicht einmal wir Evangelischen miteinander um!!

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lutherbeck
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Re: Vergleich der kirchlichen Strukturen.

Beitrag von lutherbeck »

Allerdings scheint die heutige Gestalt der anglikanischen Kirche derselbe Scherbenhaufen zu sein, den die übrigen evangelischen Kirchen weltweit darstellen: Polarisation in Liberale und Konservative.
... soweit Evagrios

Wenn ich mir die Diskussionen in der katholischen Kirche so ansehe scheint es dort ganz genauso zu sein!

Lutherbeck
"Ich bin nur ein einfacher demütiger Arbeiter im Weinberg des Herrn".

Evagrios Pontikos
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Re: Auf Fels gebaut

Beitrag von Evagrios Pontikos »

Ilija hat geschrieben:...Nachdem ich deine Beiträge gelesen haben, frage ich mich warum du noch Lutheraner bist? Sie brauchen Romtreue Priester...
Ich versuche, die Kirche als ganze zu sehen und nicht die eigene Konfession zu verabsolutieren. Nur die Kirche als ganze ist die Fülle, von der der Apostel Paulus verschiedentlich in seinen Briefen spricht. Deshalb will ich auch offene Augen für den geistlichen Reichtum der anderen Teile haben. Mit Esoterik hat das nichts zu tun. Eher schon mit Solowjews Konzeption von Kirche, die er in seiner "Kurzen Erzählung vom Antichrist" entwirft, dort in der Person des Professor Paulus, des Starez Johannes und des Papstes Petrus.

Und ob ich ein romtreuer Priester wäre? Schließlich entstand die Reformation ja am Ablassstreit. Und auch das Marianische Dogma als Dogma, also als Lehre, die geglaubt werden muss, ist ein schwerer Brocken. Ich halte nichts von einer einfachen Rückkehrökumene. Dass die kirchliche Situation heute ja ist, wie sie ist, hat ja ihre ernsten Gründe. Eine bloße Rückkehrökumene würde diese Gründe ignorieren. Mein Anliegen wäre, und damit kommen wir wieder zum Thread-Thema, dass konfessionelle Tabus endlich wieder diskutiert werden dürften. Dies ist leider nicht der Fall. Wer als evangelischer Pfarrer ernsthaft über das Papstamt diskutieren will, der verliert sein Amt. (Gleiches gilt für die Frauenordination.) Wenn diese konfessionellen Tabus weiterhin zementiert und mit Spießen und Schwertern verteidigt werden, kommt das ökumenische Gespräch keinen Schritt voran... :nein:

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Re: Vergleich der kirchlichen Strukturen.

Beitrag von Evagrios Pontikos »

lutherbeck hat geschrieben:
Allerdings scheint die heutige Gestalt der anglikanischen Kirche derselbe Scherbenhaufen zu sein, den die übrigen evangelischen Kirchen weltweit darstellen: Polarisation in Liberale und Konservative.
... soweit Evagrios

Wenn ich mir die Diskussionen in der katholischen Kirche so ansehe scheint es dort ganz genauso zu sein!

Lutherbeck
... mit dem Unterschied, dass die Rechtgläubigen treu an der Seite des Papstes stehen werden, dem "Felsen" mitten im Toben der Hölle - wie in Solowjews Erzählung übrigens!

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lutherbeck
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Re: Auf Fels gebaut

Beitrag von lutherbeck »

Evagrios Pontikos hat geschrieben:
Ilija hat geschrieben:...Nachdem ich deine Beiträge gelesen haben, frage ich mich warum du noch Lutheraner bist? Sie brauchen Romtreue Priester...
Ich versuche, die Kirche als ganze zu sehen und nicht die eigene Konfession zu verabsolutieren. Nur die Kirche als ganze ist die Fülle, von der der Apostel Paulus verschiedentlich in seinen Briefen spricht. Deshalb will ich auch offene Augen für den geistlichen Reichtum der anderen Teile haben. Mit Esoterik hat das nichts zu tun. Eher schon mit Solowjews Konzeption von Kirche, die er in seiner "Kurzen Erzählung vom Antichrist" entwirft, dort in der Person des Professor Paulus, des Starez Johannes und des Papstes Petrus.

