OFFENER BRIEF AN DIE PFARREI HARTKIRCHEN
Abschiedsbrief von Pfr. Dr. Anton Morhard an seine Pfarrgemeinde
Liebe Pfarrgemeinde!
Dreieinhalb Jahre habe ich bei Euch verbracht. Eine Zeit, die für mich mit vielen Erinnerungen verbunden bleibt. Ganz überwiegend waren es menschlich gute Erfahrungen, die ich vor Ort mit Euch gemacht habe: Eure unkomplizierte Hilfsbereitschaft und die gemütliche Rottaler Art hätten mir unter anderen Zeitumständen Geborgenheit und Heimat für Jahrzehnte bieten können, soweit ein Priester darauf Anspruch hat. Trotzdem habe ich mich jetzt entschlossen, aus dem Bereich des Bistums Passau – und damit auch von Hartkirchen – wegzugehen. Warum?
Die eigentliche Aufgabe des Priesters wird im real existierenden System immer mehr verdrängt: nämlich in der Nachfolge Christi Seelenführer zu sein, d. h. wie Er die anvertraute Herde durch Verkündigung im Wort und Heiligung im Sakrament zum ewigen Heil zu führen und der Verdammnis zu entreißen. Statt dessen wird man zum Funktionär einer Diesseits-Religion degradiert: Man soll sich als Manager einer Gebietskörperschaft, säuselnder Psycho-Onkel oder Stimmungsmacher bzw. dekoratives Ornament bei Familienfesten betätigen.
Liebe katholische Mitchristen, dafür ist mir mein Leben und meine priesterliche Berufung zu schade!
Beheimatung findet der Priester zum einen, wie gesagt, in Nachfolge und Nachahmung Christi. Natürlich hat sich mit dieser Haltung noch keiner bei der Welt, wie uns das Johannes-Evangelium (Joh. 17,14) sagt, beliebt gemacht. Aber in den geordneten Zeiten der Kirche fand der zum Herrn strebende, gem. Rom 12,2 weltwiderständige Gottesdiener das andere Element, das ihn trägt: Verständnis bei den Mitbrüdern und Rückhalt bei den Vorgesetzten. Dies half, das übliche Martyrium des Alltags zu ertragen, die Verständnislosigkeit und Hetze der Angepaßten aller Zeiten, den Spott der Biertische ebenso wie den Klatsch der Kaffeekränzchen. Wo ist diese Solidarität der geistlichen Mitbrüder geblieben? Ich bekenne: Mit Widerwillen und Abscheu besucht man die diversen Zusammenkünfte der Theologenschaft und geht mit einer Mischung aus Mitleid und Verzweiflung wieder weg. Denn dort steht im besseren Fall Jammerei, immer öfter aber antikatholische Hetze bis zur Selbstzerfleischung auf dem Programm. Von Re-form im wahren Sinn, d. h. Erneuerung in Christus, neuer Heiligung des Seelsorgers und der ihm anvertrauten Gläubigen, von der Freude, zur wahren Kirche Jesu Christi zu gehören: Kein Wort!
Auch dieses Kreuz könnte man tragen – wenn man heutzutage wenigstens in der Gemeinde, als Einzelkämpfer, anders als weltkonformistisch sein dürfte. Denn was wollen die zeitgenössischen kirchlichen Behörden? Ruhe, nicht das widerständige priesterliche Zeugnis gegen einen falschen Zeitgeist ist die erste Forderung der Mitbrüder und Vorgesetzten. Vor nichts haben die Ordinariate mehr Angst, als mit negativen Schlagzeilen oder agressiven Medienberichten konfrontiert zu werden. Dieses Gefühl kann ich noch nachempfinden. Aber ich kann mich mitunter des Eindrucks nicht erwehren, daß man höheren Orts Ruhigstellung bzw. Entsorgung von Priestern, die nicht im weltangepaßten Trend liegen, nicht nur widerstandslos hinnimmt, sondern zumindest nicht ganz ungern sieht. (Zurückhaltender kann ich es ohne Verletzung der Wahrheitsliebe nicht ausdrücken.)
