Spr 8,22-31: Textkritik

Schriftexegese. Theologische & philosophische Disputationen. Die etwas spezielleren Fragen.
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lifestylekatholik
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Re: Spr 8,22-31: Textkritik

Beitrag von lifestylekatholik »

Vulpius Herbipolensis hat geschrieben:
lifestylekatholik hat geschrieben:Zu V. 22., »possedit«/»creavit«

In Anmerkung 39 steht hier u. a.
There are two roots קָנָה (qanah) in Hebrew, one meaning “to possess,” and the other meaning “to create.” ... Ugaritic confirmed that it was indeed another root.
Danke! Also ein Mißverständnis z.B. der Hieronymus, während LXX das Hebräische treffend wiedergibt ...
Da fragt man sich doch: Hat Hieronymus »possedit« geschrieben, um theologische Probleme zu vermeiden, oder aus Mangel an Hebräischkenntnissen?
Äh, wie? Was? :hae?:

Wenn Anmerkung 39 richtig ist, dann gibt es zwei verschiedene Wörter, eines mit der Bedeutung »besitzen« und eines mit der Bedeutung »schaffen«. Beider Form sei lautgesetzlich zusammengefallen, sodass also beide Bedeutungen möglich sind bzw. nach Kontext entschieden werden muss.

Wieso notwendigerweise Hieronymus, der »possedit« übersetzt, einem Missverständnis aufgesessen sein soll und nicht die LXX, die ἔϰτισε übersetzt, erschließt sich mir noch nicht vollständig.
»Was muß man denn in der Kirche ›machen‹? In den Gottesdienſt gehen und beten reicht doch.«

Vulpius Herbipolensis
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Re: Spr 8,22-31: Textkritik

Beitrag von Vulpius Herbipolensis »

lifestylekatholik hat geschrieben:
Vulpius Herbipolensis hat geschrieben:
lifestylekatholik hat geschrieben:Zu V. 22., »possedit«/»creavit«

In Anmerkung 39 steht hier u. a.
There are two roots קָנָה (qanah) in Hebrew, one meaning “to possess,” and the other meaning “to create.” ... Ugaritic confirmed that it was indeed another root.
Danke! Also ein Mißverständnis z.B. der Hieronymus, während LXX das Hebräische treffend wiedergibt ...
Da fragt man sich doch: Hat Hieronymus »possedit« geschrieben, um theologische Probleme zu vermeiden, oder aus Mangel an Hebräischkenntnissen?
Äh, wie? Was? :hae?:

Wenn Anmerkung 39 richtig ist, dann gibt es zwei verschiedene Wörter, eines mit der Bedeutung »besitzen« und eines mit der Bedeutung »schaffen«. Beider Form sei lautgesetzlich zusammengefallen, sodass also beide Bedeutungen möglich sind bzw. nach Kontext entschieden werden muss.

Wieso notwendigerweise Hieronymus, der »possedit« übersetzt, einem Missverständnis aufgesessen sein soll und nicht die LXX, die ἔϰτισε übersetzt, erschließt sich mir noch nicht vollständig.
Entschuldigung, das war vielleicht etwas undifferenziert ausgedrückt, aber gegenüber LXX und Peschitta hat der Gute zumindest in den Augen unseres Dozenten keinen guten Stand.
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lifestylekatholik
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Re: Spr 8,22-31: Textkritik

Beitrag von lifestylekatholik »

V. 22

Ich habe mal in der deutschsprachigen »Bibliothek der Kirchenväter« nach Spr. 8, 22 gesucht. Treffer bei 15 Autoren. Davon führen praktisch alle die LXX-Übersetzung an. Ist ja auch logisch, schließlich ging’s zumeist um die Auseinandersetzung mit den Arianern.

Interessant erscheint mir eine Anmerkung zu einem Text von Athanasius, die das bestätigt, was ich oben zuerst geschrieben:
Mit ἒκτισε = "er schuf" geben die LXX das hebräische Kanah wieder, während die Vulgata die zweite Bedeutung dieses Wortes: "besitzen" wählte und possedit übersetzte.
Interessanter noch ist eine Anmerkung zu einem Text von Epiphanius von Salamis:
Eine unter den Vätern sehr oft behandelte Stelle, und unser Epiphanius bemerkt [haer. 69 n. 20 ff.], daß gerade dieser Stelle Arius gegen die Gottheit des Sohnes sich mit Vorliebe bedient habe. Strittig wurde unser Zitat durch die Übersetzung der LXX: κύριος ἔκτισέ με, der Herr erschuf mich, während andere übersetzten: κύριος ἐκτήσατό με, der Herr besaß mich, welcher letzteren Deutung auch die Vulgata folgt. Der hl. Hieronymua äußert sich über diese zweifache Übersetzungsweise wie folgt: Inter possessionem et creationem multa diversitas est. Possessio significat, quod semper Filius in Patre et Pater in Filio fuerit, creatio autem ejus, qui prius non erat, conditionis exordium. [Epist. ad Cypr. Presbyt. in der Mauriner Ausgabe t. II, pag. 697.] Nach dem Hebräischen lautet der ganze Vers -. "Der Herr setzte mich als Erstling seines Weges, vor seinen Werken, vor der Jetztzeit." Vgl. Klasen, die alttest Weisheit S. 60 ff. [W.].
Leider wird nicht weiter ausgeführt, wer denn die anderen seien, die ektesato übersetzt hätten. :sauer:

