Robert Ketelhohn hat geschrieben:Erst einmal dies: Ich kenne auch Mißbrauchs„fälle“, und zwar sehr persönlich. Ich nenne zwei Beispiele unterschiedlicher Art: einmal fortgesetzter Mißbrauch eines pubertierenden Mädchens durch den eigenen Vater, der andere Fall ein unverheiratet schwanger gewordenes junges Mädchen, das von der Mutter zur Abtreibung gezwungen wird. Beides „Fälle“ mit schlimmen Auswirkungen fürs ganze Leben der Opfer und schwerer Belastung der ganzen Familien. Kirchliche Implikationen bestehen auch nicht entfernt, die Taten liegen Jahrzehnte zurück, die Täter sind verstorben.
Mehr sage ich dazu nicht, aber du kannst mir glauben, daß ich keineswegs nicht an die Opfer dächte, ganz im Gegenteil. Es gibt aber auch Opfer auf der andern Seite: solche nämlich, die unschuldig verdächtigt und geächtet werden. Und immer, wenn echte oder vermeintliche Täter kirchliche Personen sind, ist ein Opfer auch die Kirche, auf die die kirchenhassende Journaille dann blind eindrischt.
Hallo Robert,
komme erst jetzt dazu deinem ausführlichen Posting zu antworten.
Ich versuche die Situation auch von allen Seiten zu betrachten und dass es durchaus auch falsche Beschuldigungen gibt, ist eigentlich logisch. Denn es gibt auf jeder Seite Menschen, die keine Ahnung haben oder haben wollen, was sie anrichten. Falsche Beschuldigungen sind genauso ätzend, zum Einen schadet es dem vermeintlichen Täter sehr massiv, und zum Anderen wird den echten Opfern noch weniger geglaubt, mit allen dazu gehörigen Folgen.
Das der Kirche ebenfalls ein Schaden entsteht, egal ob es wirklich sich um Missbrauch handelte oder falsche Beschuldigungen, stelle ich nicht in Abrede. Und das ist auch etwas, was mir weh tut. Aber wegen eines kirchenfeindlichen Journalismus sich nicht offen diesem Thema als Kirche zu stellen, ist ein falscher Weg. Denn der ehrliche Umgang wird auf lange Sicht, der bessere sein.
Robert Ketelhohn hat geschrieben:Dies erst mal zum Hintergrund. Wenn du in den Tiefen des Kreuzgangs suchst, wirst du Fälle finden, wo ich sehr konsequent scharfes Vorgehen gegen klar überführte Täter verlange und unmißverständlich die Versäumnisse kirchlicher Oberer anprangere, ja teils deren Mittäterschaft. Du wirst aber auch andere finden, in denen ich mich sehr zurückhaltend äußere und vor voreiligen Urteilen warne.
Es kommt immer auf den Einzelfall an, auf die Wahrheit, auf die Fakten. – Oben habe ich den „Fall“ des Berliner Pfarrers Peter Wistuba angesprochen. Er hatte vor einer guten Woche in einer öffentlichen Stellungnahme zu den Beschuldigungen erklärt, ihm seien seitens des bischöflichen Ordinariats bisher keine Fakten genannt worden, außer daß sich im Jahr 2001 eine anonym bleibende Person belästigt gefühlt habe von einem »sexuellen Klima«, das er verbreitet habe.
Inzwischen hat – letzten Sonntag – der Pressesprecher des Ordinariats darauf geantwortet. Klopft man die wortreiche Erwiderung auf Substanz ab, so ergibt sich:
- Es wird nicht Wistubas Einlassung widersprochen, daß die vorgeworfene „Verfehlung“ in der Verbreitung eines „sexuellen Klimas“ bestanden habe. Insbesondere wird nicht eingewandt, daß womöglich schwererwiegende Vorwürfe im Raum stehen könnten.
- Gegen Wistubas Erklärung, die ihn beschuldigende Person sei anonym, wird eingewandt, die Personen (also anscheinend mehrere), die die Vorwürfe erhoben hätten, seien keine anonymen Personen, hätten aber Diskretion erbeten. Also keine anonyme Anzeige, aber für Pfr. Wistuba bleiben sie vorerst anonym, bis man ihm die Namen im bevorstehenden Hauptverfahren aus prozeßrechtlichen Gründen nicht mehr verschweigen darf.