Und ob ich ein romtreuer Priester wäre? Schließlich entstand die Reformation ja am Ablassstreit. Und auch das Marianische Dogma als Dogma, also als Lehre, die geglaubt werden muss, ist ein schwerer Brocken. Ich halte nichts von einer einfachen Rückkehrökumene. Dass die kirchliche Situation heute ja ist, wie sie ist, hat ja ihre ernsten Gründe. Eine bloße Rückkehrökumene würde diese Gründe ignorieren. Mein Anliegen wäre, und damit kommen wir wieder zum Thread-Thema, dass konfessionelle Tabus endlich wieder diskutiert werden dürften. Dies ist leider nicht der Fall. Wer als evangelischer Pfarrer ernsthaft über das Papstamt diskutieren will, der verliert sein Amt. (Gleiches gilt für die Frauenordination.) Wenn diese konfessionellen Tabus weiterhin zementiert und mit Spießen und Schwertern verteidigt werden, kommt das ökumenische Gespräch keinen Schritt voran... :nein:
Zudem ist das mit der "Rückkehrökumene nach Rom" so eine Sache - nicht wenige Orthodoxe vertreten auch hier im Forum ja durchaus die Meinung daß auch die katholische Kirche rückkehren muß - in die ältere, glaubenstreuere Orthodoxie...

Warum also als Evangelischer nicht gleich das "Original" nehmen?

Lutherbeck, ökumenisch hoffend
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Lioba
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Re: Vergleich der kirchlichen Strukturen.

Beitrag von Lioba »

@ Ilija- ist es okay, wenn dein Beitrag hier gelandet ist- thematisch könnte er zu beiden Strängen passen, die Zitate gehörten aber eindeutig hier hin?
Tatsächlich finde ich deine Worte gegn E. P. auch nicht sehr liebevoll- das, was Evangelen, vor allem Lutheraner, in erster Linie von Rom trennt ist die mit einem strengen Monergismus verbundene Rechtfertigungslehre- alles andere kommt danach. Wer innerlich zwischen den Lehren Roms und Wittenbergs steht ist noch lange kein Esoteriker.
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M. v. Ebner- Eschenbach

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Re: Vergleich der kirchlichen Strukturen.

Beitrag von Evagrios Pontikos »

Ich nehm's Ilija nicht übel. Für die orthodoxe Kirche ist das Papstamt mindestens genauso ein mächtiger Kloß im Hals wie für Protestanten. Wobei ja schon im ersten Jahrtausend der Bischof von Rom immer weider dankenswerterweise mächtig sein Gewicht in die Waagschale gelegt hat. Und dementsprechend verschiedene Konzilien und Synoden die Gemeinschaft mit ihm mit höchstem Nachdruck als überaus wichtig angesehen haben, auch ostkirchlicherseits. Wie ich schon sagte: der Begriff "Ehrenprimat", den auch die Orthodoxen verwenden, muss gefüllt werden. Ich glaube, dass er nicht auf eine Repräsentationsfunktion begrenzt werden kann oder auf eine Art Sitzungsleiter beim Konzil, schon in der Alten Kirche. Sonder was der Papst gesagt hat, das hatte ein Gewicht wie sonst keine bischöfliche Äußerung. Der Papst war immer schon mehr als bloß eine Art Ratsvorsitzender der EKD, gewissermaßen ins weltweite transponiert.

Stephen Dedalus
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Re: Auf Fels gebaut

Beitrag von Stephen Dedalus »