Lustig auch, was Epiphanius selber im »Ancorato« sagt:
Epiphanius von Salamis (Ancoratus) hat geschrieben:In Wirklichkeit aber finden wir bei den Übersetzern eine abweichende Lesart. Aquilas z. B. übersetzt: ,,Der Herr hat mich bekommen." Im hebräischen Texte heißt es: "Adonai kanani", was man allerdings so übersetzen kann, wie wir gesagt haben, pflegen doch auch wir, wenn jemandem ein Kind geboren wird, zu sagen, er habe ein Kind bekommen, übrigens ist damit der Sinn der Lesart noch nicht eindeutig bestimmt, denn das hebräische "Adonai kanani" kann auch so übersetzt werden: Der Herr hat mich ausgebrütet [wie ein Küchlein].
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Haiduk
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Re: Spr 8,22-31: Textkritik

Beitrag von Haiduk »

Vulpius Herbipolensis hat geschrieben:
Haiduk hat geschrieben:
Vulpius Herbipolensis hat geschrieben:
Haiduk hat geschrieben:
Vulpius Herbipolensis hat geschrieben:Die Kirchenväter haben die perſonifiizierte Weisheit Gottes mit dem Logos identifiziert. Folglich iſt zu fragen, was man unter "Schaffen" und unter dem "Anfang ſeiner Wege" verſtehen muß: Kann "ϰτίζειν" ein innertrinitariſcher Vorgang ſein?
Ich denke, das dürfte relativ nah an dieser Fragestellung dran sein:

THE SOPHIAN HERESY AND ATTEMPTS TO FEMINIZE GOD
However, the pseudo-wisdom of this world chose to see a special, spiritual personal being in the Old Testament term of "Sophia".
Verwandt ist es jedenfalls.
Ja. Die Titel am linken Rand wirken auf mich aber nicht besonders vertrauenserweckend. :angewidert:

In der fraglichen Sache wird der Artikel wohl dennoch recht haben.
Wenn Dir dieser Artikel nicht gefällt, gäbe es auch noch den hier:
Verordnung des Moskauer Patriarchats an den Hochheiligen Metropoliten von Litauen und Wilna Eleutherius

Das ist die Aufforderung zum Widerruf an Sergei Nikolajewitsch Bulgakow durch den Moskauer Patriarchen Sergius I. vom Sept. 1935. Bulgakow hatte sich mit seiner Lehre von der Sophia einen Namen gemacht.

Nikolai Berdjajew sah sich dann befleißigt, Bulgakow in dieser Sache zu verteidigen.
Danke. Schöne, klare Worte; im Bezug auf mein Thema ist das genau das, wonach ich fragte. An dem anderen Artikel hat mich die antikatholische Polemik einiger Titel abgeschreckt.
Falls Du noch mehr von diesem Zeugs brauchst, google nach "site:borisogleb.de sophiologie"; z.B. Die Welt als Offenbarung der Weisheit Gottes :angewidert:
Eure Rede aber sei: Ja, ja; nein, nein. Was darüber ist, das ist vom Übel. (Mt. 5, 37)
Denn die Waffen unsres Kampfes sind nicht fleischlich, sondern mächtig im Dienste Gottes, Festungen zu zerstören. (2. Kor. 10,4)

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Robert Ketelhohn
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Re: Spr 8,22-31: Textkritik

Beitrag von Robert Ketelhohn »

Vulpius Herbipolensis hat geschrieben:Kύριος ἔϰτισέν με ἀρχὴν ὁδῶν αὐτοῦ εἰς ἔργα αὐτοῦ
Πρὸ τοῦ αἰῶνος ἐϑεμελίωσέν με ἐν ἀρχῇ
Πρὸ τοῦ τὴν γῆν ϖοιῆσαι ϰαὶ ϖρὸ τοῦ τὰς ἀϐύσσους ϖοιῆσαι ϖρὸ τοῦ ϖροελϑεῖν τὰς ϖηγὰς τῶν ὑδάτων
Πρὸ τοῦ ὄρη ἑδρασϑῆναι ϖρὸ δὲ ϖάντων ϐουνῶν γεννᾷ με.
Wat is’n da mit deene kleene π passiert?
Propter Sion non tacebo, | ſed ruinas Romę flebo, | quouſque juſtitia
rurſus nobis oriatur | et ut lampas accendatur | juſtus in eccleſia.

Vulpius Herbipolensis
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Re: Spr 8,22-31: Textkritik

Beitrag von Vulpius Herbipolensis »

Robert Ketelhohn hat geschrieben:
Vulpius Herbipolensis hat geschrieben:Kύριος ἔϰτισέν με ἀρχὴν ὁδῶν αὐτοῦ εἰς ἔργα αὐτοῦ
Πρὸ τοῦ αἰῶνος ἐϑεμελίωσέν με ἐν ἀρχῇ
Πρὸ τοῦ τὴν γῆν ϖοιῆσαι ϰαὶ ϖρὸ τοῦ τὰς ἀϐύσσους ϖοιῆσαι ϖρὸ τοῦ ϖροελϑεῖν τὰς ϖηγὰς τῶν ὑδάτων
Πρὸ τοῦ ὄρη ἑδρασϑῆναι ϖρὸ δὲ ϖάντων ϐουνῶν γεννᾷ με.
Wat is’n da mit deene kleene π passiert?
:freude:

Ich nehme mal an, was passiert ist, weißt du; ob's eine Verbesserung war - wohl eher nicht, aber irgendwie mußte ich ja den weitgehenden Verzicht aufs lange S kompensieren. ;D
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Vulpius Herbipolensis
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Re: Spr 8,22-31: Textkritik

Beitrag von Vulpius Herbipolensis »

Zu V. 22, qanah - "besitzen" oder "erwerben":

