Ralf hat geschrieben: ↑Mittwoch 19. Februar 2020, 13:35
Danke. Verstehe ich es also richtig, daß "einfach" die Psalmen von 1 bis 150 nacheinander gebetet wurden (was ja auch SInn macht) und es keine Cantica gab?
Es gab durchaus Cantica: zum einen ist das Magnificat als Canticum Mariae der Höhepunkt der Vesper, analog in der Laudes das Benedictus; zum anderen gab es in den Laudes alttestamentliche Cantica, die ihren Platz unter den Psalmen fanden. Die Verteilung der Psalmen hängt davon ab, welches Jahr man ansetzt. Einen Überblick über die Psalmenverteilungen im 20. Jahrhundert gibt es auf
http://www.gregorianbooks.com/gregorian ... HEMA~1.HTM. Die Psalmen wurden nicht einfach nacheinander gebetet; das würde schon daran scheitern, daß Psalm 118, der weitaus längste Psalm, dafür viel zu lang ist.
Und was anderes: was wird eigentlich als Grund für die Brevierreform angegeben? Die Volkssprache hätte ja gereicht für die gewünschte Beteiligung des Gottesvolkes.
In Sacrosanctum Concilium finden sich einige Reformaufträge, aber Begründungen sind relativ spärlich.
Sacrosanctum Concilium hat geschrieben:
SC 88. Da die Heiligung des Tages Ziel des Stundengebetes ist, soll die überlieferte Folge der Gebetsstunden so neugeordnet werden, daß die Horen soweit wie möglich ihren zeitgerechten Ansatz wiedererhalten. Dabei soll zugleich den heutigen Lebensverhältnissen Rechnung getragen werden, in denen vor allem jene leben, die apostolisch tätig sind.
SC 89. Deshalb sollen bei der Reform des Stundengebetes die folgenden Richtlinien eingehalten werden:
a) Die Laudes als Morgengebet und die Vesper als Abendgebet, nach der ehrwürdigen Überlieferung der Gesamtkirche die beiden Angelpunkte des täglichen Stundengebetes, sollen als die vornehmsten Gebetsstunden angesehen und als solche gefeiert werden.
b) Die Komplet soll so eingerichtet werden, daß sie dem Tagesabschluß voll entspricht.
c) Die sogenannte Matutin soll zwar im Chor den Charakter als nächtliches Gotteslob beibehalten, aber so eingerichtet werden, daß sie sinnvoll zu jeder Tageszeit gebetet werden kann. Sie soll aus weniger Psalmen und längeren Lesungen bestehen.
d) Die Prim soll wegfallen.
e) Im Chor sollen die kleinen Horen, Terz, Sext und Non beibehalten werden. Außerhalb des Chores darf man eine davon auswählen, die der betreffenden Tageszeit am besten entspricht.
SC 90. Bei alledem bleibt das Stundengebet als öffentliches Gebet der Kirche auch Quelle der Frömmigkeit und Nahrung für das persönliche Beten. Deshalb werden die Priester und alle anderen, die am Stundengebet teilnehmen, eindringlich im Herrn gemahnt, daß dabei das Herz mit der Stimme zusammenklinge. Um das besser verwirklichen zu können, sollen sie sich eine reichere liturgische und biblische Bildung aneignen, zumal was die Psalmen betrifft. Die ehrwürdigen, jahrhundertealten Kostbarkeiten des Römischen Stundengebetes sollen bei der Reform so neugefaßt werden, daß alle, denen sie in die Hand gegeben sind, leichter in ihren vollen Genuß gelangen können.
SC 91. Damit die in Art. 89 vorgesehene Folge der Gebetsstunden auch wirklich eingehalten werden kann, sollen die Psalmen nicht mehr auf eine Woche, sondern auf einen längeren Zeitraum verteilt werden. Die glücklich begonnene Revision des Psalters soll sobald wie möglich zu Ende geführt werden. Dabei soll der Eigenart des christlichen Lateins, der Verwendung in der Liturgie, und zwar auch beim Gesang, und der gesamten Tradition der lateinischen Kirche Rechnung getragen werden.
SC 92. Für die Lesung soll folgendes gelten:
a) Die Lesungen der Heiligen Schrift sollen so geordnet werden, daß die Schätze des Gotteswortes leicht und in reicherer Fülle zugänglich werden.
b) Die Lesungen aus den Werken der Väter, der Kirchenlehrer und Kirchenschriftsteller sollen besser ausgewählt werden.
c) Die Leidensgeschichten und Lebensbeschreibungen der Heiligen sollen so gefaßt werden, daß sie der geschichtlichen Wahrheit entsprechen.
SC 93. Die Hymnen sollen, soweit es angezeigt erscheint, in ihrer alten Gestalt wiederhergestellt werden; dabei soll beseitigt oder geändert werden, was mythologische Züge an sich trägt oder der christlichen Frömmigkeit weniger entspricht. Gegebenenfalls sollen auch andere Hymnen aufgenommen werden, die sich im Schatz der Überlieferung finden.
Der so genannte ‚Geist’ des Konzils ist keine autoritative Interpretation. Er ist ein Geist oder Dämon, der exorziert werden muss, wenn wir mit der Arbeit des Herrn weiter machen wollen. – Ralph Walker Nickless, Bischof von Sioux City, Iowa, 2009