Ich will nur ganz kurz hierauf eingehen, denn ausführlich wäre dies andernorts zu diskutieren.
Evagrios Pontikos hat geschrieben:Zunächst ist die Church of England doch unleugbar Staatskirche, Territorialkirche.
Die C of E aufgrund historischer Gegebenheiten ja. Aber das gilt ja für andere anglikanische Kirchen (die Mehrheit!) nicht. Anglikanismus ist also nicht per definitionem Staatskirchentum, ja es ist für die Ekklesiologie und das Selbstverständnis des Anglikanismus unerheblich, ob es einen Monarchen gibt oder nicht. Konstitutiv hingegen sind Bischofsamt und Ortskirchenprinzip.
Dann ist der wesentliche Grund ihrer Trennung von der römischen Kirche der Streit um die Ehen König Heinrichs gewesen.
Wiederum: Die Trennung der englischen Bistümer von Rom wurde durch den Eheannulierungsstreit ausgelöst. Jedoch hatte Heinrich weniger Einfluß auf die Theologie und die Liturgie der C of E als dies seine Nachfolger hatten. An der Ausprägung der eigentümlichen Gestalt der Liturgie und Tradition der C of E hatten andere Monarchen und Bischöfe stärkeren Anteil als Heinrich. Viel bedeutender sind hier Cranmer durch das Prayer Book (seine persönliche Theologie setzte sich nicht durch), Richard Hooker und Elisabeth I.
Als drittes war die Anglikanische Kirche doch ebenso unbestreitbar über lange Zeit in ihrer Lehre reformiert.
Nein, war sie nicht. Jedenfalls nicht im Sinne von "calvinistisch". Selbst die 39 Artikel zeigen lediglich calvinistische Einflüsse, nicht jedoch eine calvinistische Theologie.
Erst die hochkirchliche Bewegung hat hier doch einen neuen Kurs eingeschlagen.
Nein. Es gab zahlreiche Bewegungen und Gegenbewegungen, die jeweils neu ausbalanciert wurden. Bereits im 16. Jahrhundert wurde die radikalprotestantische Partei ausgeschlossen. Im frühen 17. Jahrhundert gab es eine erste "Gegenreformation" in Liturgie, Theologie und Architektur (die sog. Caroline Divines unter den Theologen und die Laudians in der kirchlichen Praxis). Die Restauration von 1660 war ein weiterer Schritt zur Zurückdrängung protestantischer Einflüsse. Das Oxford-Movement ab 1830 stellte einen Höhepunkt dar, war aber keinesfalls eine isolierte Bewegung - sie hatte sich lange vorbereitet und griff auch auf Elemente zurück, die nie völlig verdrängt worden waren.
In einer vereinfachenden Darstellung gehört sie meiner Meinung nach eher zu den Kirchen, die durch die Umwälzungen der Reformation entstanden sind, als dass sie einen vierten Typus begründen würden.
Das halte ich für ein Mißverständnis. Dies liegt vor allem in der Annahme, die Anglikaner seien in der Reformation "entstanden" - eine Annahme, die im Selbstverständnis der C of E nie eine Rolle spielte. Vielmehr versteht man sich als Kirche, die eine Phase reformatorischer Veränderungen durchlaufen hat - diese waren zum Teil einschneidend, zum Teil aber auch nur von temporärer Dauer (wie etwa der Bildersturm). Manche wurden später revidiert.

Hier liegt ein ganz wesentlicher Unterschied, den man nicht genug betonen kann: Das Geschichtsverständnis der Anglikaner ist fundamental von denen anderer Protestanten unterschieden. Protestanten (zumal die konfessionsgebundenen) denken zirkulär: In der Mitte steht das Bekenntnis, die normative Epoche der Kirchengeschichte und eine identitätsbildende Zentralgestalt wie Luther, Calvin oder Wesley. Kirchliche Entscheidungen heute werden in der Regel unter Rekurs auf dieses Zentrum der eigenen Identität getroffen. Anglikaner hingegen denken linear. Die Reformationszeit ist Teil der eigenen Geschichte und damit auch Teil der eigenen Identität, aber sie ist nicht im gleichen Maße normativ wie in den protestantischen Kirchen. Es gibt kein Bekenntnis, das im gleichen Maße normativ wäre. Selbst die 39 Artikel haben lediglich historischen Charakter.
Die anglikanischen Pfarrer, die ich kenne, sind evangelikal und innerhalb dieses Spektrums sehr deutliche Calvinisten.