Die im Hebräischen an dieser Stelle gebrauchte Form gibt also keinen Aufschluß darüber, von welcher von zwei möglichen Wurzeln sie abgeleitet ist, wobei die eine "besitzen", die andere "schaffen" bedeutet. Nun muß ich mir erst einmal Klarheit verschaffen, wie weit das Bedeutungsspektren jeweils reichen.
Zunächst für's Hebräische: Otto Plöger schreibt in seinem Kommentar über die Sprüche Salomos im BKAT:
Diese Bedeutung [sc. hervorbringen] von qnh (neben "schaffen" oder "erwerben") hat Driver (Canaanite Myths and Legends, 144) vorgeschlagen.
Soweit ich erkennen kann, führt er hier Übersetzungsmöglichkeiten für diejenige Wurzel an, die seiner Meinung nach vorliegt. Die Unterscheidung zwischen "hervorbringen" und "erschaffen" wird m.E. an dieser Stelle (nach bei Plöger, sondern generell in Spr 8,22 nicht getroffen, der gemeinte Vorgang wird nur genannt und Folgerungen gezogen, dieser Vorgang aber nicht näher bestimmt. Die meisten modernen Übersetzungen aus dem Hebräischen gehen offenbar davon aus, das die Form auf diese Wurzel zurückzuführen ist.
Die Bedeutung der anderen Wurzel wird mit besitzen angegeben. Wie kann man sie denn näher charakterisieren? Das ist noch etwas schwammig.
Was mich verwirrt, ist vor allem die Übersetzungsmöglichkeit "erwerben": Eine griechische Textversion, in der es heißt "Κύριος ἐϰτήσατό με" würde man doch mit "der Herr hat (sich) mich erworben" übersetzen. Kann das die Grundlage für die Form der Vulgata sein? Paßte das nicht eher zu "Κύριος (ϰ)έϰτηταί με" mit einer Form vom Perfektstamm?
Ich habe hier einen interessanten Kommentar, der leider bei Kopieren unter den Tisch gefallen ist. Morgen werde ich ihn nachtragen.
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Vulpius Herbipolensis
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Re: Spr 8,22-31: Textkritik

Beitrag von Vulpius Herbipolensis »

Vulpius Herbipolensis hat geschrieben:Soweit ich erkennen kann, führt er hier Übersetzungsmöglichkeiten für diejenige Wurzel an, die seiner Meinung nach vorliegt. Die Unterscheidung zwischen "hervorbringen" und "erschaffen" wird m.E. an dieser Stelle (nach bei Plöger, sondern generell in Spr 8,22 nicht getroffen, der gemeinte Vorgang wird nur genannt und Folgerungen gezogen, dieser Vorgang aber nicht näher bestimmt. Die meisten modernen Übersetzungen aus dem Hebräischen gehen offenbar davon aus, das die Form auf diese Wurzel zurückzuführen ist.
Auch: "einsetzen"
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lifestylekatholik
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Re: Spr 8,22-31: Textkritik

Beitrag von lifestylekatholik »

Vulpius Herbipolensis hat geschrieben:Die Unterscheidung zwischen "hervorbringen" und "erschaffen" wird m.E. an dieser Stelle (nach bei Plöger, sondern generell in Spr 8,22 nicht getroffen, der gemeinte Vorgang wird nur genannt und Folgerungen gezogen, dieser Vorgang aber nicht näher bestimmt.
Das ist einer der Wege, auf dem die Väterstellen argumentieren, die ich gestern durchgeforstet. :ja:
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Vulpius Herbipolensis
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Re: Spr 8,22-31: Textkritik

Beitrag von Vulpius Herbipolensis »

lifestylekatholik hat geschrieben:
Vulpius Herbipolensis hat geschrieben:Die Unterscheidung zwischen "hervorbringen" und "erschaffen" wird m.E. an dieser Stelle (nach bei Plöger, sondern generell in Spr 8,22 nicht getroffen, der gemeinte Vorgang wird nur genannt und Folgerungen gezogen, dieser Vorgang aber nicht näher bestimmt.
Das ist einer der Wege, auf dem die Väterstellen argumentieren, die ich gestern durchgeforstet. :ja:
Vielen Dank dafür übrigens! Ich habe das inzwischen auch getan, wenn auch noch nicht intensiv genug, bin aber beim Lesen des Kommentars von Allioli auf den Gedanken gekommen.
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Vulpius Herbipolensis
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Re: Spr 8,22-31: Textkritik

Beitrag von Vulpius Herbipolensis »

V. 24 - 25:


Vulgata: 24 Noch waren die Abgründe (27) nicht und ich war schon empfangen, (28) noch auch waren die Quellen der Wasser (29) nicht hervorgebrochen, 25 noch auch standen die Berge nicht fest (30) in gewaltiger Wucht, vor den Hügeln wurde ich geboren. - (27) Die Wassertiefen. - (28) Hebr.: geboren. - (29) Hebr.: die Quellen, die wasserschweren. - (30) Hebr.: Noch waren die Berge nicht eingesenkt (in das Meer, in dem ihre Wurzeln ruhen).