Wohlgemerkt: ich treffe keine Schuldzuweisung. Über alle Menschen richtet zuletzt und einzig Gott. Doch will ich zum Abschied nicht schweigen über den Zustand der Kirche und ihrer Priesterschaft, der zum Himmel schreit, und mich seit Jahren fragen läßt: woher dieser Zusammenbruch? Hier ist nicht der Ort, um meine Antworten detailliert auszubreiten. Zum Thema kann ich Euch aber zwei Bücher besonders empfehlen: »Die Krise der Kirche« von Prof. Georg May sowie »Athanasius und die Kirche unserer Zeit« von Bischof Dr. Rudolf Graber. Deren Ergebnis in Kürze: Wir Christen sind, wenigstens was die Konsequenzen angeht, Opfer des – mit rühmlichen Ausnahmen wie Ratzinger – vergötzten Großereignisses »Zweites Vatikanisches Konzil«. Es war vom naiven Fortschrittsoptimismus der 60er Jahre geprägt. Mehrdeutig bis nebulös in der Formulierung, wurde in der Anwendung des Konzils der Mensch an die Stelle Gottes gesetzt. Nicht mehr der Mensch hat sich Gottes Offenbarung zu unterwerfen, sondern der Mensch selbst bestimmt, was er gerade zu glauben geruht. Damit ist natürlich die Religion auf den Kopf gestellt. Entsprechend wurde die Kirche im allgemeinen Bewußtsein von der göttlich gestifteten Heilseinrichtung zur menschlich gemanagten Sozialbedürfnisanstalt. Öffnung zur Welt – mit Verlaub – als kriecherische Anbiederung!
Natürlich war der Boden für den antikatholischen Umsturz schon lange bereitet – außer- und innerhalb der Kirche. Namen, Organisationen und Irrlehren brauche ich nicht zu nennen. Haben nicht z. B. die großen Pius-Päpste über hundert Jahre lang unermüdlich vor den Verderbern gewarnt und die heutige Lage exakt vorausgesehen? Doch die satte Selbstzufriedenheit und verblendete Selbstsicherheit der Kirche – einsame Mahner ausgenommen – in der Nachkriegszeit war der richtige Humus für die offene Zerstörung ab dem Konzil. Seitdem ist die Kirche – statistisch belegbar – in offenem und sich beschleunigendem Niedergang. Gottesdienstbesucherzahlen und Berufungen gehen rapide zurück. Der katholische Glaube (ver)schwindet – weniger, weil er in einer heidnischen Gesellschaft „verdunstet“, sondern weil er von kirchlichen Stellen über Jahrzehnte zumindest verkürzt dargestellt wurde.
Eine Wende ist nicht in Sicht. Menschlich gesehen besteht keine Hoffnung. Doch der Herr verläßt seine Kirche nicht und wird eingreifen. Bange fragen wir uns freilich: wann? Für die Menschen gibt es noch viel, evtl. jahrzehntelang, kaputtzumachen. Wird z. B. die Darstellung des Gekreuzigten in 10 Jahren noch in öffentlichen Gebäuden zu finden sein? Wird das Kreuz da noch einen zentralen Platz wenigstens in den Kirchen haben? Wenn Ihr mich für einen rabenschwarzen Pessimisten haltet, dann bedenkt, wie rabiat fast alle Kommunionbänke, ja selbst viele Altäre und Tabernakel, schon aus den Kirchen gerissen worden sind. Wenn das der „Konzilsgeist“ ist, erübrigt sich ein Kommentar! Denn ist das nicht Ausdruck von Gleichgültigkeit bis Haß gegenüber dem Aller-Heiligsten, das wir besitzen?
Angesichts des „Greuels der Verwüstung an heiliger Stätte“ (Dan 8,13) frage ich Euch: Darf man weiter in den verlogenen Chor der Triumphalisten einstimmen, die das Konzil als „Neues Pfingsten“ feiern? Darf man schweigen zu dieser neuen babylonischen Verwirrung, zur Zersetzung von Glaube und Moral als Folge? Und vor allem: Soll man achselzuckend den zu befürchtenden Massenruin unsterblicher Seelen hinnehmen, für deren Rettung der Seel-Sorger doch zu wirken hat? Darf man eine Messe feiern, die auf die Zerstörung ihrer selbst abzielt? Gott und sich selbst kann niemand belügen.