Gibt es überall. Ich kenne welche, die wären wohl von Baptisten kaum zu unterscheiden. Aber repräsentativ sind die nicht. Gibt es sogar bei den Katholiken.
Aber ganz konkret gefragt: Wie steht die anglikanische Kirche von ihrem Bekenntnis her zu Taufe, Abendmahl, Amt? Ich denke, dass hier bekenntnisorientierte konservative Lutheraner und bekenntnisorientierte, konservative Anglikaner nicht allzuweit voneinander entfernt sind. Oder?
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Ich habe das schon mehrfach hier gesagt: Die Anglikanische Kirche ist keine Bekenntniskirche. Man nicht fragen, was das anglikanische Bekenntnis zu Taufe und Abendmahl sagt. Es gibt - außer den altkirchlichen Bekenntnissen - kein anglikanisches Bekenntnis, das heute eine solche Gültigkeit beanspruchen könnte. BEi den Anglikanern muß man daher vor allem fragen, was die Liturgie zu den Sakramenten sagt und welche Stellung sie im Leben der Kirche haben. Auch das ist etwas, das die Anglikaner wiederum fundamental von den Protestanten unterscheidet. Wir haben keine "Lehre" zu Taufe, Abendmahl und Amt. Wir spenden diese Sakramente, indem wir bestimmte liturgische Formulare benutzen und einer im kanonischen Recht festgelegten Ordnung folgen. Dies ist Ausdruck unserer katholischen und apostolischen Tradition.
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Re: Auf Fels gebaut

Beitrag von Lutheraner »

Evagrios Pontikos hat geschrieben: Folgende Gefährdungen sehe ich bei der Orthodoxie: Erstarrung und Neigung zum Nationalismus und zur Staatsdienerei. Damit zusammenhängend eine Hemmung in echter ökumenischer Begegnung.
Das sehe ich auch so. Das Orthodoxe Modell ist so stark an die von ihr geprägten Länder gebunden, dass die gesellschaftliche Entwicklung in ihnen über die Zukunft dieser Gemeinschaft entscheidet. Das mag momentan keine akute Bedrohung sein, kann mit der fortschreitenden "Verwestlichung" aber schneller als gedacht ihr Ende herbeiführen.
Katholische und Evangelische Kirche haben dieses Problem nicht. Aufgrund ihrer Missionsbestrebungen sind sie weltweit verbreitet und daher unabhängig von regionalen gesellschaftlichen Entwicklungen.
Evagrios Pontikos hat geschrieben: erliegt weder dem Liberalsimus, wie dies ohne Zweifel die evangelischen Kirchen tun (und als Reaktion sich deshalb mehr und mehr zerspalten)
Inwiefern siehst Du den Liberalismus als Ursache evangelischer Zersplitterung? Eigentlich ist doch eher das Gegenteil der Fall. Erst durch den Liberalismus und seine Folgen kam es zu Zusammenschlüssen verschiedener evangelischer Kirchen.
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Re: Auf Fels gebaut

Beitrag von Lutheraner »

Stephen Dedalus hat geschrieben: Wir haben keine "Lehre" zu Taufe, Abendmahl und Amt. Wir spenden diese Sakramente, indem wir bestimmte liturgische Formulare benutzen und einer im kanonischen Recht festgelegten Ordnung folgen. Dies ist Ausdruck unserer katholischen und apostolischen Tradition.
Das erinnert mich an die unierten Kirchen. Sie haben auch keine klare Lehre zu Taufe, Abendmahl und Amt, legen aber die zugehörigen kirchlichen Handlungen in ihrer Agende fest.
Die Katholische Kirche hat hingegen eine klar definierte Lehre zu ihren Sakramenten.
"Ta nwi takashi a huga bakashi. Ta nwi takashi maluka batuka"

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Re: Auf Fels gebaut

Beitrag von Stephen Dedalus »

Lutheraner hat geschrieben:
Stephen Dedalus hat geschrieben: Wir haben keine "Lehre" zu Taufe, Abendmahl und Amt. Wir spenden diese Sakramente, indem wir bestimmte liturgische Formulare benutzen und einer im kanonischen Recht festgelegten Ordnung folgen. Dies ist Ausdruck unserer katholischen und apostolischen Tradition.
Das erinnert mich an die unierten Kirchen. Sie haben auch keine klare Lehre zu Taufe, Abendmahl und Amt, legen aber die zugehörigen kirchlichen Handlungen in ihrer Agende fest.
Die Katholische Kirche hat hingegen eine klar definierte Lehre zu ihren Sakramenten.
Oder bei den Orthodoxen: Der vornehmliche Ausdruck des Glaubens ist die Liturgie, keine "Bekenntnisschrift". Anglikanische Theologie ist stark doxologisch geprägt. Deshalb ist uns auch die Musik so wichtig.
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Mary
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Re: Auf Fels gebaut