Septuaginta: "24 Vor der Erschaffung der Erde und vor der Erschaffung der Abründe, vor dem Hervortreten der Quellen der Wasser, 25 vor der Gründung von Bergen ( :D ;D ) und vor allen Anhöhen zeugte/gebar er mich/brachte er mich hervor.": 24 Bevor er die Erde schuf und bevor er die Abgründe schuf, bevor die Quellen der Wasser hervortraten, 25 bevor Berge fest gegründet wurden und vor allen Anhöhen zeugte/gebar er mich/brachte er mich hervor. - Zu "ἑδρασϑῆναι" findet man im Netz ohne weiteres das Verb "ἑδράζω"; weshalb kennt Gemoll das nicht? Das erste Kolon von V. 24 wird in den meisten anderen Texttypen V. 23 zugerechnet, das hatten wir ja schon. Im Apparat steht noch:
25 1] + ϰαι πλασϑηναι την γην S
- ... bevor er die Erde bildete ... Wo will er das denn genau drin haben? Für das Kolon »et ego jam concepta eram« ist zu prüfen, ob es ursprünglich ist; es könnte doch auch im hebräischen Text erst nach der Übersetzung der LXX eingefügt worden sein?
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Re: Spr 8,22-31: Textkritik

Beitrag von Vulpius Herbipolensis »

Interlinearübersetzung nach M: In Nichtsein (=als nicht waren) Urfluten, wurde ich geboren, in Nichtsein (=als nicht waren) Quellen wert-geachtete (=reich) (an) Wasser. Bevor (die) Berge eingesenkt wurden, zu-Gesichter (=vor) (den) Hügeln wurde ich geboren.

Rev. Elberfelder: Als es noch keine Fluten gab, wurde ich geboren, als noch keine Quellen waren, reich an Wasser. // Ehe die Berge eingesenkt wurden, vor den Hügeln war ich geboren.

Herderübers./Alte Jer. (Wie bezeichnet man die?): 24 [Ich] ward hervorgebracht, als die Urfluten noch nicht waren, / noch nicht die Quellen wasserreich. 25 Bevor die Berge gegründet waren, / vor den Hügeln ward ich her vorgebracht, 26 ...

Otto Plöger im BKAT: 24 Als die Urfluten noch nicht bestanden, bin ich geboren worden, als es noch keine Quellen gab, reich an Wasser. 25 Bevor die Berge eingesenkt wurden, (noch) vor den Hügeln wurde ich geboren.


(Und jetzt mach' ich mich auf den Weg zur UB, um den gestern angekündigten Kommentar beizubringen.)
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overkott
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Re: Spr 8,22-31: Textkritik

Beitrag von overkott »

Bemerkenswert ist diese Stelle, weil sie eine Meditation über die erste Schöpfungsgeschichte zu sein scheint. Die Weisheit ähnelt dem Geist über den Wassern. Ebenso erscheint sie personal. Die Personalität ist an dieser Stelle so eindeutig allegorisch wie selten in der Bibel. Hieronymus wählt bei seiner Übersetzung von den zwei Bedeutungen besitzen und schaffen besitzen, auch in der Wahl zwischen empfangen und geboren wählt er das Vorhergehende. Er betont damit die Präexistenz als Voraussetzung der Schöpfung. Weisheit ist eine Eigenschaft des Herrn, die er sich nicht erst erworben hat. Diese Eigenschaft erscheint als Allegorie zwar einerseits personal, andererseits aber auch sachlich. Gerade das Besitzverhältnis lässt die Weisheit wie eine Dienerin, später wie eine spielende Tochter des Herrn, noch später wie eine Königin erscheinen. Deshalb sollten wir auf Deutsch wohl eher übersetzen: Ich gehörte zum Herrn. Man könnte dieser Stelle Motive für eine Spekulation über die Heilige Dreifaltigkeit entnehmen. Auch könnte man die Weisheit als Bild für die Gottesmutter interpretieren.

Vulpius Herbipolensis
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Re: Spr 8,22-31: Textkritik

Beitrag von Vulpius Herbipolensis »

Mein liebes Rotkäppchen! Hast du denn die bisherige Diskussion gelesen?
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Vulpius Herbipolensis
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Re: Spr 8,22-31: Textkritik

Beitrag von Vulpius Herbipolensis »