- Seitens des Ordinariats wird festgestellt, Pfr. Wistuba werde von mehreren Personen beschuldigt, während dieser nur von einer (ihm nicht benannten) Person sprach. Auch redet die Erwiderung des Ordinariats in der Mehrzahl von „vorgeworfenen Verfehlungen“ Wistubas. Hier wird der Eindruck zu erwecken versucht, es handle sich um eine Mehrzahl dem Wistuba vorgeworfener Taten. Das bleibt jedoch so schwammig, daß Zweifel angebracht sind. „Mehrere Personen“ können auch zum Beispiel ein Jugendlicher und seine Eltern oder ein Zeuge sein. Ebenso sind „Verfehlungen“ so unbestimmt, daß sie sich ohne weiteres auf einen einzigen Fall beziehen können. Handelte es sich dagegen wirklich von Anfang an um mehrere voneinander unabhängige Taten Wistubas, hätte man diesem klar widersprechen können, anstatt bloß en passant aus einer beschuldigenden Person mehrere zu machen. Mit andern Worten, es drängt sich der Verdacht auf, man wolle Wistuba durch geschickte Formulierungen möglichst schlecht dastehen lassen.
- Die Erwiderung des Ordinariats behauptet ferner, Wistuba habe über die „vorgeworfenen Verfehlungen“ hinaus „dem Bistum unbekannte Tatbestände und Namen“ benannt. – Waren das auch „Verfehlungen“? – Das wird suggeriert durch die Parallelisierung mit den „vorgeworfenen Verfehlungen“ sowie durch einen etwas merkwürdigen Hinweis, Wistuba habe „in diesem Zusammenhang … in der Vernehmung diejenigen“, die es betreffe, „um Entschuldigung“ gebeten. Diese „Betroffenen“ können nun freilich gar nicht anwesend gewesen sein, und daß die „unbekannten Tatbestände“ „Verfehlungen“ seien, wird tatsächlich nicht ausgesprochen. – Man ist hier leider aufs Spekulieren angewiesen. Versuche ich mich in die Vernehmungssituation zu versetzen, dann erscheint mir folgendes plausibel: Man wird Wistuba etwas nebulös mit den ihm anonym bleibenden Beschuldigungen konfrontiert und gefragt haben, was er dazu sage. Er wird überlegt haben, welche – ihm vermutlich harmlos erscheinende – Situation von einem Beteiligten im Sinn der Beschuldigung interpretiert worden sein könnte, und wird dann das eine oder andere Beispiel genannt und gefragt haben, ob das gemeint sei. Das hat man dann schnell aufgeschrieben und als weiteres „Geständnis“ gewertet. – Wie gesagt, ich spekuliere, aber anders kann ich mir die unterschiedlichen Erklärungen nicht sinnvoll zusammenreimen.
Ob Pfr. Wistubas Verhalten seine Entfernung aus der Pfarrei rechtfertigt, weiß ich nicht. Ausschließen kann ich das aufgrund der vorliegenden Informationen und dessen, was ich mir zusammenreimen muß, auch nicht. Man hat seitens des Ordinariats im Sog der Canisius-Affaire aber geradezu den Eindruck erweckt, es handle sich bei Pfr. Wistuba um einen Kinderschänder. In Wahrheit liegt aber nichts vor, was auch nur entfernt nach weltlichem Strafrecht relevant sein könnte. Das Agieren des Ordinariats ist darum völlig unverantwortlich. Statt die Dinge aber nun wenigstens klarzustellen, versucht man sich irgendwie aus der Affaire zu ziehen, indem man Wistuba wenigstens noch in möglichst schlechtem Licht präsentiert. So wenigstens stellt sich mir die Sachlage dar. (Sollte es doch gravierender sein, als ich vermute, dann wäre es noch schlimmer. Dann wäre das Herumeiern der Offiziellen eine reine Katastrophe. Dafür sehe ich aber keine Anzeichen.)[/color]
Ja, es ist richtig nicht pauschal zu urteilen. Und der von Dir beschriebene Fall ist sehr nebulös, denn der Begriff "sexuelles Klima" ist nicht definierbar und fördert Vermutungen und keine Fakten. Und Vorwürfe zu denen jemand Stellung nehmen soll, müssen konkret sein und ein Herumgeeier zeugt nicht von Kompetenz und ist kritisch zu hinterfragen.
Robert Ketelhohn hat geschrieben:So viel zu diesem „Fall“. – In Sachen Canisius-Kolleg hat Bernado oben schon genug gesagt, was die Fakten angeht. Die Vorfälle sind gravierender, aber auch weit entfernt von Kinderschändung. Wären sie aktuell, wären die beschuldigten Patres selbstverständlich sofort und dauerhaft aus dem Schuldienst zu entfernen. Dies ist in der Vergangenheit, als die Vorgänge sich ereigeneten, zwar geschehen, aber augenscheinlich viel zu spät, zögerlich und allzu lange inkonsequent. Das ist durchaus zu kritisieren.