Beitrag von Mary »

Lutheraner hat geschrieben: Das sehe ich auch so. Das Orthodoxe Modell ist so stark an die von ihr geprägten Länder gebunden, dass die gesellschaftliche Entwicklung in ihnen über die Zukunft dieser Gemeinschaft entscheidet. Das mag momentan keine akute Bedrohung sein, kann mit der fortschreitenden "Verwestlichung" aber schneller als gedacht ihr Ende herbeiführen.
Katholische und Evangelische Kirche haben dieses Problem nicht. Aufgrund ihrer Missionsbestrebungen sind sie weltweit verbreitet und daher unabhängig von regionalen gesellschaftlichen Entwicklungen.
Lieber Lutheraner,

die orthodoxe Kirche ist genauso weltweit vertreten wie die Katholiken oder die Evangelische Kirchen, da ist weit mehr als die paar Griechen und Russen, Bulgaren und Serben etc....
Ich lade Dich ein zu einem Suchmaschinenexperiment. Gib ein "orthodox church" plus ein beliebiges Land deiner Wahl, zum Beispiel Japan, Mexico, Südafrika... rund um den Globus... und staune...

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Re: Auf Fels gebaut

Beitrag von taddeo »

Stephen Dedalus hat geschrieben:Oder bei den Orthodoxen: Der vornehmliche Ausdruck des Glaubens ist die Liturgie, keine "Bekenntnisschrift".
Das dürfte eigentlich auch der Hauptgrund dafür sein, daß die Orthodoxie so unglaublich streng an der liturgischen Gestalt festhält. Wenn man nämlich die verändert, läuft man stets Gefahr, die dahinterstehende Lehre auch mit zu verändern, weil die eben nirgends anders so umfassend kodifiziert ist als in der Liturgie.
Bei den Katholiken kann man dank der einschlägigen lehramtlichen Dokumente wenigstens noch behaupten, daß sich die Eucharistielehre nicht gewandelt hat, obwohl die Liturgie einen daran zweifeln lassen könnte.

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lutherbeck
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Re: Auf Fels gebaut

Beitrag von lutherbeck »

Mary hat geschrieben:
Lutheraner hat geschrieben: Das sehe ich auch so. Das Orthodoxe Modell ist so stark an die von ihr geprägten Länder gebunden, dass die gesellschaftliche Entwicklung in ihnen über die Zukunft dieser Gemeinschaft entscheidet. Das mag momentan keine akute Bedrohung sein, kann mit der fortschreitenden "Verwestlichung" aber schneller als gedacht ihr Ende herbeiführen.
Katholische und Evangelische Kirche haben dieses Problem nicht. Aufgrund ihrer Missionsbestrebungen sind sie weltweit verbreitet und daher unabhängig von regionalen gesellschaftlichen Entwicklungen.
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die orthodoxe Kirche ist genauso weltweit vertreten wie die Katholiken oder die Evangelische Kirchen, da ist weit mehr als die paar Griechen und Russen, Bulgaren und Serben etc....
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Da kannst Du recht haben - dennoch sind die meisten Gemeinden muttersprachlich geprägt durch die jeweilige Nation, aus der ihre Gläubigen kommen! Es wäre anders, wenn sie in der jeweiligen Landessprache ihres "Gastlandes" agieren würden und somit nationale Zughörigkeiten ad acta legten.

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"Ich bin nur ein einfacher demütiger Arbeiter im Weinberg des Herrn".

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Lutheraner
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Re: Auf Fels gebaut

Beitrag von Lutheraner »

Mary hat geschrieben:die orthodoxe Kirche ist genauso weltweit vertreten wie die Katholiken oder die Evangelische Kirchen, da ist weit mehr als die paar Griechen und Russen, Bulgaren und Serben etc....
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Da gibt es nichts zu staunen. Mir ist schon klar, dass es in fast allen Ländern in irgendeiner Form Orthodoxe Kirchen gibt, aber schau Dir mal an wieviele Glieder diese Gemeinschaften haben und von wem sie abhängig sind.
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