Zunächst der Kommentar der Jerusalemer Bibel, auch wenn er über die Übersetzung von "qanani" bei weiten nicht so viel sagt wie erhofft:
→822–31 (Die schöpferische Weisheit) Die Vorstellung einer personifizierten Weisheit – in Spr 141 ist die Personifikation noch ein bloßes literarisches Kunstmittel – hat sich in Israel seit dem Exil entwickelt, als der Polytheismus keine Gefahr mehr für den Jahweglauben bedeutete. Während die Weisheit in Ib 28 und Bar 39 – 44 als eine Sache erscheint, als ein begehrenswertes Gut, das sich außerhalb von Gott und vom Menschen befindet, wird sie in Spr 120–33; 316–19 und 8–9 als eine Person dargestellt. Hier offenbart sie selbst ihren Ursprung (vor aller Schöpfung erschaffen, V. 22–26) sowie den tätigen Anteil, den sie am Schöpfungswerk nimmt, V. 27–30, und die Rolle, die sie bei den Menschen spielt, um sie zu Gott zu führen, V. 31.35–36. Ben Sira wird diese Lehre weiterentwickeln: Sir 11–10 erinnert noch an Ib 28, dagegen führt Sir 411–19; 1420 – 1510 und vor allem 241–29 (vgl. Sir 241 +) über Spr 8 hinaus. In all diesen Texten, in denen die Weisheit – wie an anderen Stellen das Wort oder der Geist – personifiziert wird, läßt sich jedoch schwer unterscheiden, was dichterisches Kunstmittel, was Ausdruck alter religiöser Vorstellungen oder was Einsicht neuer Offenbarung ist. Weish 722–81 schließlich erweckt den Eindruck, daß die Weisheit, „der Ausfluß der Herrlichkeit Gottes“, an der göttlichen Natur teilhat, aber die abstrakten Ausdrücke, mit denen sie beschrieben ist, lassen sich ebenso auf eine Eigenschaft Gottes wie auf ein von Gott unterschiedenes Wesen (Hypostase) beziehen. – Die solcherart im AT angelegte Lehre von der Weisheit wird im NT wiederaufgenommen; sie erhält hier eine weitere und entscheidende Entfaltung dadurch, daß sie auf die Person Christi angewandt wird. Jesus wird als „die Weisheit“ und „die Weisheit Gottes“ bezeichnet, Mt 1119 par; Lk 1149, vgl. Mt 2334–36; 1 Kor 124–30; wie die Weisheit hat Christus Anteil an der Erschaffung und Erhaltung der Welt, Kol 116–17, an der Führung Israels, 1 Kor 104, vgl. Weish. 1017f. Der Prolog von Jo schließlich weißt dem Logos Züge der schöpferischen Weisheit zu, und das ganze Johannesevangelium stellt Christus als die Weisheit Gottes dar, vgl. Jo 635 +. So erklärt sich, daß die christliche Überlieferung seit Justin in der Weisheit des AT Christus erkannt hat. Die Liturgie bezieht Spr 822f aufgrund eines nicht wörtlichen oder typischen, sondern „angepaßten“ Schriftsinnes (Akkomodation) auf Maria, die Mitwirkende des Erlösers, wie die Weisheit Mitwirkende des Schöpfers ist.
→822 geschaffen So wird das hebräische Zeitwort (qanani) von G, S, T übersetzt, vgl. Sir 14.9; 248.9. Die Übersetzung „hat mich erworben“ oder „hat mich besessen“ (Aquila, Symmachus, Theodotion) wird von Hieronymus (V) übernommen, wohl um die Irrlehre des Arius zu bekämpfen, der den (mit der Weisheit identifizierten Logos als ein Geschöpf ansah.
→824 die Urfluten Der wäßrige Abgrund, auf dem gleichzeitig der Erdkreis und das Himmelsgewölbe aufruhen, vgl. Gn 1; Ps 104; Ib 38.
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Re: Spr 8,22-31: Textkritik

Beitrag von Vulpius Herbipolensis »

Allerdings bin ich in der UB auf folgendes Buch gestoßen, dessen für mich interessante Kapitel ich morgen durcharbeiten werde. Könnte das ganze extrem vereinfachen:

Gerlinde Baumann, Die Weisheitsgestalt in Proverbien 1 - 9, Traditionsgeschichtliche und theologische Studien, J. C. B. Mohr (Paul Siebeck) Tübingen, 1996
:hops:
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Re: Spr 8,22-31: Textkritik

Beitrag von overkott »

Der Kommentar der Jerusalemer Bibel versucht einerseits eine ursprüngliche Interpretation, andererseits eine christliche Interpretation zu liefern. Dieser implizite Hinweis auf einen mehrfachen Schriftsinn ist sicher positiv. Durch die dreifaltigkeitstheologische Einheit in Vielfalt kann man den Geist, die Weisheit und das Wort immer auch auf Christus beziehen. Die Personifikation und Inkarnation legt dies sicher nahe. Man kann dreifaltigkeitstheologisch die Einheit von Herr (Schöpfer, Vater), Weisheit (Geist) und Wort (Licht, Sohn) insoweit differenzieren, als dass alle drei ewig und ungeschaffen sind, aber der Herr seine Weisheit in seinem Wort hervor- und zum Ausdruck bringt und sich darin sein Ruhm erweist, er dafür berühmt ist. Hieronymus hat gezeigt, dass man die Bibel nicht notwendig so paradox übersetzen muss wie die Jerusalemer Bibel es tut: "vor aller Schöpfung erschaffen". Übersetzungen wie "Ausfluss der Herrlichkeit" statt "Erweis der Ehre" rücken die Paradoxien dann auch noch in ein fragwürdiges Licht: Sie erwecken entgegen der Tradition den Eindruck, als könne man die Bibel nicht verstehen, als sei sie unvernünftig.

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Niels
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Re: Spr 8,22-31: Textkritik

Beitrag von Niels »

Vulpius Herbipolensis hat geschrieben:Allerdings bin ich in der UB auf folgendes Buch gestoßen, dessen für mich interessante Kapitel ich morgen durcharbeiten werde. Könnte das ganze extrem vereinfachen:

Gerlinde Baumann, Die Weisheitsgestalt in Proverbien 1 - 9, Traditionsgeschichtliche und theologische Studien, J. C. B. Mohr (Paul Siebeck) Tübingen, 1996
:hops:
Das gibt's auch hier: http://books.google.de/books?id=ubi3KQ6 ... &q&f=false
(Frau Baumann scheint eine Feministin zu sein.)
Iúdica me, Deus, et discérne causam meam de gente non sancta

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Re: Spr 8,22-31: Textkritik

Beitrag von Vulpius Herbipolensis »

overkott hat geschrieben:Der Kommentar der Jerusalemer Bibel versucht einerseits eine ursprüngliche Interpretation, andererseits eine christliche Interpretation zu liefern. Dieser implizite Hinweis auf einen mehrfachen Schriftsinn ist sicher positiv. Durch die dreifaltigkeitstheologische Einheit in Vielfalt kann man den Geist, die Weisheit und das Wort immer auch auf Christus beziehen. Die Personifikation und Inkarnation legt dies sicher nahe. Man kann dreifaltigkeitstheologisch die Einheit von Herr (Schöpfer, Vater), Weisheit (Geist) und Wort (Licht, Sohn) insoweit differenzieren, als dass alle drei ewig und ungeschaffen sind, aber der Herr seine Weisheit in seinem Wort hervor- und zum Ausdruck bringt und sich darin sein Ruhm erweist, er dafür berühmt ist. Hieronymus hat gezeigt, dass man die Bibel nicht notwendig so paradox übersetzen muss wie die Jerusalemer Bibel es tut: "vor aller Schöpfung erschaffen". Übersetzungen wie "Ausfluss der Herrlichkeit" statt "Erweis der Ehre" rücken die Paradoxien dann auch noch in ein fragwürdiges Licht: Sie erwecken entgegen der Tradition den Eindruck, als könne man die Bibel nicht verstehen, als sei sie unvernünftig.
Also gut, ich schraub' die Anforderungen runter: Lies doch zumindest mal den Strangtitel, bevor du weiterschreibst! :ikb_wallbash:
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overkott
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Re: Spr 8,22-31: Textkritik