Ich gebe zu, daß es mir schwerfällt, bei den betroffenen Schülern von damals von „Opfern“ zu reden. Aber ich will einräumen, daß labile Personen auch von einem Grapscher oder Fummler oder einem, der ihnen den Hintern versohlt, gewisse Schädigungen davontragen mögen, bleibende neurotische Störungen oder was weiß ich. Das laut tönende Rundschreiben des heutigen Schulleiters P. Mertes SJ, das einen Abgrund an Kinderschändung an die Wand malte und vom furchtbarsten Leiden der armen Opfer schwafelte, hat doch aber jedenfalls maßlos überzogen.
Da ist der Punkt, wo sich unsere Ansichten sehr unterscheiden.
Zum einen der Begriff des Opfers. Ich trenne den Begriff des Opfers von den Folgen. So kann auch durchaus jemand Opfer von irgendwas sein, ohne dass die Folgen für ihn nennenswert sind. Es gibt "Opfer" mit massiven Folgen, z.B. Todesopfer des Erdbebens in Haiti. Aber auch "Opfer" eines Diebstahls, wenn ihm ein kleinerer Geldbetrag gestohlen wird. Auch wenn das "Opfer" Multimillionär ist.
Das andere ist deine Begrifflichkeit von Missbrauch und Akzeptanz möglicher Folgen.
Ich habe vorher schon geschrieben, dass es durchaus unterschiedliche Varianten von Missbrauch gibt und es besser ist zu differenzieren, zwischen schwerem Missbrauch, über sexuelle Übergriffe bis hin vielleicht zur sexuellen Belästigung. Der Bereich von "Befummeln" fällt für mich unter den Bereich sexueller Übergriff, in leichter Form vielleicht auch "nur" zur Belästigung. Auch um dem Kind, das vergewaltigt wurde, den Begriff "schwerer Missbrauch" zu reservieren. Die Folgen eines Missbrauchs hängen von seinem Schweregrad, der Dauer, dem Alter und der Konstitution des Opfers und auch dem Umfeld ab. Und ja, auch Befummeln kann schwere Folgen haben, dann wenn das Kind zum Beispiel relativ klein ist und sich gerade in einem kritischem Moment der Hirnverdrahtung in bezug auf Sexualität befindet. Mir ist da ein sehr persönliches Beispiel vor Augen. Aber das gehört nicht näher in die Öffentlichkeit außer noch der Tatsache, dass es sich beim Täter um einen verheirateten Bekannten der Familie handelte.
Robert Ketelhohn hat geschrieben:Dies wäre schon zu kritisieren, wenn es P. Mertes tatsächlich um die betroffenen Schüler gegangen wäre. Ihm geht es aber offenbar um anderes. Seit dem ersten Paukenschlag legt er nämlich immer wieder verbal nach, und zwar um die Kirche als solche zu beschuldigen und anzugreifen. Nicht etwa bloß, weil man damals nicht konsequent genug gegen die beiden der Übergriffe schuldigen Patres vorgegangen war, sondern weil er absurderweise die Morallehre der Kirche und den priesterlichen Zölibat als Schuldige bezichtigt. Das ist nicht nur absurd, das ist schändlich. Aber nichts anderes kann von Anfang an sein Plan und seine Absicht bei der ganzen Aktion gewesen sein. Und alle Unberufenen springen auf den Zug auf und hetzen fleißig mit gegen die Kirche – wie weiland Joseph Goebbels mit den nazistischen Sittlichkeitsprozessen gegen Ordensleute.
Nicht wenige Ordinariate in Deutschland (und was unter denen so Bischof ist) gehen dieser Masche auf den Leim – oder sind selber aktiv dabei. Dagegen müssen wir angehen – und zugleich verlangen, daß sie endlich gegen die wirklichen Sittenstrolche im Priesterrock vorgehen und die Nester ausräuchern, die es in einigen Diözesen noch gibt.
Nun soweit mir bekannt ist, hat Pater Mertes sich zunächst in einem Brief an seine ehemaligen Schüler gewendet und nicht an die Bildzeitung geschrieben.
Und für mich ist nicht der Zölibat, der Grund für Missbrauch. Nein, definitiv nicht.
Mal soweit fürs erste.
LG mtoto