«Quid sum miser tunc dicturus» – was soll ich dem Richter am Jüngsten Tag antworten, wenn er fragt: Weshalb hast du den Menschen mehr gehorcht als mir? Wieso hast du wider besseres Wissen mitgemacht bei der Zerstörung meiner Kirche? Weswegen hast du dich auf „inneren Widerstand“ herausgeredet? Warum hast du durch Schweigen kollaboriert?
Was soll ich kleiner Pfarrer tun? Auch Hartkichen ist keine Insel der Seligen. Bei allem Vertrauen, das ich in Euch hege: einen Seelsorger ohne Gegner gibt es nicht. Vertritt ein Ortsgeistlicher aber eine auch nur halbwegs bewahrend-konservative Position, hat er schon bei einem Judas in seiner Gemeinde keine Chance. Der o. g. Mechanismus der Macht tritt unerbittlich in Aktion. Will ich mein Gewissen nicht dauernd vergewaltigen, wäre jetzt bald der kritische Punkt erreicht, wo der offene Konflikt ausbricht. Eine solche Auseinandersetzung, evtl. mit medialen Schlammschlachten und emotionalen Weiterungen auf Gemeindeebene, will ich Euch und mir ersparen. Ich gehe: lieber ein Ende mit Schrecken als ein Schrecken ohne Ende!
Glaubt mir: Einfach war die Entscheidung nicht. Mein Inneres war zuletzt nur noch ein durch Seelenkämpfe verwüstetes Schlachtfeld. Lange habe ich zwischen den Möglichkeiten von Resignation, Widerstand oder Exil geschwankt. Schweren Herzens habe ich mich für letzteres entschieden, da ich weder für die Rolle des gleichgültigen Fatalisten, noch die des selbstmörderischen Einzelkämpfers geeignet bin. Ich bitte Euch inständig um Verzeihung. Aber auch um Verständnis, daß ich meinem Gewissen folgen muß. Einfach ist es auch so nicht. Für mich ist eine Welt zusammengebrochen, und mit vierzig Jahren muß ich noch einmal neu anfangen. In das real existierende „Kirchen-System“ kann ich mich indes nicht länger einfügen, ohne seelisch zu zerbrechen und völlig unterzugehen. Stand ich doch in den letzten Jahren z. T. schon bis zum Zerreißen unter Spannung, habe daher oft überreagiert und manchen zu Unrecht wehgetan. Ich bitte auch dafür um Verzeihung und Nachsicht!
Was und wo ist meine Zukunft? Ich gehe dorthin, wo mutige Hirten die Notlage der Kirche längst erkannt und sich für den wahren Gehorsam entschieden haben: gegenüber dem katholischen und apostolischen Glauben aller Zeiten, nicht gegenüber einer verworrenen Kirchenversammlung und ihren unglücklichen Vollstreckern. Herz und Verstand führen mich zur Tradition. Unter ihren Schutz stelle ich mich, bis die Zeiten gemäß Gottes Willen wieder anders werden. Dort bin ich als Priester willkommener Bruder, dort will ich andere und mich mit meinen schwachen Kräften heiligen. Euch aber bleibe ich verbunden im Gebet und ihm Hl. Meßopfer aller Zeiten. Betet bitte auch Dir für mich! Vielleicht erleben wir schließlich den Tag, an dem die Krise der Kirche überwunden ist, den Tag, an dem in unserer Pfarrkirche St. Petrus nicht mehr Altar gegen Altar steht und wir zusammen zum Herrn hin das Heilige Meßopfer aller Zeiten im sieghaften katholischen Glauben feiern.
Noch einmal: Vergelt's Gott für alles Gute, das Ihr mir getan habt! Gott segne Hartkirchen! Gott segne Euch alle!
Hartkirchen, 17.01.1999
Euer Pfarrer Anton Morhard