Beitrag von overkott »

Vulpius Herbipolensis hat geschrieben:
overkott hat geschrieben:Der Kommentar der Jerusalemer Bibel versucht einerseits eine ursprüngliche Interpretation, andererseits eine christliche Interpretation zu liefern. Dieser implizite Hinweis auf einen mehrfachen Schriftsinn ist sicher positiv. Durch die dreifaltigkeitstheologische Einheit in Vielfalt kann man den Geist, die Weisheit und das Wort immer auch auf Christus beziehen. Die Personifikation und Inkarnation legt dies sicher nahe. Man kann dreifaltigkeitstheologisch die Einheit von Herr (Schöpfer, Vater), Weisheit (Geist) und Wort (Licht, Sohn) insoweit differenzieren, als dass alle drei ewig und ungeschaffen sind, aber der Herr seine Weisheit in seinem Wort hervor- und zum Ausdruck bringt und sich darin sein Ruhm erweist, er dafür berühmt ist. Hieronymus hat gezeigt, dass man die Bibel nicht notwendig so paradox übersetzen muss wie die Jerusalemer Bibel es tut: "vor aller Schöpfung erschaffen". Übersetzungen wie "Ausfluss der Herrlichkeit" statt "Erweis der Ehre" rücken die Paradoxien dann auch noch in ein fragwürdiges Licht: Sie erwecken entgegen der Tradition den Eindruck, als könne man die Bibel nicht verstehen, als sei sie unvernünftig.
Also gut, ich schraub' die Anforderungen runter: Lies doch zumindest mal den Strangtitel, bevor du weiterschreibst! :ikb_wallbash:
Bin ich dir im Hinblick auf die Übersetzungen nicht kritisch genug? Ist die Kritik an traditionswidrigen, unvernünftigen Übersetzungen nicht deutlich genug?

Vulpius Herbipolensis
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Re: Spr 8,22-31: Textkritik

Beitrag von Vulpius Herbipolensis »

Niels hat geschrieben:
Vulpius Herbipolensis hat geschrieben:Allerdings bin ich in der UB auf folgendes Buch gestoßen, dessen für mich interessante Kapitel ich morgen durcharbeiten werde. Könnte das ganze extrem vereinfachen:

Gerlinde Baumann, Die Weisheitsgestalt in Proverbien 1 - 9, Traditionsgeschichtliche und theologische Studien, J. C. B. Mohr (Paul Siebeck) Tübingen, 1996
:hops:
Das gibt's auch hier: http://books.google.de/books?id=ubi3KQ6 ... &q&f=false
(Allerdings gibt es dort nicht den Abschnitt über Spr 8,22-31. Aber ihn habe ihn mir ohnehin kopiert.)
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Re: Spr 8,22-31: Textkritik

Beitrag von Vulpius Herbipolensis »

Niels hat geschrieben:(Frau Baumann scheint eine Feministin zu sein.)
Stimmt.
Das Verzeichnis ihrer Lehrveranstaltungen hat geschrieben:Feministische Hermeneutik des Ersten Testaments (Übung im SoSe 1994 an der Universität Hamburg)
Alttestamentliche Schöpfungstheologie aus feministischer Perspektive (Übung im SoSe 1996 an der Universität Hamburg)
...
Ausgewählte Texte zu Frauenbildern im Alten Tesament (Alttestamentliches Proseminar im SoSe 1999 an der Philipps-Universität Marburg, gemeinsam mit WM Uta Schmidt)
Historisch-kritische Methoden in feministischer Exegese des Alten und Neuen Testaments (Übung im SoSe 1999 an der Philipps-Universität Marburg, gemeinsam mit WM Karin Lehmeier)
...
Gott als Mutter/Vater im Alten Testament (Übung im SoSe 2002 an der Philipps-Universität Marburg, gemeinsam mit Prof. Dr. Erhard S. Gerstenberger)
Weibliche Gottesbilder im Alten Testament (Seminar im SoSe 2002 an der Johann-Wolfgang-Goethe-Universität Frankfurt/M.)
...
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Re: Spr 8,22-31: Textkritik

