Raphael hat geschrieben:
Glaubst Du wirklich, eine Staatsanwaltschaft habe keine Ermessensspielräume?
All dies ist eine Frage von juristischen Wertungen, die sowohl in die eine wie in die andere Richtung ausfallen können. Die Juristerei ist keine trennscharfe Wissenschaft wie die bspw. die Ingenieurwissenschaften, bei denen naturwissenschaftliche Phänomene Grundlage der akademischen Beurteilungen sind.
Richtig - und genau für diese Grenz- oder Zweifelsfälle wurde der § 153a StPO eingeführt. Die Staatsanwaltschaft wollte - mit Zustimmung des Gerichtes - das Verfahren gegen Zahlung einer Geldauflage einstellen. Weil Wulff darauf nicht eingegangen ist, erhebt die Staatsanwaltschaft Anklage. Warum sollte sie, nachdem Wulff das Angebot angelehnt hat (oder weil er aus ggfs. ablehnen könnte), von einer Anklageerhebung absehen?
Glaubst Du, Staatsanwaltschaft ud Gericht haben sich die Entscheidung leicht gemacht?
Dagegen sprechen doch sowohl 2. Seiten Ermittlungsakten (aus "Verfolgungsgeilheit" - wie Prantl meint) und der 14seitige(!) Eröffnungsbeschluß des Gerichts (das interessanterweise auch von einem "Grenzfall" spricht, also vermutlich auch auf eine geräuschlose Erledigung gedrungen hat).
Wulff wußte doch auch, was auf ihn zukommt. An 22 Tagen (vielleicht auch mehr) wird er die Nr. 1 in der Tagesschau und in den Zeitungen sein. Die ganze Affäre, von den Darlehn über die Einladungen bis zu seinem Kontostand, alles was bereits vergessen war, wird wieder aufgewärmt, füllt die Sendungen und Zeitungen und ist Gesprächsthema.
Er hat sich für diesen Weg entschieden und ihn jetzt gehen. Was kann er im Gegenzug bestenfalls erreichen? Seine "Ehre wiederherstellen"?
So wenig juristisch noch übrig geblieben ist, so wird es doch keine Absolution geben für Wulff. „Er kann nur verlieren“, sagt Wulf-Hinnerk Vauk, Diplom-Betriebswirt, Berater und Coach. Dabei spiele es keine Rolle, ob er zu einer Geldstrafe verurteilt wird, zu einer Haftstrafe – möglich sind bis zu drei Jahren – oder ob er freigesprochen wird. „Seine Reputation kann er zwar juristisch wiedererlangen, moralisch bleibt aber ein Geschmäckle.“
(...)
Hätte der 54-Jährige von Anfang an gesagt „Ok, es ist passiert. Es tut mir leid“, dann hätte er mehr Größe gezeigt. Jetzt auf die Hauptverhandlung zu dringen, nennt Vauk „kleinkariert“. Damit gebe Wulff im Nachhinein allen recht, die gezweifelt hatten, ob das Amt des Bundespräsidenten nicht eine Nummer zu groß für ihn gewesen sei. „Er hat bis jetzt nicht verstanden, dass sein Nimbus schon zerbrochen ist“, sagt Vauk.
http://www.handelsblatt.com/politik/deu ... 6886.html
In unserer heutigen schnelllebigen Zeit könnte das - ggfs. in einigen Jahren nach einer endgültigen Entscheidung durch den BGH - niemanden mehr interessieren - die Erinnerung an den ersten öffentlichen Prozeß gegen einen Bundespräsidenten wegen Vorteilsannahme wird aber länger wach bleiben.
Ob es klug war, das Angebot zur geräuschlosen Einstellung abzulehnen?