Beitrag von Vulpius Herbipolensis »

overkott hat geschrieben:
Vulpius Herbipolensis hat geschrieben:
overkott hat geschrieben:Der Kommentar der Jerusalemer Bibel versucht einerseits eine ursprüngliche Interpretation, andererseits eine christliche Interpretation zu liefern. Dieser implizite Hinweis auf einen mehrfachen Schriftsinn ist sicher positiv. Durch die dreifaltigkeitstheologische Einheit in Vielfalt kann man den Geist, die Weisheit und das Wort immer auch auf Christus beziehen. Die Personifikation und Inkarnation legt dies sicher nahe. Man kann dreifaltigkeitstheologisch die Einheit von Herr (Schöpfer, Vater), Weisheit (Geist) und Wort (Licht, Sohn) insoweit differenzieren, als dass alle drei ewig und ungeschaffen sind, aber der Herr seine Weisheit in seinem Wort hervor- und zum Ausdruck bringt und sich darin sein Ruhm erweist, er dafür berühmt ist. Hieronymus hat gezeigt, dass man die Bibel nicht notwendig so paradox übersetzen muss wie die Jerusalemer Bibel es tut: "vor aller Schöpfung erschaffen". Übersetzungen wie "Ausfluss der Herrlichkeit" statt "Erweis der Ehre" rücken die Paradoxien dann auch noch in ein fragwürdiges Licht: Sie erwecken entgegen der Tradition den Eindruck, als könne man die Bibel nicht verstehen, als sei sie unvernünftig.
Also gut, ich schraub' die Anforderungen runter: Lies doch zumindest mal den Strangtitel, bevor du weiterschreibst! :ikb_wallbash:
Bin ich dir im Hinblick auf die Übersetzungen nicht kritisch genug? Ist die Kritik an traditionswidrigen, unvernünftigen Übersetzungen nicht deutlich genug?
Kotti, es geht hier um die Textkritik. Lies dir doch einfach nochmal deinen zitierten Beitrag durch und erklär' mir dann was ich damit für die Textkritik anfangen soll!
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overkott
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Re: Spr 8,22-31: Textkritik

Beitrag von overkott »

Vulpius Herbipolensis hat geschrieben:
overkott hat geschrieben:
Vulpius Herbipolensis hat geschrieben:
overkott hat geschrieben:Der Kommentar der Jerusalemer Bibel versucht einerseits eine ursprüngliche Interpretation, andererseits eine christliche Interpretation zu liefern. Dieser implizite Hinweis auf einen mehrfachen Schriftsinn ist sicher positiv. Durch die dreifaltigkeitstheologische Einheit in Vielfalt kann man den Geist, die Weisheit und das Wort immer auch auf Christus beziehen. Die Personifikation und Inkarnation legt dies sicher nahe. Man kann dreifaltigkeitstheologisch die Einheit von Herr (Schöpfer, Vater), Weisheit (Geist) und Wort (Licht, Sohn) insoweit differenzieren, als dass alle drei ewig und ungeschaffen sind, aber der Herr seine Weisheit in seinem Wort hervor- und zum Ausdruck bringt und sich darin sein Ruhm erweist, er dafür berühmt ist. Hieronymus hat gezeigt, dass man die Bibel nicht notwendig so paradox übersetzen muss wie die Jerusalemer Bibel es tut: "vor aller Schöpfung erschaffen". Übersetzungen wie "Ausfluss der Herrlichkeit" statt "Erweis der Ehre" rücken die Paradoxien dann auch noch in ein fragwürdiges Licht: Sie erwecken entgegen der Tradition den Eindruck, als könne man die Bibel nicht verstehen, als sei sie unvernünftig.
Also gut, ich schraub' die Anforderungen runter: Lies doch zumindest mal den Strangtitel, bevor du weiterschreibst! :ikb_wallbash:
Bin ich dir im Hinblick auf die Übersetzungen nicht kritisch genug? Ist die Kritik an traditionswidrigen, unvernünftigen Übersetzungen nicht deutlich genug?
Kotti, es geht hier um die Textkritik. Lies dir doch einfach nochmal deinen zitierten Beitrag durch und erklär' mir dann was ich damit für die Textkritik anfangen soll!
Mein lieber Vulpi, wenn du es nicht selbst erkennst, will ich dir gerne weiter helfen: Textkritik ist die kritische Auseinandersetzung mit einem Text im Hinblick auf Entstehung, Überlieferung und Rezeption. Im zitierten Beitrag geht es zunächst um die Rezeption (verschiedene Interpretationen), die auf der möglichen Bedeutungsvielfalt des Textes beruht (mehrfacher Schriftsinn). Diese wirkt sich auch schon bei der Überlieferung aus (Auswahl einer Übersetzung). Dabei liefert die Textkritik Argumente für die lateinische Tradition. Sie stützt ferner eine allegorisch-bildliche Interpretation der Bibel als bibelimmanent. Jesus stand mit seiner sinnbildlichen Interpretation selbst in der Tradition. Die Auslegung nach dem mehrfachen Schriftsinn ist also weder allein eine mittelalterliche, noch eine neutestamentliche, sondern eine biblische Exegese.

Vulpius Herbipolensis
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Re: Spr 8,22-31: Textkritik

Beitrag von Vulpius Herbipolensis »

Es geht um die Überlieferung des Textes. An Stellen, an denen für deren Verständnis die Auslegung des Textes eine Rolle spielt, ist diese natürlich hinzuzuziehen, wie dies auch für andere Aspekte gilt. Ausgehen mußt du bei der Textkritik aber stets von Text. Alles andere ist in diesem Strang fehl am Platz, dafür habe ich keine Zeit und werde deshalb nicht mehr darauf eingehen.
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overkott
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Re: Spr 8,22-31: Textkritik

Beitrag von overkott »

Prinzipielle Erwägungen darf man natürlich auch bei einer Textkritik nicht außer acht lassen. Für die Einordnung einer evangelischen Textkritik ist also wichtig, inwieweit sie evangelische Übersetzungen rechtfertigt. Muss man also die Bibel ähnlich dem Koran in der Ursprache vortragen? Oder sind - wir denken an das Vorwort beim Ecclesiasticus - Übersetzungen gerechtfertigt? Welche Bedeutung hat Textkritik überhaupt für den Glauben Jesus?

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Niels
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Re: Spr 8,22-31: Textkritik

Beitrag von Niels »

overkott hat geschrieben:Prinzipielle Erwägungen darf man natürlich auch bei einer Textkritik nicht außer acht lassen. Für die Einordnung einer evangelischen Textkritik ist also wichtig, inwieweit sie evangelische Übersetzungen rechtfertigt. Muss man also die Bibel ähnlich dem Koran in der Ursprache vortragen? Oder sind - wir denken an das Vorwort beim Ecclesiasticus - Übersetzungen gerechtfertigt? Welche Bedeutung hat Textkritik überhaupt für den Glauben Jesus?
Diese Fragen bitte woanders diskutieren; dazu gibt's hier im Scriptorium schon geeignete Stränge.
Niels, Mod.
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Vulpius Herbipolensis
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Re: Spr 8,22-31: Textkritik

Beitrag von Vulpius Herbipolensis »

Die genannte Gerlinde Baumann über die Bedeutung von קנה:
Gerlinde Baumann, Die Weisheitsgestalt in Prov 1-9, S. 116 f. hat geschrieben:קנה – „erwerben“ oder „erschaffen“? (Prov 8,22)
Von jeher ist – wie sich in den alten Übersetzungen niedergeschlagen hat – das Verb קנה in Prov 8,22 in unterschiedlicher Weise verstanden worden. Dabei dominieren zwei Hauptaspekte: zum einen der des „Erwerbens“ und „Besitzens“, und zum anderen der des „Erschaffens“, „Gebärens“ und „Zeugens“.
In der älteren und neueren Forschung finden sich die alternativen Übersetzungen des Verbs ausführlich begründet vor allem bei Burney und Keel, die für die Bedeutung „erschaffen“ votieren, sowie bei Vawter, der קנה mit „erwerben“ wiedergibt.
Wie Schmidt ausgeführt hat, bestehen die Übersetzungsprobleme für קנה keineswegs nur in bezug auf Prov 8,22, da „Etymologie und Grundbedeutung von qnh letztlich ungeklärt sind.“
Diese Probleme haben zu der Hypothese geführt, daß es zwei Wurzeln des Verbs mit unterschiedlichen Bedeutungen, also קנה I und קנה II, geben könne. Diese These wird in der Forschung mittlerweile eher abgelehnt. Im Ugaritischen, das das Vorbild für die These von zwei Wurzeln abgegeben hat, sind ebenfalls Belege für die Wurzel mit den Bedeutungen „zeugen/erschaffen“ und „erwerben“ vorhanden (233). Alternativ zu dieser These ließe sich für קנה eine gemeinsame Grundbedeutung „hervorbringen“ annehmen, deren Bedeutungsnuancen dann „zeugen/erschaffen“, „erwerben“ etc. wären.
[…]
-------------------------
(233) So HAL, 1038; ähnlich KEEL 1974a, Anm. 24: „Das ugaritische Material fordert keineswegs so überzeugend die Bedeutung ‚gebären’, wie oft geglaubt wird.“ Hier muß ergänzt werden, daß im Ugaritischen – anders als im Hebräischen – die Mehrzahl der Belege die Bedeutung „erschaffen, zeugen“ aufweist. […]
Anschließend äußert sie sich noch über die Wiedergabe des Verbs an dieser Stelle: Sie sei von Kontext her zu bestimmen; sie stellt einige Überlegungen an und plaidiert schließlich eher für "erschaffen".
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Niels
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Re: Spr 8,22-31: Textkritik

Beitrag von Niels »

Urks.
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Re: Spr 8,22-31: Textkritik

Beitrag von Vulpius Herbipolensis »

Niels hat geschrieben:Urks.
Was heißt hier "urks"? Daß du die Übersetzung mit "erschuf" als mit Sicherheit unzutreffend ansiehst? Oder daß du die Situation im Ugaritischen anders einschätzt?
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Niels
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Re: Spr 8,22-31: Textkritik

Beitrag von Niels »

Bitte um etwas Geduld.
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Re: Spr 8,22-31: Textkritik

Beitrag von Vulpius Herbipolensis »

Klar.


V. 26:

Vulgata: Noch hatte er die Erde nicht gemacht und die Flüsse und die Angeln des Erdkreises. (Oder auch durch das adhuc etwas deutlicher in den Zusammenhang mit dem vorausgehenden Vers gestellt: Bis dahin hatte er ...)

Septuaginta: Der Herr schuf Länder und unbewohnbare [Gegenden] und hohe Wohnstätten auf der [Erge/Gegend/Welt] unter dem Himmel.
(Stimmt das so? "ἠ ὐπ' οὐρανὸν" scheint eine häufigere Wendung zu sein, mit der mich mein Gemoll aber alleine läßt. :traurigtaps: )

Rev. Elberfelder: Als er noch nicht gemacht die Erde und die Fluren, noch die Gesamtheit der Erdschollen des Festlandes.

Interlinearübersetzung nach M: Bis (=Noch) nicht er hatte gemacht die Erde und Fluren und den Kopf (=Anfang) der Bestandteile des Erdenrunds;

Herderübersetzung (Heißt die sooo???[Punkt]???): Als er das Land und die Fluren noch nicht gemacht, / nicht die ersten Schollen der Erde.

Plöger: Als er noch nicht das Land gemacht hatte und die Gefilde und das Ganze an Bestandteilen auf dem Erdengrund, ...


Ist das ein [Punkt]

Ich glaube, da muß ich mich gleichzeitig mit der Zusammengehörigkeit oder Unabhängigkeit der einzelnen (Teil-)Sätze beschäftigen. :|
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